In einem neuen gemeinsamen Brief haben 107 Organisationen ihre Forderung an den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen wiederholt, endlich zu handeln, wo er lange versagt hat, und einen unabhängigen Untersuchungsmechanismus für Afghanistan einzurichten, um die Rechenschaftspflicht für vergangene und andauernde schwere Verbrechen voranzutreiben.
Auch im fünften Jahr ihrer Herrschaft unterdrücken die Taliban die Bevölkerung weiter, unter anderem durch systematische Angriffe auf die Rechte von Frauen und Mädchen. Human Rights Watch bezeichnet dies als Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von geschlechtsspezifischer Verfolgung, UN-Expert*innen sprechen von „Gender-Apartheid.“ Die Taliban schränken außerdem zunehmend den zivilgesellschaftlichen Raum ein und gehen mit willkürlichen Strafen und gewaltsamen Repressalien gegen alle vor, die sie als Bedrohung ansehen.
Afghanische und internationale Menschenrechtsgruppen, darunter Human Rights Watch, der UN-Experte für Menschenrechte in Afghanistan und das UN-Menschenrechtsbüro, haben alle betont, dass mehr getan werden muss, um die tief sitzende Straflosigkeit anzugehen, die den Kern der Krise bildet. Der UN-Experte hat Anfang des Jahres gewarnt, dass „das Versäumnis der internationalen Gemeinschaft, die Taliban zur Rechenschaft zu ziehen, diese weiter ermutigt hat“.
Ein eigener Untersuchungsmechanismus – wie die für Syrien und Myanmar – wäre ein entscheidendes Instrument, um die Rechenschaftspflicht zu fördern, Beweise für künftige Strafverfolgungen zu sammeln und aufzubewahren, mutmaßliche Täter zu identifizieren und Unterlagen für Verfahren vor nationalen und internationalen Gerichten vorzubereiten.
Das Gremium würde sich vom UN-Experten für Afghanistan unterscheiden, ihn aber ergänzen. Die wichtige Arbeit des Experten – Missbräuche dokumentieren und melden, die Zivilgesellschaft unterstützen und sich für Opfer und Überlebende einsetzen – ist eine Lebensader, die weiterbestehen muss.
Einige Länder haben Bedenken wegen des Umfangs oder der Kosten des Mechanismus geäußert. Aber es gibt mehrere kostengünstige Optionen, und der Druck, den Mechanismus einzuführen, wird immer größer. Im März hat sich eine überregionale Gruppe von Ländern dem Aufruf angeschlossen, in dem die Einrichtung des Mechanismus gefordert wird, und Anfang dieses Monats haben sich 24 weitere UN-Menschenrechtsexpert*innen diesem Appell angeschlossen.
Abgesehen davon, dass sie die laufenden Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs in Bezug auf Afghanistan stärker unterstützen sollten, spielt die Europäische Union – die im Menschenrechtsrat für Afghanistan zuständig ist – eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung von Gerechtigkeit.
Die EU steht wegen ihrer vermeintlichen Doppelmoral in Sachen Menschenrechte zurecht in der Kritik. Mit dem Vorschlag für eine Resolution zur Einrichtung dieses Mechanismus hat die EU jetzt die Chance, ihre Führungsrolle zu zeigen und endlich Gerechtigkeit für die jahrzehntelangen schweren Verbrechen in Afghanistan zu schaffen. Diese Chance sollte sie nicht verpassen.