Der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung in Haiti ist so katastrophal, dass Human Rights Watch den UN-Sicherheitsrat auffordert, dringend eine UN-Mission in das Land zu entsenden.
So etwas tun wir nicht jeden Tag, vor allem nicht in einem Land wie Haiti, in dem UN-Missionen in der Vergangenheit nicht immer erfolgreich waren. Schauen wir uns also unsere Gründe an.
Allem voran sei gesagt, dass die Situation in Haiti wirklich entsetzlich ist.
Die Haitianer*innen sind zunehmend organisierten und gut koordinierten kriminellen Gruppen ausgeliefert, die in Waffen-, Drogen- und Menschenhandel verwickelt sind. Allein in diesem Jahr haben kriminelle Gruppen fast 5.000 Menschen getötet. Etwa 4.000 Mädchen und Frauen haben von sexueller Gewalt, einschließlich Gruppenvergewaltigungen, berichtet.
Über 700.000 Menschen in Haiti – 25 Prozent davon Kinder – sind Binnenvertriebene. Die Hälfte der Bevölkerung Haitis hat Schwierigkeiten, sich Lebensmittel zu leisten, was das Land zu einem der Länder mit der größten Nahrungsunsicherheit weltweit macht.
Kriminelle Gruppen kontrollieren inzwischen etwa 85 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince und ihres Ballungsraums. Sie haben ihre Kontrolle auch auf andere Teile des Landes ausgedehnt.
Ihre Aktivitäten sind so weitreichend, dass sie erhebliche Auswirkungen auf Friedens- und Sicherheitsfragen über Haiti hinaus in der gesamten Karibik haben könnten.
Ein Hauptproblem ist, dass die haitianische Polizei schlichtweg überfordert ist. Sie ist unterbesetzt und unterfinanziert. Außerdem wird sie dadurch geschwächt, dass einige Beamte in schwere Misshandlungen verwickelt sind oder Verbindungen zu kriminellen Gruppen haben.
Die Multinational Security Support (MSS)-Mission, die die Polizei unterstützen sollte, ist ebenfalls überfordert.
Die Mission wird größtenteils von den USA finanziert und von Kenia geleitet, befindet sich jedoch aufgrund von Geld- und Personalmangel noch in der Vorbereitungsphase. Für das erste Jahr ihres Einsatzes wurden 600 Millionen US-Dollar benötigt, es wurden jedoch nur 97,4 Millionen US-Dollar bereitgestellt. Es sollten 2.500 Beamte entsandt werden, tatsächlich sind es jedoch nur etwa 400.
Die Menschen in Haiti fordern ein nachdrückliches Engagement der internationalen Gemeinschaft.
Die MSS ist zwar vom UN-Sicherheitsrat genehmigt, aber streng genommen keine Mission der Vereinten Nationen. Wenn sie in eine vollwertige UN-Mission umgewandelt würde, wie von HRW gefordert, wäre dies ein großer Gewinn.
Sie würde finanziell von den Beiträgen aller Mitgliedstaaten profitieren. Sie könnte auf das Fachwissen und die Instrumente zurückgreifen, die die UN für solche Missionen bereithält, auch im Bereich der Menschenrechtsprüfung. Darüber hinaus würde sie sich mit den bereits im Land vertretenen UN-Organisationen abstimmen, um eine koordiniertere Reaktion auf den völligen Zusammenbruch Haitis zu ermöglichen.
Eine vollwertige UN-Mission könnte im Gegensatz zur MSS über ein robusteres und umfassenderes Mandat verfügen, um die verschiedenen Dimensionen der Krise anzugehen – einschließlich der Notwendigkeit, die Rechtsstaatlichkeit, die demokratische Regierungsführung und den Zugang zu lebensnotwendigen Gütern wiederherzustellen.
Diese Mission sollte als eine Gelegenheit betrachtet werden, Versäumnisse der Vergangenheit anzugehen. Sie sollte Entschädigungen für die während früherer internationaler Interventionen begangenen Missbräuche vorantreiben und sicherstellen, dass Mechanismen vorhanden sind, um die Rechenschaftspflicht zu fördern und das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederherzustellen.
Ende letzten Monats bat der UN-Sicherheitsrat den UN-Generalsekretär António Guterres, Empfehlungen auf „strategischer Ebene“ für die Rolle der UN bei der Bewältigung der Sicherheits-, Wirtschafts- und humanitären Krise in Haiti vorzulegen.
Guterres sollte schnell handeln und einen Plan vorantreiben, um die MSS in eine vollwertige UN-Mission umzuwandeln, die die Fehler vergangener UN-Einsätze im Land vermeidet. Die Menschen in Haiti können nicht warten.