Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar gibt es vermehrt Berichte über Menschen, die ihre Wut über den Krieg an Russ*innen, Belaruss*innen und Ukrainer*innen im eigenen Umfeld auslassen. Medien berichteten häufig über Vorfälle, die sich gegen Russ*innen oder Russisch sprechende Menschen richteten.
Am 30. März stellte Michelle Bachelet, UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, fest, dass „in einer Reihe von Ländern eine wachsende Russophobie zu beobachten ist“. In Deutschland erklärte Innenministerin Nancy Faeser am 5. April, dass die Zahl der Straftaten gegen Russ*innen und russische Einrichtungen zugenommen habe. Mitte April meldete das Bundeskriminalamt (BKA), dass es mehr als 1.700 Straftaten „im Zusammenhang mit dem Krieg“ registriert habe, darunter auch gegen Russ*innen, Ukrainer*innen und Belaruss*innen. Das BKA schrieb an Human Rights Watch, es zähle derzeit etwa 200 solcher Straftaten pro Woche. Diese reichten von „Beleidigungen, Bedrohungen bis hin zu körperlichen Übergriffen. Es kommt auch zu Sachbeschädigungen, etwa zu Farbschmierereien mit entsprechendem Inhalt“. Die Behörden warnen auch vor falschen Berichten über fremdenfeindliche Angriffe als Teil einer russischen Desinformationskampagne.
Seit Kriegsbeginn wurden russische Restaurants in Berlin bedroht, Denkmäler geschändet, auf eine deutsch-russische Schule in Berlin wurde ein Brandanschlag verübt, eine russisch-orthodoxe Kirche wurde mit Flaschen beworfen, und russischsprachige Kinder und Kinder, die für Russ*innen gehalten werden, berichteten von Mobbing in der Schule.
In den letzten Wochen haben wir mit vielen Russ*innen über ihre Erfahrungen seit Beginn des Krieges gesprochen. Anna (Name geändert), eine 40-jährige Frau aus Russland, die seit 17 Jahren in Deutschland lebt, berichtete, dass Ende April, als sie mit ihrer Tochter und ihrer ukrainischen Cousine in einem Berliner Park spazieren ging, ein Mann, der sie Russisch sprechen hörte, sie bedrohte und sagte: „Wir werden die Faschisten töten und euch vergewaltigen.“ Die Frauen konnten sich in Sicherheit bringen, aber Anna sagte, sie war erschüttert. „In der Öffentlichkeit spreche ich jetzt leiser, wenn ich Russisch spreche. Und auf dem Spielplatz achte ich darauf, wer in meiner oder in der Nähe meiner Tochter ist.“ Die Polizei untersucht den Vorfall.
Deutschland sollte Gewalt und Diskriminierung gegenüber Menschen, die Russisch sprechen oder für Russ*innen gehalten werden, weiterhin genauestens beobachten. Die Behörden in Deutschland und in ganz Europa sollten bei Hassgewalt und Menschenrechtsverletzungen gegen Russ*innen gegen die Tatverdächtigen ermitteln, sie festnehmen und strafrechtlich verfolgen. Die europäischen Staats- und Regierungsoberhäupter und die Europäer*innen müssen sich gegen Intoleranz und Feindseligkeit gegenüber allen Menschen zur Wehr setzen.