Tausende elektronische Geräte in den Händen und Taschen von Menschen explodieren zu lassen, mag in der Geschichte der Kriegsführung einzigartig sein, dennoch gelten die üblichen Gesetze des humanitären Völkerrechts auch hier.
Am Dienstag explodierten im Libanon und in Teilen Syriens Pager und andere elektronische Geräte – auf Märkten, in Supermärkten und an anderen belebten öffentlichen Orten. Bei den Explosionen wurden mindestens ein Dutzend Menschen getötet, darunter mindestens zwei Kinder und zwei Mitarbeitende des Gesundheitswesens. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums wurden mehr als 2.800 Menschen verletzt.
Gestern kam es dann zu einer neuen Reihe von Explosionen, die wiederum Walkie-Talkies überall im Libanon zum Explodieren brachten, wobei mindestens 20 Menschen getötet und mehr als 450 weitere verletzt wurden.
Die Krankenhäuser im Libanon sind mit den Opfern überfordert. Erwachsene und Kinder mit schweren Verletzungen, die auf die Detonation von Sprengstoff hindeuten, eilten in die Notaufnahmen.
Ziel dieser großflächigen Angriffe waren offenbar Mitglieder und Verbündete der Hisbollah. In einer Erklärung gab die bewaffnete libanesische Gruppe an, dass die Pager „Mitarbeitern verschiedener Hisbollah-Einheiten und -Institutionen“ gehörten. Sie gaben der israelischen Regierung die Schuld für die Explosionen.
US-Beamte und ehemalige israelische Beamte haben ebenfalls erklärt, dass Israel für den Angriff verantwortlich sei. Das israelische Militär hat sich nicht geäußert.
Viele Fragen, auch technischer Art, sind noch offen. Wie ist es überhaupt möglich, unbemerkt Sprengladungen in so viele elektronische Geräte einzubauen?
Eines ist jedoch klar: Solche Angriffe sind völkerrechtwidrig. Diesbezüglich gibt es mindestens einen allgemeinen und einen spezifischen Gesichtspunkt.
Zunächst zum Allgemeinen: Eine der Grundlagen des humanitären Völkerrechts ist, dass alle Kriegsparteien zwischen militärischen Zielen, die legitim sind, und Zivilisten, die es nicht sind, unterscheiden bzw. differenzieren müssen.
Man kann zwar beabsichtigen, einen feindlichen Kämpfer zu töten, aber man kann dies nicht mit einer wahllos einsetzbaren Waffe tun, ohne Rücksicht auf die Zivilisten in der Nähe des Geräts, die ebenfalls getötet oder verletzt werden könnten. Medienberichten zufolge war eines der Opfer ein neunjähriges Mädchen, das den Pager seines Vaters aufhob, als dieser piepste.
In diesem Sinne birgt das gleichzeitige Auslösen von Sprengsätzen in Tausenden persönlichen elektronischen Geräten, ohne zu wissen, wo sie sich befinden und wer sich in ihrer Nähe aufhält, die gleichen Risiken wie Bombenangriffe aus der Luft, bei denen nicht genau hingeschaut wird: Es können sich andere Menschen in der Nähe aufhalten – unschuldige Menschen, Zivilisten, darunter auch Kinder.
Der Angreifer kann nicht im Voraus sehen, wen es treffen wird und wo sich diese Personen befinden. Wird der Sprengsatz auf einem belebten Markt explodieren? Liegt er auf dem Tisch bei einem Familienessen? Hat ein Kind den Pager im Auto gefunden und ihn aufgehoben, um ihn sich genauer anzusehen?
Die Minibomben wurden unter unbekannten Umständen in unbekannten Umgebungen gezündet. Das ist die Definition von willkürlich.
Es gibt hier auch mindestens einen konkreten Punkt, der die Verletzung des humanitären Völkerrechts betrifft. Wie meine Fachkollegin Lama Fakih erklärte: „Das Völkergewohnheitsrecht verbietet den Einsatz von versteckten Sprengfallen – Gegenstände, die für Zivilisten attraktiv sind oder mit dem normalen zivilen Alltagsgebrauch in Verbindung gebracht werden.“
Willkürliche Angriffe und Sprengfallen sind verboten, weil sie Zivilisten einem hohen Risiko aussetzen und zu den verheerenden Szenen führen, die wir diese Woche im Libanon gesehen haben.
Jede Regierung, die sich um die Einhaltung des humanitären Völkerrechts schert, sollte sich auch dafür einsetzen, dass den unschuldigen Opfern dieser Massenbombardierungen Gerechtigkeit widerfährt.