(Beirut) – Millionen Zivilisten leiden unter dem bewaffneten Konflikt und der humanitären Krise im Jemen, trotz zunehmender Aufmerksamkeit in der ganzen Welt für die in diesem Land begangenen Menschenrechtsverletzungen, so Human Rights Watch heute in seinem World Report 2020. Die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi durch die saudische Regierung Ende 2018 hat die internationale Gemeinschaft dazu veranlasst, die Menschenrechtsverletzungen Saudi-Arabiens im Jemen und ihre eigene mögliche Beteiligung an diesen Verstößen durch Waffenverkäufe zu prüfen und zu hinterfragen.
Die von Saudi-Arabien geführte Koalition und die Houthi-Rebellen, die einander seit März 2015 im Land bekämpfen, sind verantwortlich für Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen. Tausende Zivilisten wurden in dem Konflikt getötet und verletzt. Ein Bericht der Vereinten Nationen vom September 2019 stellte fest, dass die Konfliktparteien im Jemen für eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen und Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht verantwortlich seien. Bei einigen dieser Verstöße handle es sich wahrscheinlich um Kriegsverbrechen.
„Es ist bekannt, dass die von Saudi-Arabien geführte Koalition und die Houthi-Kräfte Menschen wahllos angreifen, verschwinden lassen und der jemenitischen Zivilbevölkerung den Zugang zu Lebensmitteln und Medikamenten verwehren. Dies sind nur einige der Menschenrechtsverletzungen, die sie begehen“, sagte Michael Page, stellvertretender Leiter der Abteilung Naher Osten und Nordafrika bei Human Rights Watch. „Die internationale Gemeinschaft, einschließlich der mit den Konfliktparteien verbündeten Staaten, soll all ihre Druckmittel nutzen, damit die Kriegsparteien die Menschenrechtsverletzungen stoppen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.“
„In dem 652-seitigen World Report 2020, der 30. Ausgabe, dokumentiert Human Rights Watch die Menschenrechtslage in fast 100 Ländern. In seiner Einleitung blickt Executive Director Kenneth Roth auf die Politik der chinesischen Regierung, die sich durch Repressionen an der Macht hält und für die schwersten Angriffe gegen globale Menschenrechtsstandards seit Jahrzehnten verantwortlich ist. Diese Politik Pekings ermutigt autokratische Populisten in der ganzen Welt; zugleich wird die chinesische Regierung von diesen unterstützt. Mit wirtschaftlichem Druck schreckt China andere Regierungen davon, an ihr Kritik zu üben. Gegen diese Politik muss Widerstand geleistet werden. Andernfalls stehen jahrzehntelanger Fortschritt bei den Menschenrechten und unsere Zukunft auf dem Spiel.“
Seit März 2015 hat die Koalition wahllos und unverhältnismäßig Luftangriffe durchgeführt, bei denen Tausende Zivilisten getötet und zivile Objekte getroffen wurden. Bei diesen Verstößen gegen Kriegsrecht kommt Munition zum Einsatz, die von den USA, Großbritannien und anderen Ländern erworben wurde. Der Luftangriff auf ein Gefangenenlager im August 2019, bei dem mindestens 200 Menschen getötet und verwundet wurden, war der tödlichste Einzelangriff seit Kriegsbeginn.
Houthi-Kräfte haben verbotene Antipersonenminen eingesetzt und Artilleriegeschosse wahllos auf Städte wie Taizz und Hodeida abgefeuert, wobei Zivilisten getötet und verwundet wurden. Zudem haben sie Saudi-Arabien wahllos mit ballistischen Raketen angegriffen.
Der Konflikt hat verheerende Auswirkungen auf das Leben der einfachen Bevölkerung im Jemen und hat Millionen Menschen dem Risiko einer Hungersnot ausgesetzt. Die Wirtschaft des Landes, die bereits vor dem Konflikt labil war, wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. Hunderttausende Familien haben keine feste Einkommensquelle mehr, viele Beamte haben seit mehreren Jahren kein regelmäßiges Gehalt mehr erhalten.
Die Houthi, die jemenitische Regierung, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Saudi-Arabien und verschiedene von den VAE und Saudi-Arabien unterstützte jemenitische bewaffnete Gruppen haben willkürlich Menschen, darunter auch Kinder, festgenommen und verschwinden lassen. Houthi-Kräfte haben Menschen als Geiseln genommen. Jemenitische Beamte in Aden haben inhaftierte Migranten und Asylsuchende vom Horn von Afrika, darunter Frauen und Kinder, geschlagen, vergewaltigt und gefoltert.
Keine Kriegspartei hat Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen übernommen, was zu einem weitreichenden Mangel an Rechenschaftspflicht und Gerechtigkeit geführt hat.
Die jemenitische Zivilgesellschaft wird Opfer von Sicherheits- und Machtmissbrauch. Die Kriegsparteien haben jemenitische Aktivisten, Journalisten, Anwälte, Akademiker und Menschenrechtsverteidiger, darunter auch Mitglieder der Bahá’í, angegriffen, schikaniert, verhaftet und gewaltsam verschwinden lassen. Politische Aktivistinnen, die eine prominente Rolle in der Menschenrechtsarbeit und Friedensförderung gespielt haben, wurden bedroht, Verleumdungskampagnen ausgesetzt und im Dezember 2018 von den Friedensgesprächen in Schweden ausgeschlossen.
„Angesichts des immensen Leids im Jemen darf die Welt nicht untätig bleiben. Regierungen, die Saudi-Arabien, den VAE oder den Houthi nahestehen, sollen ihre Verbündeten unter Druck setzen, um die schweren Menschenrechtsverletzungen zu beenden. Sie sollen zudem Maßnahmen ergreifen, damit die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte Page.