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Kosovo: Nato und Vereinte Nationen versagen bei Minderheitenschutz

Reformen der Sicherheitsstrukturen zum Amtsantritt des neuen UN-Verwalters dringend nötig

Die von der NATO-geführten Kosovo-Truppen und die internationale Polizei der Vereinten Nationen haben, während der Kosovo-Unruhen im März, auf erschütternde Weise versagt.

In dem 66-seitigen Bericht: “Failure to Protect: Anti-Minority Violence in Kosovo, March 2004”, werden die Gewaltausbrüche vom 17. und 18. März gegenüber Serben, Roma, Aschkali (albanisch sprechenden Roma) und andere Minderheiten dokumentiert. Human Rights Watch prangert in dem Bericht den fast völligen Zusammenbruch der im Kosovo stationierten Sicherheitsorgane—die NATO-geführten Kosovo-Truppen (KFOR), die internationale Zivilpolizei der UN-Zivilverwaltung im Kosovo (UNMIK) sowie die örtlich rekrutierten Polizeibeamten des Kosovo Police Service (KPS)—an, der sich im Zusammenhang mit der Kosovo-Krise ereignete. Der Bericht zeichnet, auf der Basis von zahlreichen Interviews mit den Opfern aus den Minderheitengruppen und Sicherheitskräften, ein detailliertes—und einmaliges—Bild der Geschehnisse, während der Unruhen, die in Dutzenden von Gemeinden ausbrachen.

“Wir haben es hier mit der größten Herausforderung für die NATO und der Vereinten Nationen seit 1999 zu tun, als Angehörige von Minderheitengruppen gezwungen wurden, ihre Heimatorte zu verlassen und die internationale Gemeinschaft tatenlos dabei zusah,” sagte Rachel Denber, amtierende Direktorin der Europa und Zentralasien Abteilung von Human Rights Watch. “Weder NATO noch UN wurden dieser neuen Herausforderung auch nur halbwegs gerecht. In vielen Fällen verbarrikadierten sich NATO-Friedenstruppen einfach in ihrer Basis und sahen zu, wie serbische Häuser niederbrannten.”

Am 17. März brachen innerhalb von 48 Stunden in mindestens 33 Fällen Unruhen im Kosovo aus, an denen ungefähr 51.000 Demonstranten teilnahmen. Neunzehn Menschen kamen während dieser Gewaltausbrüche ums Leben. Mindestens 550 Häuser und 27 orthodoxe Kirchen und Klöster wurden niedergebrannt und ungefähr 4100 Angehörige von Minderheitengruppen aus ihren Häusern und Orten vertrieben.

In vielen Gebieten versuchte, so die Nachforschungen von Human Rights Watch, eine aufgebrachte Menge von ethnischen Albanern mit allen Mitteln alle Serben und serbischen Gebäude auszulöschen. Auch andere Minderheiten, wie die Roma und Aschkali, wurden von ihnen angegriffen. In vielen von den Gewaltausbrüchen betroffenen Dörfern, wurde in spontanen und auch in organisierten Übergriffen jedes Serben-, Roma- und Aschkalihaus bis aufs Letzte zerstört.

Im Dorf Svinjare wurden alle 137 serbischen Häuser niedergebrannt, angrenzende Häuser von Albanern blieben unberührt. Ebenso im nahegelegenen Vucitrn, wo alle 69 Aschkali-Häuser niedergebrannt wurden, oder in Kosovo Polje, wo das gleiche mit über 100 Serben- und Roma-Häusern geschah. Auch das Postamt, die serbische Schule und das serbische Krankenhaus gingen in Flammen auf. Jede noch so minimale serbische Gegenwart wurde angegriffen: In Djakovica belagerten ethnische Albaner die serbisch-orthodoxe Kirche, in der die verbleibenden Serben der Stadt Zuflucht gesucht hatten, nämlich fünf ältere Frauen, die evakuiert werden mussten.

Obwohl die KFOR-Truppen und die internationale Zivilpolizei der UNMIK die Aufgabe und auch die rechtliche Möglichkeit haben, Minderheiten zu schützen, versagten sie in ihrer Pflichtausübung. Oft ließen sie eingekesselte Serben und andere Minderheiten stundenlang auf Hilfe warten, während diese den randalierenden Albanern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren. In Svinjare kam eine Gruppe von Albanern an der französischen KFOR-Basis vorbei, bevor sie sich daran machten, Häuser von Minderheitengruppen anzuzünden. Von der KFOR-Basis kam keinerlei Hilfe für die Serben, obwohl Svinjare nur ein paar hundert Meter von der Basis entfernt ist. Auch in Vucitrn waren die französischen KFOR-Soldaten alles andere als hilfreich, als Aschkali-Häuser dort in Flammen aufgingen. Und das, obwohl der Ort direkt neben zwei französischen KFOR-Basen liegt.

Den deutschen KFOR-Truppen in Prizren fiel es auch nach wiederholten Hilferufen von in der Stadt stationierten deutschen UNMIK-Polizisten nicht ein, die serbische Bevölkerung oder die geschichtsträchtigen serbisch-orthodoxen Kirchen und Klöster des Ortes zu schützen. Das Dorf Belo Polje, das direkt an die Hauptbasis der italienischen KFOR angrenzt, brannte vollkommen nieder. In der Hauptstadt Pristina mussten sich die Serben in ihren Wohnungen verbarrikadieren und sich von ethnisch albanischen Randalierern beschießen lassen. Sie konnten nur hilflos mit ansehen, wie die Aufrührer andere Wohnungen unter ihnen ausplünderten und in Brand setzten. Es dauerte ganze sechs Stunden, bis die KFOR und UNMIK-Truppen ihnen zu Hilfe kamen.

Ausgelöst wurden die Unruhen durch verschiedene angeblich von Serben begangene Taten. Die Berichte waren aufsehenerregend und aufgeputscht – und stellten sich am Ende auch als unrichtig heraus. Angeblich sollten Serben drei ethnisch albanische Jungen ertränkt haben. Die ethnischen Albaner waren außerdem erzürnt darüber, dass serbische Dorfbewohner aus Protest wegen des Mordes an einem serbischen Jugendlichen durch unbekannte Täter die Hauptverkehrsstraße zwischen Pristina und Skopje blockierten. Auch eine von einer Veteranengruppe und Mitgliedern der aufgelösten Kosovo-Befreiungsarmee (KLA) am 16. März durchgeführte Demonstration trug zum Ausbruch der Unruhen bei. Die Demonstranten protestierten an diesem Tag gegen die Verhaftung von ehemaligen KLA-Führern wegen Kriegsverbrechen.

“Dieser Ausbruch von Gewalt sollte sowohl der NATO als auch den Vereinten Nationen eine Lehre sein,” mahnte Denber. “Schöne Reden allein können Minderheitengruppen nicht beschützen. So kann kein multiethnischer Kosovo aufgebaut werden. Hier sind tiefgreifende Reformen der internationalen Sicherheitsstrukturen notwendig.”

Human Rights Watch verlangt eine vollständige Überprüfung der KFOR, UNMIK und KPS Reaktionen auf die Gewaltausbrüche. Der Bericht empfiehlt auch ein spezielles Training für alle beteiligten Truppen und Sicherheitskräfte, damit in Zukunft klar ist, wie im Falle solcher Unruhen zu handeln ist. Die Aktionen der KFOR sollten außerdem viel stärker zentral gesteuert werden.

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