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EU-Haushalt schützen, Demokratie verteidigen

Merkel sollte Orbáns Erpressungsversuchen nicht nachgeben und die Wahrung der Demokratie zu einem Teil ihres Vermächtnisses machen

Veröffentlicht in: Der Tagesspiegel
Flaggen der Europäischen Union flattern vor dem Hauptsitz der EU Kommission in Brüssel, Belgien, 5. August 2020.   © 2020 Laurie Dieffembacq (Sipa via AP Images)

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat am Montag für eine Enttäuschung gesorgt. Man hatte gehofft, dass Berlin mit seiner Version eines neuen Mechanismus, der die Auszahlung von EU-Mitteln an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien knüpfen soll, dazu beitragen würde, der EU ein Druckmittel in die Hand zu geben, um Länder, die die Grundwerte der EU nicht einhalten, zur Demokratie zurückzuführen. Leider bleibt der entsprechende Text weit hinter diesen Erwartungen zurück.

Erstens sieht der von Deutschland vorgeschlagene Mechanismus ein Abstimmungssystem vor, das es einer zu kleinen Anzahl von Regierungen - höchstwahrscheinlich genau denjenigen, die mit dem Mechanismus in Konflikt geraten würden - erleichtert, einen Kommissionsvorschlag zur Kürzung oder Aussetzung von EU-Geldern an Mitgliedstaaten zu blockieren.

Darüber hinaus bietet der deutsche Text dem jeweils betroffenen Staat die Möglichkeit, eine entsprechende Entscheidung um zwei Monate hinauszuzögern und alle EU-Staatschefs zu zwingen, über die vorgeschlagene Mittelkürzung zu debattieren. Die Staats- und Regierungschefs der EU selbst und nicht ihre jeweiligen Vertreter in Brüssel über jeden Vorschlag diskutieren zu lassen, scheint eine unnötige Hürde zu sein.

Zweitens schränkt der deutsche Text die Formen der Verletzungen von Rechtsstaatlichkeitsprinzipien deutlich ein, die eine Kürzung der Mittel rechtfertigen könnten. Nur rechtsstaatliche Verstöße, die direkt zu Betrug oder Korruption führen, würden demnach sanktioniert. Dies erscheint seltsam naiv.

Kein effektives Mittel zur Verteidigung demokratischer Grundwerte

Schwere Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit können die Demokratie untergraben, zu massiver Ungerechtigkeit führen und die wirksame Verwendung von EU-Geldern verhindern, ohne dass es sich um Fälle von Betrug handelt. Eine Regierung könnte Richter entlassen, welche Bürgerrechte verteidigen, die von der jeweiligen Regierungspartei bedroht werden.

Eine Regierung könnte die Medienfreiheit oder die unabhängige Zivilgesellschaft untergraben, um Kritiker so zum Schweigen zu bringen und sich selbst aus der Verantwortung zu stehlen. Eine Regierung könnte Maßnahmen zum Rechtsschutz umgehen, die Minderheiten oder Frauen vor Diskriminierung schützen, und dadurch EU-Programmen entgegenwirken, die genau auf deren Schutz abzielen.

Da auch dies keine Betrugsfälle wären, hätte keiner dieser Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit nach dem von Deutschland vorgeschlagenen Mechanismus Konsequenzen. Dieser wäre also kaum ein effektives Mittel zur Verteidigung der demokratischen Grundwerte der EU oder um das Budget entsprechend zu schützen.

Am befremdlichsten ist, dass der deutsche Vorschlag in seinem Titel den Begriff „Rechtsstaat" nicht einmal explizit erwähnt. Diese Auslassung hätte als geringfügiges Detail abgetan werden können, wäre der Rest des Vorschlags nicht so aufgeweicht worden.

Der ausgehöhlte Vorschlag ist Ungarn und Polen noch nicht schwach genug

Trotz dieses ausgehöhlten Vorschlags ist er aber für die Regierungen Ungarns und Polens immer noch nicht schwach genug. Seit Wochen versuchen ungarische und polnische Politiker,den gesamten Kontinent zu erpressen- mit der Drohung, ein Veto gegen den EU-Haushalt einzulegen, sollte der Rechtsstaatsmechanismus nicht vom Tisch kommen.

Es war eine vorhersehbare Drohung, da beide Regierungen wegen ihres antidemokratischen Verhaltens im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 7 von ihren Amtskollegen geprüft werden. Sie sind zudem jeweils der größte Pro-Kopf-Empfänger von EU-Geldern bzw. der größte Nettoempfänger.

Viktor Orbáns Regierung hat die Justiz in Ungarn untergraben, die Medienfreiheit eingeschränkt, die Zivilgesellschaft behindert und die akademische Freiheit in Gefahr gebracht. In Polen ist unter Mateusz Morawiecki die Unabhängigkeit der Gerichte so stark beeinträchtigt worden, dass einige EU-Staaten Verdächtige nichtmehr nach Polen ausliefern wollen. LGBT-Menschen in Polen werden schikaniert und sogar aufgrund fadenscheiniger Vorwürfe festgenommen.

Keine der beiden Regierungen verteidigt die in den EU-Verträgen verankerten, europäischen Werte oder die Politik, für welche die europäischen Steuerzahler zu zahlen bereit waren.

Merkel muss wissen, dass Tyrannen die Stirn geboten werden muss

Unterdessen geht der Kampf um die Rechtsstaatlichkeit in Brüssel weiter. Am Dienstag forderte Orbán die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Věra Jourová wegen ihrer Kritik an der Menschenrechtslage in Ungarn zum Rücktritt auf. Einen Tag später zeichnete der erste Bericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit ein düsteres Bild vom Zustand der europäischen Demokratien und davon, wie den EU-Institutionen bisher ein effektives Werkzeug fehlt, um diesen Trend umzukehren.

Bundeskanzlerin Merkel hat die Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit zu einer Priorität der sechsmonatigen EU-Präsidentschaft Deutschlands gemacht. Durch eine Koppelung des Zugangs zu EU-Geldern an die Achtung rechtsstaatlicher Prinzipien könnte sie diese Version noch immer umsetzen.

Zweifellos weiß die Kanzlerin, dass Tyrannen ihr Verhalten meist nur dann ändern, wenn andere ihnen die Stirn bieten– oder wenn sie Konsequenzen zu fürchten haben. Sie weiß sicher auch, dass der einzige Rechtsstaatsmechanismus, den Orbán akzeptieren würde, für den Schutz der demokratischen Werte Europas nutzlos wäre.

Ungarn kann den EU-Haushalt gar nicht blockieren

Doch Orbáns Drohung ist vorrangig ein Bluff. Nur der Mehrjahreshaushalt der EU muss einstimmig verabschiedet werden. Der Konditionalitätsmechanismus ist ein separater Rechtstext,

für dessen Annahme nur eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Ungarns Drohung, ein Veto gegen den Haushalt einzulegen, kann mit ausreichend politischem Willen überwunden werden, indem die Zusammenlegung der beiden Abstimmungen abgelehnt wird und diese getrennt stattfinden, wie in den unterschiedlichen Abstimmungsverfahren vorgesehen.

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