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Ein Kompromiss ist besser als ein Scheitern

Die Reform des UN-Menschenrechtsrats gelingt nur dann, wenn sie sich am politisch Machbaren orientiert

Normalerweise sind es Politiker oder Regierungen, welche die Öffentlichkeit daran erinnern, dass die hohe Kunst der Politik häufig aus der Akzeptanz von Kompromissen besteht.
Doch im Fall des Menschenrechtsrats, mit dem die Vereinten Nationen die diskreditierte Menschenrechtskommission in Genf ablösen wollen, sind es die Menschenrechtsaktivisten, die sich nun als Realpolitiker erweisen. Sie befürworten den in monatelangen Verhandlungen mühsam von Jan Eliasson, dem schwedischen Präsidenten der Generalversammlung ausgehandelten Kompromiss zur Einrichtung des Menschenrechtsrats, obwohl auch dieser weit hinter ihren Erwartungen zurückbleibt. Die amerikanische Regierung aber, dieursprünglich die Forderung nach einem neuen Menschenrechtsrat unterstützt hatte, lehnt den Kompromiss nun mit eben dieser Begründung ab.

US-Regierung und Menschenrechtler sind sich aber mit dem Generalsekretär der UN, Kofi Annan, und anderen westlichen Regierungen darin einig, dass die Menschenrechtskommission in Genf dringend abgelöst werden muss. Denn sie weist gravierende Mängel auf. Zum einen sind in der Kommission seit einigen Jahren immer mehr so genannte Schurkenstaaten vertreten – Länder wie Sudan, China oder Simbabwe also, welche die Menschenrechte mit Füßen treten, sich aber gegenseitig vor Kritik schützen getreu der Devise: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Zum anderen tagt die Kommission nur einmal im Frühjahr für sechs Wochen. Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen wie das Massaker von Andischan in Usbekistan im Mai 2005 oder andere, im Verlauf des Jahres auftretenden Katastrophen können erst mit großer zeitlicher Verzögerung behandelt werden. Weil so viele Schurkenstaaten Mitglied sind, halten die USA, Kanada und Australien die Kommission inzwischen für eine derartige Farce, dass sie an der am Montag beginnenden 62. Sitzung nicht einmal mehr teilnehmen wollen.

Die Amerikaner kritisieren, dass der neue Rat nicht – wie zunächst vorgesehen war – von zwei Dritteln der UN-Mitglieder gewählt wird. Auch Human Rights Watch teilt diese Kritik. Doch eine Zweidrittel-Mehrheit war in den langwierigen Verhandlungen nicht durchzusetzen. Der von Eliasson ausgehandelte Kompromiss sieht nun vor, dass die Mitglieder des Menschenrechtsrats mit einfacher Mehrheit von den 191 UN-Mitgliedern gewählt werden – und nicht mehr nur von den 54 Mitgliedern des Wirtschafts- und Sozialrates, wie bisher.

Immerhin: Erstmals in der Geschichte der UN soll die Menschenrechtspraxis der Kandidaten nicht nur vor ihrer Wahl auf Herz und Nieren überprüft werden. Bereits in den Menschenrechtsrat aufgenommene Länder können wegen schwerwiegender Verletzungen wieder ausgeschlossen werden. Überhaupt soll die Menschenrechtspraxis der Mitgliedstaaten regelmäßig überprüft werden. Auch das ist eine Verbesserung gegenüber der bisherigen Praxis.

Eine weitere Errungenschaft ist die Tatsache, dass der neue Rat mindestens drei Mal im Jahr tagen soll. Sondersitzungen können jetzt bereits einberufen werden, wenn ein Drittel der 47 Mitgliedsstaaten dafür stimmen. Damit kann der Menschenrechtsrat schneller auf aktuelle Krisen reagieren. Auch sollen die besten Elemente der Menschenrechtskommission beibehalten werden, etwa die Sonderermittler, die Menschenrechtsverletzungen in einzelnen Ländern untersuchen, aber auch die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen. Allerdings werden beide Punkte nach Ablauf von einem Jahr auf den Prüfstand gestellt. Die westlichen Länder, vor allem die EU-Mitgliedstaaten, werden dafür sorgen müssen, dass diese Errungenschaften auch tatsächlich erhalten bleiben.

Die Europäische Union hat sich für den Eliasson-Vorschlag ausgesprochen, selbst wenn in einzelnen Mitgliedsländern hinter den Kulissen Unbehagen zu vernehmen ist. Auch Friedensnobelpreisträger wie Jimmy Carter, Schirin Ebadi und Desmond Tutu haben sich dafür eingesetzt und fordern die US-Regierung auf, zuzustimmen. Nicht nur sie sind fest davon überzeugt, dass dieser Kompromiss das Beste ist, was in den schwierigen Verhandlungen zu erreichen war. Es gab Phasen, in denen zu befürchten war, dass weit weniger erreicht werden könnte. Wenn jetzt das bereits ausgehandelte Paket wieder aufgeschnürt würde, wäre das gefährlich und käme dem Öffnen der Büchse der Pandora gleich.

Schon im Laufe der Verhandlungen haben Länder wie Pakistan oder Ägypten mit allen Mitteln versucht, jegliche Verbesserung gegenüber der bestehenden Menschenrechtskommission abzuwehren. Andere Staaten, unter anderem Kuba, hatten bereits weitere Änderungswünsche angekündigt, die nach dem amerikanischen Nein sicher wieder auftauchen werden, aber den Menschenrechtsrat erheblich schwächen würden. Wird das Paket wieder aufgeschnürt, stehen auch diese Forderungen wieder auf der Tagesordnung. Wenn der amerikanische UN-Botschafter John Bolton nun meint, jetzt müssten die eigentlichen Verhandlungen beginnen, mag dies vielleicht daran liegen, dass er an den 30 Verhandlungsrunden in den letzten fünf Monaten nur ein einziges Mal teilgenommen hat – und auch nur für eine halbe Stunde,wie Beobachter aus New York berichten. Seine Forderung, dass die fünf Mitglieder des Sicherheitsrates im neuen Menschenrechtsrat permanent vertreten sein müssten, wirkt in Anbetracht der Tatsache, dass dann auch China und Russland automatisch mit amTisch säßen, wenig überzeugend. Kein Land, auch nicht die USA, sollten dauerhaft im neuen Menschenrechtsrat vertreten sein. Jedes Land kann zwei Mal für einen Zeitraum von drei Jahren gewählt werden, muss dann aber ein Jahr aussetzen. Da aber für Westeuropa und Nordamerika insgesamt ohnehin nur sieben der 47 Sitze vorgesehen sind, dürfte es ein erhebliches Gerangel um die spärlichen Restplätze geben. Ironischerweise könnte Deutschland ein erstes Opfer dieser neuen Regelung werden, obwohl es sich hinter den Kulissen im Rahmen der Europäischen Union für den Menschenrechtsrat eingesetzt hat, und es durchaus Sinn machen würde, wenn wenigstens jeweils derjenige europäische Staat vertreten ist, der die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Und das wird 2007 die Bundesrepublik sein.

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