Hast du jemals soziale Medien genutzt, um dich über etwas zu beschweren, das dich stört? Ich auf jedenfalls schon.
Vielleicht hast du über Polizeiübergriffe in deinem Land oder ein gesellschaftspolitisches Problem gepostet, zum Beispiel über Armut?
In Vietnam ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass du dafür verurteilt und ins Gefängnis gesteckt werden könntest.
Le Minh The hat in sozialen Medien gesellschaftspolitische Themen wie wirtschaftliche Entwicklung, Korruption, Armut und Landrechte diskutiert. Seine Meinung zu äußern, brachte ihm zwischen 2018 und 2020 21 Monate Gefängnis ein.
Im Jahr 2023 wurde er erneut verhaftet, verurteilt und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, ebenfalls für seine Kritik an den Behörden.
Seine jüngere Schwester, Le Thi Binh, saß zwischen 2020 und 2022 ebenfalls zwei Jahre im Gefängnis, weil sie Inhalte „gepostet, per Livestream übertragen und geteilt“ hatte, die die staatliche Politik „diffamieren“.
Dies alles geschieht unter Artikel 331 des vietnamesischen Strafgesetzbuchs, dem Gesetz über die „Verletzung staatlicher Interessen“. Dieses Gesetz wird von den vietnamesischen Behörden missbraucht, um Menschen zu bestrafen, die lediglich Bedenken oder Beschwerden über die Regierungspolitik oder lokale Beamt*innen äußern.
In der Vergangenheit waren die Menschen, die nach diesem Gesetz verurteilt wurden, oft Blogger*innen oder Menschenrechtsaktivist*innen: Jene, die die Regierung zum Schweigen bringen wollte, die aber nicht als Bedrohung für das Machtmonopol der Kommunistischen Partei angesehen wurden. Sie wurden für Straftaten verurteilt, die weniger schwerwiegend waren als Straftaten gegen die nationale Sicherheit.
Jetzt wird Artikel 331 des Strafgesetzbuches von der Regierung zunehmend dazu benutzt, um ganz normale Menschen ins Visier zu nehmen, die sich über die Regierung beschweren oder ihre Meinung äußern, so wie es Le Minh The tat.
Human Rights Watch stellte fest, dass die Behörden den Geltungsbereich und die Anwendung von Artikel 331 ausgeweitet haben, so dass er viel weiter in die Gesellschaft hineinreicht. Infolgedessen müssen nun auch ganz normale Menschen mit Verhaftungen und bis zu sieben Jahren Gefängnis rechnen, wenn sie Kritik an einfachen Funktionären üben.
Die Eskalation der Verhaftungen und Verurteilungen ist messbar. HRW hat Dutzende von vietnamesischen Gerichtsdokumenten, zahlreiche Medienquellen und Hunderte von Posts und Videos in sozialen Medien untersucht.
Zwischen 2018 und Februar 2025 haben vietnamesische Gerichte mindestens 124 Personen zu harten Haftstrafen nach Artikel 331 verurteilt. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber den letzten sechs Jahren (2011-2017), in denen Berichten zufolge nur 28 Personen wegen Verstößen gegen den Vorgängerartikel 331 zu Haftstrafen verurteilt wurden.
Soziale Medien und andere Mittel, um Themen wie Religionsfreiheit, Landrechte, Rechte Indigener Völker und Korruption der vietnamesischen Regierung öffentlich zur Sprache zu bringen, verletzen nicht die staatlichen Interessen. Vielmehr ist Artikel 331 zum praktischen Instrument der Regierung geworden, um die Grundrechte der vietnamesischen Bürger*innen zu verletzen.
Die Behörden sollten die systematische Unterdrückung sofort beenden und alle Personen freilassen, die wegen der Ausübung ihrer Grundrechte inhaftiert wurden.