Skip to main content
Jetzt Spenden

Jahrestag der gebrochenen Versprechen

Afghanische Frauen widersetzen sich den Taliban - Deutschland sollte den gleichen Mut aufbringen

Veröffentlicht in: Frankfurter Rundschau
Afghanische Frauen demonstrieren in der Innenstadt von Kabul, Afghanistan, August 13, 2022. © 2022 Oriane Zerah/Abaca/Sipa USA via AP Photo

Heute ist es vier Jahre her, dass die Taliban in Afghanistan wieder die Macht ergriffen haben. Für mich und Millionen anderer Afghan:innen, deren Alltag oft von Hunger, Unterdrückung und Angst geprägt ist, ist das ein düsterer Jahrestag. Besonders für Frauen und Mädchen, die ständig mit der Erosion ihrer Freiheiten zu kämpfen haben. Aber es ist auch ein Jahrestag der gebrochenen Versprechen westlicher Demokratien wie Deutschland, die sich in Afghanistan mit Verheißungen von Schutz und Zuflucht für gefährdete Menschen engagiert hatten.

All das scheint in der deutschen Debatte kaum wahrgenommen zu werden. Nach der Machtübernahme der Taliban vor vier Jahren stellte Deutschland die Abschiebungen nach Afghanistan zwar ein. Doch im August letzten Jahres wurden erstmals wieder 28 Afghanen abgeschoben. Am 18. Juli wurden 81 Menschen in das Land gebracht – nur wenige Tage, nachdem der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Haftbefehle gegen führende Taliban-Vertreter wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Verfolgung von Frauen und Mädchen erlassen hat. Eine Tragödie für die Betroffenen und ein katastrophales Zeichen der Normalisierung der Situation in Afghanistan.

Bundeskanzler Friedrich Merz hat unterdessen weitere Abschiebungen angekündigt. Obwohl Deutschland die Taliban nicht als Führungsmacht anerkennt, gibt es „technische Kontakte“ bezüglich der Abschiebungen, die von Katar unterstützt werden – ein fataler Schritt für alle Afghan:innen.

Afghanistan steht derzeit vor einer der schlimmsten humanitären Krisen der Welt. Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung – rund 23 Millionen Menschen – sind auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. Die massive Kürzung der US-Hilfen unter der Trump-Regierung – über 40 % der humanitären Unterstützung für Afghanistan – hat zur Schließung Hunderter Kliniken geführt. Lebenswichtige Ernährungsprogramme wurden eingestellt, die Unterernährungsrate bei Kindern steigt rapide. Die Vereinten Nationen warnen vor einer drohenden Hungersnot.

Als afghanische Frau sehe ich die systematischen Menschenrechtsverletzungen der Taliban gegen Frauen und Mädchen in Afghanistan als Angriff auf die Rechte von Frauen weltweit, die ein entschlossenes Handeln der internationalen Gemeinschaft erfordern. Frauen und Mädchen ist der weiterführende Schulbesuch oder ein Studium verboten, genauso die meisten Berufe. Die „Sittenpolizei“ der Taliban nimmt regelmäßig Frauen fest und bestraft sie für solche vermeintlichen „Verbrechen“.

Das UN-Flüchtlingswerk hat ausdrücklich erklärt, dass Afghanistan kein sicheres Rückkehrland für Geflüchtete ist. Trotzdem haben Iran und Pakistan im letzten Jahr fast zwei Millionen Menschen abgeschoben. Anstatt über Abschiebungen zu sinnieren, sollte die Bundesregierung über ihre eigene humanitäre und politische Verantwortung nachdenken und Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte ergreifen. Ansatzpunkte dafür gibt es, etwa die Initiative, die Taliban für ihre Verstöße gegen die UN-Konvention zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen (Cedaw) zur Rechenschaft zu ziehen.

Deutschland sollte außerdem alles in seiner Macht Stehende tun, um den Internationalen Strafgerichtshof politisch und praktisch zu unterstützen. Eine Koalition afghanischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen forderte im vergangenen Jahr erneut vom UN-Menschenrechtsrat die Einrichtung eines unabhängigen Mechanismus zur Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverbrechen in Afghanistan. Ziel ist es, Beweise zu sichern und Strafverfolgung zu ermöglichen.

Der Jahrestag der Machtübernahme der Taliban erinnert an die gebrochenen Versprechen der internationalen Gemeinschaft. Aber auch nach vier Jahren haben wir Afghaninnen und Afghanen die Hoffnung nicht aufgegeben. Wir leisten weiterhin Widerstand gegen die Unterdrückung, bilden unsere Mädchen in Untergrundschulen aus, erheben unsere Stimmen – trotz der immensen Gefahr für unser Leben – und geben die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für Afghanistan nicht auf.

Das erfordert Mut. Eine Eigenschaft, die afghanische Frauen in beeindruckendem Maße besitzen. Ich fordere daher die deutsche Bundesregierung auf, mehr Mut zu zeigen. Den Mut, Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan klar zu verurteilen, sich unmissverständlich für internationale Justiz einzusetzen, populistischen Mythen über Geflüchtete aus Afghanistan entgegenzutreten und ihre eigene Handlungspflicht anzuerkennen.

GIVING TUESDAY MATCH EXTENDED:

Did you miss Giving Tuesday? Our special 3X match has been EXTENDED through Friday at midnight. Your gift will now go three times further to help HRW investigate violations, expose what's happening on the ground and push for change.
Region/Land