(Berlin, 14. November 2024) – Die europäischen Regierungen haben die anhaltenden Auswirkungen ihres kolonialen Erbes, die Menschen afrikanischer Abstammung auf dem afrikanischen Kontinent und in der Diaspora betreffen, immer noch nicht angemessen berücksichtigt oder angegangen, so Human Rights Watch heute. Am 15. November 2024 jährt sich die Berliner Afrika-Konferenz von 1884 zum 140. Mal. Auf dieser Konferenz kamen 19 europäische Länder und die USA zusammen, um die koloniale Vorherrschaft und Ausbeutung Europas in ganz Afrika zu organisieren und auszuweiten.
„Die Berliner Afrika-Konferenz war ein entscheidender Wendepunkt in der europäischen Kolonialgeschichte, dessen lang anhaltende Auswirkungen von den verantwortlichen Staaten und anderen Akteuren bis heute weitgehend ignoriert werden“, sagte Almaz Teffera, Researcherin für Rassismus in Europa bei Human Rights Watch. Obwohl seit der Konferenz so viele Jahre vergangen sind, müssen sich die europäischen Regierungen dennoch mit ihrem kolonialen Erbe auseinandersetzen und Wiedergutmachungsprozesse schaffen, die auf den internationalen Menschenrechtsnormen basieren und die betroffenen Gemeinschaften sinnvoll einbeziehen."
Anlässlich dieses bedeutenden Jahrestages organisiert Dekoloniale, ein deutsches dekoloniales Projektkollektiv, am 15. November eine Gegenveranstaltung zur ursprünglichen Konferenz, die Dekoloniale Berlin Africa Conference. Im Gegensatz zur ursprünglichen Konferenz, bei der Afrikaner*innen von der Teilnahme ausgeschlossen waren, werden bei dieser Veranstaltung Afrikaner*innen und Menschen afrikanischer Abstammung zusammenkommen, die nach wie vor vom Erbe des europäischen Kolonialismus betroffen sind, um über die Geschichte der Berliner Afrika-Konferenz und ihre anhaltenden Auswirkungen bis heute zu reflektieren.
Um den ehemals Kolonisierten eine Stimme zu geben, wird eine vielfältige Gruppe von 19 Expert*innen aus Afrika und der globalen Diaspora ihre Perspektiven darüber austauschen, wie die vielen anhaltenden und strukturellen Auswirkungen des Kolonialismus angegangen werden können. Zu ihnen gehören Alice Nkom, eine kamerunische Anwältin und Menschenrechtsverteidiger, Gary Younge, ein preisgekrönter britischer Autor, Moderator und Professor für Soziologie, und Awet Tesfaiesus, ein Anwalt und Mitglied des Deutschen Bundestags für die Grünen.
Im November 2023 organisierte die Afrikanische Union eine Konferenz in Accra, auf der die Delegierten eine Erklärung verabschiedeten, in der sie Reparationen für Afrikaner*innen sowohl auf dem Kontinent als auch in der Diaspora forderten, um den durch den europäischen Kolonialismus, die Versklavung und den Sklavenhandel verursachten schweren Schaden anzuerkennen. In der Erklärung wurde außerdem das Jahr 2025 zum Jahr der „Gerechtigkeit für Afrika durch Reparationen“ erklärt, was auf dem 37. Gipfeltreffen der Afrikanischen Union im Jahr 2024 bestätigt wurde. Die Afrikanische Union und ihre Mitgliedstaaten sollten sich mit den betroffenen Gemeinschaften beraten und sie in den Mittelpunkt dieser Bemühungen stellen, so Human Rights Watch.
Auf Ebene der Europäischen Union haben einige Mitglieder des Europäischen Parlaments einen Entwurf für eine Resolution zur Wiedergutmachung, Gerechtigkeit und nachhaltiger Entwicklung vorgelegt, in dem die anhaltenden Auswirkungen des europäischen Kolonialismus auf rassistische Ungleichheiten in der Welt anerkannt werden. Das Dokument wurde Ende 2023 in Umlauf gebracht, kam jedoch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 nie zur Abstimmung.
Die All-Party Parliamentary Group for Afrikan Reparations des britischen Parlaments, deren Vorsitzende die Labour-Abgeordnete Bell Ribeiro-Addy ist, hat sich ebenfalls mit der Frage von Reparationen zur Wiedergutmachung des kolonialen Erbes und der Versklavung Afrikas auseinandergesetzt. Ribeiro-Addy wird auf der Dekoloniale Berlin Africa Conference eine Begrüßungsrede halten.
Die 19 Fachdelegierten der Dekoloniale Berlin Africa Conference werden die Mitglieder des Europäischen Parlaments, politische Entscheidungsträger*innen und andere dazu aufrufen, dringende Maßnahmen im Rahmen einer 10-Punkte-Liste mit Forderungen zu ergreifen, die sie im Vorfeld der Konferenz ausarbeiten werden.
Im Rahmen dieser Konferenz wird Human Rights Watch zusammen mit Amnesty International und African Futures Lab einen Workshop organisieren, bei dem sich Gemeindemitglieder, die Zivilgesellschaft, Akademiker*innen und Aktivist*innen treffen, um sich über Herausforderungen und Erfahrungen auszutauschen und Wege zum Vorantreiben von Reparationen zu diskutieren.
„Europäische Regierungen haben die Forderungen nach Reparationen, die von Gemeinden zur Bewältigung der historischen Erblasten Europas erhoben wurden, weitgehend ignoriert oder sogar abgelehnt“, so Teffera. “Europäische Staats- und Regierungschefs sollten verstehen, dass die Auseinandersetzung mit diesen Erblasten ihrer Staaten keine Option, sondern eine Verpflichtung gemäß den internationalen Menschenrechtsgesetzen ist.“