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(Jakarta, 4. Mai 2010) – Das indonesische Parlament soll eine Reihe von Gesetzen widerrufen, durch die einflussreiche Personen, insbesondere Staatsbeamte, rechtlich gegen Aktivisten, Journalisten, Verbraucher und andere Personen vorgehen können, von denen sie kritisiert werden, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 91-seitige Bericht „Turning Critics into Criminals: The Human Rights Consequences of Criminal Defamation Law in Indonesia“ dokumentiert, wie Gesetze gegen Verleumdung, üble Nachrede und Beleidigung verwendet wurden, um öffentliche Kritik zu unterbinden. So wurden Strafanzeigen wegen Verleumdung gegen Personen erstattet, die gegen Korruption demonstriert, in Leserbriefen über Betrug geklagt, Beschwerden bei den Behörden eingereicht oder in den Medien über brisante Themen berichtet hatten.

„In den Händen derer, die kritische Stimmen in Indonesien zum Schweigen bringen möchten, ist der Straftatbestand der Verleumdung ein schlagkräftiges Instrument“, so Elaine Pearson, stellvertretende Leiterin der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Statt Menschen zu bestrafen, die auf Missstände aufmerksam machen und ihre Anliegen friedlich vortragen, soll die Regierung sie ermutigen, ihre Meinung frei zu äußern.“

In einem Großteil der in dem Bericht untersuchten Verleumdungsfälle haben die Beschwerdeführer offenbar die Strafanzeigen dazu genutzt, sich an Menschen zu rächen, die einflussreichen Interessengruppen oder Regierungsvertretern Korruption, Betrug oder anderes Fehlverhalten vorgeworfen hatten. Die Behörden sollen bei ihren Ermittlungen zu den Verleumdungsvorwürfen mit missbräuchlichen und einschüchternden Methoden vorgegangen sein.

In einem Fall erhob die oberste Staatsanwaltschaft Anklage gegen Antikorruptions-Aktivisten, die mögliche Ungereimtheiten bei der Verbuchung von Geldern aus Bestechungsfällen in den Büchern der Behörde entdeckt hatten. Die Polizei leitete zunächst keine Ermittlungen ein, lud die Aktivisten jedoch neun Monate später zum Verhör, nachdem diese im Rahmen einer anderen Antikorruptions-Kampagne den Rücktritt des Polizeichefs gefordert hatten.

Prita Mulyasari wurde drei Wochen lang inhaftiert und von ihren Kleinkindern getrennt. Gegen sie wurde ein zwölf Monate dauernder Prozess geführt, weil sie in einer E-Mail an Freunde und Bekannte über die medizinische Behandlung geklagt hatte, die sie in einem Krankenhaus erhalten hatte. Der erfahrene Journalist Bersihar Lubis wurde wegen Verleumdung verurteilt, weil er in einem Meinungsartikel kritisiert hatte, dass der Generalbundesanwalt ein Geschichtslehrbuch für weiterführende Schulen verboten hatte.

Strafanzeigen und Ermittlungen wegen Verleumdung können drastische Auswirkungen für die Beschuldigten haben. Manche Personen, die wegen Verleumdung angeklagt worden waren, verloren ihren Arbeitsplatz und hatten Schwierigkeiten, eine neue Beschäftigung zu finden. Andere erlitten berufliche Rückschläge durch langwierige Ermittlungsverfahren, die sich mitunter über Jahre hinzogen. Einige Betroffene schilderten, wie ihre persönlichen und beruflichen Beziehungen unter dem Stigma des Strafverfahrens und der drohenden Verurteilung litten. Etliche Beschuldigte wurden wie Risang Bima Wijaya schuldig gesprochen und inhaftiert.

Die Recherchen von Human Rights Watch ergaben, dass die Verleumdungsklagen dazu führen, dass kritische Gedanken und Meinungen nicht mehr geäußert werden. Im Gespräch mit Human Rights Watch sagte Risang Bima Wijaya: „Es war wie eine ansteckende Krankheit, als andere Journalisten [von seiner Verurteilung] erfuhren.“

Im Jahr 2008 verabschiedete das indonesische Parlament ein neues Internetgesetz, das die bislang schärfsten Strafen für üble Nachrede im Internet vorsieht. Die langen Haftstrafen und hohen Bußgelder stellen eine wachsende Gefahr für Bürger dar, die ihre Meinungen im Internet äußern. Prita Mulyasari erlebte dies auf schmerzliche Weise, als sie wegen einer einzigen angeblich verleumderischen E-Mail ins Gefängnis kam.

„Ermittlungen und Strafverfahren im Rahmen den Verleumdungsgesetze können katastrophale Folgen für die Beschuldigten haben“, so Pearson. „Angesichts der drohenden Haftstrafen überlegt man sich zweimal, Korruption und Fehlverhalten zu kritisieren.“

Im indonesischen Recht gibt es eine Reihe vage gefasster Paragraphen zum Straftatbestand der Verleumdung. Das Strafrecht verbietet es, vorsätzlich Äußerungen zu verbreiten, die den Ruf einer Person schädigen, oft sogar dann, wenn die Äußerungen wahrheitsgemäß sind. Die Gesetze sehen höhere Strafen für die Verleumdung eines Beamten vor als für andere Personen. Zudem können auch zutreffende Aussagen über einen Beamten als „Beleidigung“ bestraft werden. Nach dem neuen Internetgesetz können verleumderische Aussagen, die im Internet übermittelt werden, Haftstrafen von bis zu sechs Jahren und Bußgelder von bis zu einer Milliarde Rupiah (etwa 80.000 Euro) nach sich ziehen.

Internationale Menschenrechtsverträge erlauben einem Staat zwar, die freie Meinungsäußerung zum Schutz des Rufs einzelner Bürger einzuschränken; sie verlangen jedoch gleichzeitig, dass solche Einschränkungen notwendig und in ihrem Ausmaß begrenzt sind. Nach Auffassung von Human Rights Watch sind strafrechtliche Sanktionen generell ein unangemessenes Rechtsmittel, um gegen die Schädigung des Rufs einer Person vorzugehen.

Human Rights Watch appellierte an die indonesische Regierung, die Verleumdungs-Paragraphen außer Kraft zu setzen und sie durch zivilrechtliche Bestimmungen zu ersetzen, die einen angemessenen Schutz der freien Meinungsäußerung vor unnötigen Einschränkungen enthalten. Bis zum Inkrafttreten neuer Gesetze sollen insbesondere Beamte von Strafanzeigen wegen Verleumdung absehen, wenn sich Anschuldigungen gegen sie auf tatsächliche oder mutmaßliche Amtshandlungen beziehen.

„Strafgesetze gegen Verleumdung untergraben die Demokratie, den Rechtsstaat und die freie Meinungsäußerung in Indonesien“, so Pearson. „Die Regierung darf Menschen, die den Mut haben ihre Meinung zu sagen, nicht ins Gefängnis schicken.“

Aussagen von Personen, die in Indonesien wegen Verleumdung strafrechtlich verfolgt bzw. verurteilt wurden:

„Als ich mit dem Demonstrieren anfing, dachte ich nicht, dass dies gegen das Gesetz verstoße. Über Korruption zu berichten, ist nichts Kriminelles, doch als ich es tat, wurde ich angeklagt... Weil wir vor Gericht standen, bezeichneten die Leute uns als Kriminelle. Selbst der Leiter der Bezirksverwaltung nannte uns eine ‚illegale Organisation‘. Eine Gruppe sagte, unsere Organisation sollte aufgelöst werden, weil wir uns kriminell verhalten hätten... Jetzt ist es schwierig, mit anderen Organisationen zusammen zu arbeiten. Ich war so enttäuscht. Ich fühlte mich wie ein Staatsfeind, und ich fühle mich noch immer so.“

- Zamzam Zamaludin, Berater einer Studentengruppe gegen Korruption, der im Zusammenhang mit einer Demonstration in Tasikmalaya der Gruppe im Juli 2008 wegen Verleumdung angeklagt wurde

„Den Leuten fällt es schwer, uns zu verstehen. Sie sagen, wir sollten uns nicht in Schwierigkeiten bringen. Sie verstehen nicht, dass wir für unsere Rechte kämpfen. Wir sind über 40 Jahre alt, und es ist das erste Mal, dass wir mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Wir waren noch nie zuvor auf einer Polizeiwache gewesen und dann das alles... Ich habe Angst, dass wir ins Gefängnis müssen, wenn wir irgendetwas unternehmen.“

- Kwee „Winny“ Meng Luan, der im Juli 2009 wegen Verleumdung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, weil er in Leserbriefen über einen angeblichen Immobilienbetrug beim Verkauf eines Geschäfts in Jakarta geschrieben hatte


„Ich habe nicht das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben. Ich glaube, die Regierung funktioniert nicht mehr. Warum sollte man Menschen, die Fragen stellen, in dieser Weise verdächtigen? Meine Familie macht sich Sorgen, dass ich verurteilt und ins Gefängnis geschickt werde.“

- Tukijo, ein Bauer, der wegen Verleumdung angeklagt wurde, weil er einen Lokalbeamten gebeten hatte, die Ergebnisse der Wertfeststellung für ein Grundstück offenzulegen; er wurde Anfang 2010, nach seinem Interview mit Human Rights Watch, schuldig gesprochen.


„Ich schickte einigen Freunden eine private E-Mail über das, was tatsächlich geschehen war, und plötzlich erklärte man mich zu einer Kriminellen. Ich musste ins Gefängnis und vor Gericht... Ich mache mir Sorgen um meine Zukunft... Ich möchte mit meinem Leben weitermachen... Ich möchte nicht, dass meine Kinder erfahren, dass ihre Mutter im Gefängnis war... Wenn ich durch das Einkaufszentrum gehe, fühle ich mich immer noch wie ein Ex-Häftling... Ich fühle mich minderwertig... Ich weiß nicht, wie ich mich noch einmal beschweren könnte.“

- Prita Mulyasari, die im Jahr 2009 wegen des Vorwurfs der Verleumdung in Jakarta festgenommen und vor Gericht gestellt wurde, weil sie in einer E-Mail an Freunde Ärzte kritisiert hatte, die sie bei einem Krankenhausaufenthalt behandelt hatten

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