Update: Die Liste der Mitunterzeichner wurde am Donnerstag, dem 10. April, aktualisiert und umfasst nun 69 Organisationen.
(Brüssel, 4. April 2025) – Die Europäische Union sollte den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) verteidigen, dessen Mandat und Auftrag aktuell ernsthaft in Gefahr sind, erklärten heute 58 Nichtregierungsorganisationen. Die Angriffe auf den IStGH könnten überall auf der Welt verhindern, dass die Opfer schwerer internationaler Verbrechen Gerechtigkeit erfahren. Die EU muss dringend tätig werden, um die internationale, regelbasierte Ordnung aufrechtzuerhalten.
Der IStGH ist der Grundpfeiler eines umfassenden Menschenrechtsschutzsystems und das letztmögliche juristische Mittel, wenn andere Wege zur Gerechtigkeit versperrt sind. Die jüngste Verhaftung und Überstellung des ehemaligen Präsidenten der Philippinen, Rodrigo Duterte, der sich vor dem IStGH wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten muss, zeigt, was der Gerichtshof bewirken kann und wie wichtig er ist, um die Verantwortlichen von schwersten Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten setzen sich seit Langem nachdrücklich für den IStGH ein und sind rechtsverbindliche Verpflichtungen zur Förderung der Universalität und Integrität des Gründungsvertrags des Gerichtshofs, dem Römischen Statut, eingegangen. Die EU hat sich verpflichtet, sich für die Kooperation mit dem IStGH, dessen Unabhängigkeit und die Umsetzung des Grundsatzes der Komplementarität einzusetzen. Dieser stellt sicher, dass der IStGH nur dann tätig wird, wenn nationale Gerichte nicht willens oder in der Lage sind, internationale Verbrechen ernsthaft zu untersuchen und gegebenenfalls zu verfolgen. Diese entschlossene Unterstützung war eine der Grundvoraussetzungen für die Arbeit des IStGH seit seiner Gründung vor mehr als 20 Jahren.
Am 6. Februar 2025 ordnete US-Präsident Donald Trump per Dekret das Einfrieren von Vermögenswerten und Einreiseverbote für IStGH-Mitglieder und andere Personen an, die die Arbeit des Gerichtshofs unterstützen. Die gegen den IStGH gerichteten US-Sanktionen sind ein Affront gegen Opfer von Verbrechen und ihre Familien. Es darf keine Sanktionen für die Arbeit von Staatsanwält*innen, Richter*innen und andere Personen geben, die unabhängig und unparteiisch helfen, die Verantwortlichen für internationale Gräueltaten juristisch zur Rechenschaft zu ziehen.
Die USA haben kraft der Anordnung vom 6. Februar Sanktionen gegen den IStGH-Chefankläger Karim Khan erlassen und könnten weitere Strafmaßnahmen verhängen, um Ermittlungen des IStGH zu behindern, die sie ablehnen. Die US-Sanktionen haben nicht nur für die direkt Betroffenen schwere Konsequenzen. Sie könnten dazu führen, dass der Gerichtshof den Zugang zu wesentlichen Diensten verliert, die er zur Erfüllung seines Mandats benötigt. Das Dekret soll aber offenbar nicht nur Mitglieder des Gerichtshofs und dessen Ermittler*innen einschüchtern, sondern generell eine abschreckende Wirkung auf alle haben, die mit dem IStGH zusammenarbeiten, wie etwa zivilgesellschaftliche Organisationen, die Opfer unterstützen.
Während die meisten EU-Mitgliedstaaten die US-Sanktionen in nationalen und gemeinsamen Erklärungen verurteilt haben, ist die Ablehnung durch die EU als Ganzes in einer offiziellen Erklärung bisher ausgeblieben. Das steht im deutlichen Gegensatz zu ihrer klaren Positionierung nach der Verhängung ähnlicher Sanktionen in Trumps erster Amtszeit im Jahr 2020. Die Bekräftigung des Mandats des IStGH ist zwar zu begrüßen, doch sollte die EU auch klar und deutlich ihre Ablehnung der US-Sanktionen gegen den Gerichtshof zum Ausdruck bringen. Sie sollte signalisieren, dass diese Konsequenzen haben werden, und die USA auffordern, das Dekret zurückzunehmen.
Die EU sollte den US-Sanktionen unverzüglich mit Rückgriff auf die Blocking-Verordnung begegnen. Dieses Instrument zielt darauf ab, Wirtschaftsbeteiligte aus der EU vor den Auswirkungen extraterritorialer Sanktionen zu schützen, und könnte dazu beitragen, dass der Gerichtshof seine Arbeit ungehindert fortsetzen kann. Die Europäische Kommission, der Europäische Auswärtige Dienst und die EU-Mitgliedstaaten sollten darüber hinaus weitere Maßnahmen entwickeln, um die Konsequenzen der Sanktionen für den Internationalen Strafgerichtshof abzufedern. Der IStGH selbst, das Europäische Parlament, eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten und zivilgesellschaftliche Organisationen haben die Europäische Kommission bereits aufgefordert, die Blocking-Verordnung zu aktivieren.
Dies sind nur einige der vielen Bedrohungen, denen der IStGH und die Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich vor dem Gerichtshof für Gerechtigkeit einsetzen, ausgesetzt sind. Auch die Russische Föderation hat als Vergeltung für den Haftbefehl gegen Präsident Wladimir Putin wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine Haftbefehle gegen IStGH-Beamt*innen erlassen. Gleichzeitig hat die russische Regierung bereits Gesetze erlassen, die die Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof unter Strafe stellen. Auch die israelischen Behörden erwägen diesen Schritt. Darüber hinaus hat der Gerichtshof immer noch mit den Folgen des ausgeklügelten Cyberangriffs vom Jahr 2023 zu kämpfen. Außerdem wird Israel vorgeworfen, den Gerichtshof neun Jahre lang ausgespäht zu haben.
Wenn die EU-Mitgliedstaaten die drohenden Rechtsbrüche abwenden wollen, müssen sie mit gutem Beispiel vorangehen und ihre eigenen Verpflichtungen aus dem Römischen Statut erfüllen, so die Nichtregierungsorganisationen. Im September verurteilte die EU die Mongolei zu Recht dafür, ihrer Verpflichtung als IStGH-Mitglied nicht nachgekommen zu sein, Putin zu verhaften, gegen den ein Haftbefehl vorliegt.
Am 2. April reiste der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu auf Einladung des ungarischen Ministerpräsidenten zu einem mehrtägigen Besuch nach Ungarn. Die ungarische Regierung kündigte am folgenden Tag an, offiziell aus dem IStGH austreten und das entsprechende, im Römischen Statut festgelegte Verfahren einleiten zu wollen. Auch am 4. April hatte Ungarn Netanjahu nicht verhaftet und an den IStGH ausgeliefert und sich damit über den Haftbefehl gegen diesen wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza sowie über die eigenen Verpflichtungen gegenüber dem IStGH hinweggesetzt.
Leider haben kürzlich mehrere andere EU-Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, Polen, Italien, Rumänien und Deutschland, ausdrücklich erklärt, dass sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommen würden bzw. den Haftbefehl des Gerichtshofs gegen Netanjahu nicht vollstrecken würden. Italien hat außerdem einen international gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher zurück nach Libyen geschickt und sich damit ebenfalls über einen Haftbefehl des IStGH hinweggesetzt.
Ohne Kooperation und Durchsetzung von Haftbefehlen kann es keine Gerechtigkeit vor dem IStGH geben. Ambivalente oder sogar negative Aussagen in Bezug auf die Gültigkeit von IStGH-Urteilen untergraben das Recht, die Praxis und den Einsatz der EU für internationale Gerechtigkeit. Eine selektive Durchsetzung vermittelt die Botschaft, dass das Recht nicht für alle gilt.
Die NROs fordern die EU-Akteure zu entschlossenem Handeln auf. Mit folgenden Maßnahmen sollten sie ihr Engagement für den Schutz der internationalen Rechtsordnung bekräftigen:
- Die EU-Führung, einschließlich der Kommissionspräsidentin von der Leyen, der Hohen Vertreterin Kaja Kallas und des Ratspräsidenten António Costa, sollte alle EU-Regierungen auffordern, die Haltung der EU zum IStGH zu respektieren, etwa in Bezug auf Zusammenarbeit, die universelle Gültigkeit des Römischen Statuts und die Wahrung der Unabhängigkeit des Gerichtshofs, und ihren Verpflichtungen zum Schutz, zur Aufrechterhaltung und zur Durchsetzung der Urteile des Gerichtshofs nachzukommen.
- Die EU, insbesondere durch die Hohe Vertreterin Kallas und den EU-Rat, sollte die US-Sanktionen gegen den IStGH öffentlich verurteilen und ihre uneingeschränkte Unterstützung für den Gerichtshof und seine Unabhängigkeit bekräftigen sowie die USA auffordern, das Dekret für Sanktionen zurückzunehmen.
- Die EU-Kommission sollte die EU-Blocking-Verordnung so schnell wie möglich aktivieren und die im US-Dekret vorgesehenen Sanktionen gegen IStGH-Mitglieder darin aufnehmen, und zusätzliche Maßnahmen ausarbeiten, die den Gerichtshof schützen und der abschreckenden Wirkung von Sanktionen gegen Personen entgegenwirken, die mit dem IStGH zusammenarbeiten.
- Die EU-Mitgliedstaaten sollten unmissverständlich bekräftigen, dass sie alle rechtlichen Verpflichtungen, die aus dem Römischen Statut erwachsen, unter jeglichen Umständen vor dem IStGH erfüllen werden. Dazu gehört auch die Vollstreckung von Haftbefehlen des IStGH. Die EU-Führung sollte keine Mühen scheuen, die Mitgliedstaaten an ihre rechtlichen Verpflichtungen zur Zusammenarbeit mit dem IStGH zu erinnern und Maßnahmen zu ergreifen, um jeden Fall von Nichtkooperation mit dem IStGH zu verhindern und entsprechend darauf zu reagieren.
Die unterstützenden Organisationen sind:
11.11.11
ACT Alliance EU
Adala For All
Advocates for the Future
Africa Legal Aid (AFLA)
Al Mezan Center for Human Rights
Al-Haq
Al-Haq Europe
Aman Against Discrimination - AAD
Amnesty International
Armanshahr|OPEN ASIA
Avocats Sans Frontières
Bir Duino Kyrgyzstan
Broederlijk Delen
B’Tselem
Cairo Institute for Human Rights Studies (CIHRS)
CCFD-Terre Solidaire
Center for Constitutional Rights
CIDSE – International family of Catholic social justice organisations
Civil Rights Defenders
CNCD-11.11.11
Coalition Française pour la Cour pénale internationale (CFCPI)
Committee on the Administration of Justice (CAJ)
Committee to Protect Journalists
Croatian Helsinki Committee
DIGNITY - Danish Institute Against Torture
Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR)
Entraide et Fraternité
EuroMed Rights
European Center for Constitutional and Human Rights, ECCHR
Foundation Sunflowers
Fundación Chile Sin Ecocidio
Fundación Internacional Baltasar Garzón –FIBGAR–
Global Initiative Against Impunity for International Crimes and Serious Human Rights Violations
Global Legal Action Network
Human Rights House Foundation
Human Rights Watch
Human Rights Without Frontiers
Institute for Environmental Security
International Commission of Jurists
International Federation for Human Rights (FIDH)
International Service for Human Rights (ISHR)
Lebanese Center for Human Rights (CLDH)
MEDEL (Magistrats Européens pour la Démocratie et les libertés)
Netherlands Helsinki Committee
No Peace Without Justice
Nürnberger Menschenrechtszentrum
Organisation Mondiale Contre la Torture (OMCT)
Palestinian Centre for Human Rights
Parliamentarians for Global Action
Pax Christi International
Physicians for Human Rights Israel
Platform for Peace and Humanity
Protection International
REDRESS
Rechters voor Rechters
Reporters Sans Frontières (RSF) / Reporters Without Borders (RSF)
Sadaka - the Ireland Palestine Alliance
SOLIDAR
Stichting Stop Ecocide NL
Stop Ecocide Foundation
Swedish Peace and Arbitration Society
Syndicat de la magistrature
Synergy for Justice Stichting
The Finnish League for Human Rights
United Against Inhumanity (UAI)
United Nations Association of Sweden
Women’s Initiatives for Gender Justice
Young European Federalists - JEF Europe