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Abschiebungen: Warum Deutschland Aktivist*innen nicht in autoritäre Staaten zurückschicken sollte

Veröffentlicht in: taz
Eine Mahnwache am 18. Januar 2024 in Dortmund, Deutschland, zum Jahrestag der Abschiebung des tadschikischen Oppositionsaktivisten Abdullohi Shamsiddin. © 2024 Cornelia Suhan

Vor einem Jahr hat Deutschland einen tadschikischen Exil-Aktivisten, der seit 2009 in Dortmund lebte, nach Tadschikistan abgeschoben. Was dann geschah, ist ein schockierendes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn Deutschland bei seinen verstärkten Bemühungen, abgelehnte Asylbewerber*innen abzuschieben, die gebotenen Sicherheitsvorkehrungen nicht einhält. Der Bundestag hat der Polizei diesen Monat umfassendere Befugnisse für die Durchführung von Abschiebungen gegeben.

Der Aktivist Abdullohi Shamsiddin, 33, wurde am 18. Januar 2023 nach Tadschikistan abgeschoben. Bei seiner Ankunft wurde er von den Sicherheitsdiensten festgenommen. Zwei Monate später wurde er zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf lautete versuchter Sturz der Verfassung. In einem unfairen Prozess, der nur zwei Tage dauerte, wurden hierfür jedoch keine glaubwürdigen Beweise vorgelegt.

Tadschikistan, ein überwiegend muslimisches Land mit 9,7 Millionen Einwohnern in Zentralasien, wird von einem der dienstältesten Autokraten der Welt regiert. Präsident Emomali Rahmon ist seit 1992 an der Macht. Er verfolgt einen harten Kurs gegen die Menschenrechte, insbesondere seit 2015, als die wichtigste Oppositionspartei, die Islamische Renaissancepartei Tadschikistans (IRPT), und die Gruppe 24, eine weitere Oppositionsgruppe, verboten wurden. Das Europäische Parlament zeigte sich in diesem Monat betroffen über die "staatliche Repression gegenüber unabhängigen Medien" im Land.

Seit 2021 hat die Regierung Proteste in der Region des Autonomen Gebiets Gorno-Badachschan brutal unterdrückt, was zu zahlreichen Todesopfern führte.

Die Bundesregierung hat die Menschenrechtskrise in Tadschikistan im vergangenen Jahr in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zum Fall Schamsiddin anerkannt. „Bürgerliche Freiheiten, insbesondere die Meinungs- und Religionsfreiheit, sind in Tadschikistan stark eingeschränkt", hieß es. Mitglieder der IRPT „wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt oder gingen ins Exil“ so die Regierung weiter.

Shamsiddins Vater, ein anerkannter Geflüchteter in Deutschland, ist ein führendes IRPT-Mitglied. Dies machte Shamsiddins erzwungene Rückkehr zu einem besonders wertvollen Präsent für die autoritäre Führung Tadschikistans.

Nach seiner Festnahme verbrachte Shamsiddin nach Angaben von Familienmitgliedern über zwei Monate in Isolationshaft in einer abgedunkelten Zelle. Er hat stark abgenommen und bisweilen wurden ihm ausreichend Nahrung, einfachste Dinge wie eine Matratze oder notwendige Medikamente verweigert. Als ein Vertreter der deutschen Botschaft Shamsiddin besuchte, waren acht Gefängniswärter anwesend.

Dutzende Verwandte und Freund*innen in Tadschikistan wurden von den Behörden befragt. Die entsprechenden Kontaktdaten hatten sie von Shamsiddins Mobiltelefon abgerufen. Das Telefon war ihnen von der deutschen Polizei ausgehändigt worden. Saidumar Saidov, ein Cousin Shamsiddins, wurde im Juli letzten Jahres wegen eines kurzen Beitrags in den sozialen Medien über Shamsiddins Fall zu sechs Jahren Haft verurteilt.

Shamsiddin hätte nie abgeschoben werden dürfen, da im Völkerrecht, darunter mehrere Verträge, die Deutschland ratifiziert hat, der Grundsatz der „Nichtzurückweisung“ verankert ist. Dieser verbietet die Rückführung einer Person in ein Land, in dem ihr Folter, grausame oder unmenschliche Behandlung droht.  

Shamsiddin, der verheiratet ist und zwei kleine Kinder hat, hat dreimal Asyl in Deutschland beantragt, jedoch ohne Erfolg. Sein Fall ist komplex. Er änderte nach seiner Ankunft in Deutschland seinen Namen und ist mehrfach vorbestraft. Offenbar deshalb haben die örtlichen Behörden und Gerichte die Meinung von Tadschikistan-Expert*innen nicht berücksichtigt, die warnten, dass Shamsiddin im Falle einer Rückführung höchstwahrscheinlich inhaftiert und misshandelt werden würde.

Den deutschen Behörden war die wahre Identität Shamsiddins bereits vor seiner Abschiebung bekannt, da Beamte der tadschikischen Botschaft in Berlin diese im Juni 2022 bestätigt hatten. Shamsiddins Frau, eine tadschikische Staatsbürgerin, hat in der Europäischen Union den Flüchtlingsstatus.

Die Entscheidung Deutschlands, Shamsiddin abzuschieben, hatte schwerwiegende Folgen, da Tadschikistan als ein Land berüchtigt ist, das Regierungsgegner*innen auch im Ausland verfolgt. Viele Oppositionelle sind nach dem gewaltsamen Durchgreifen 2015 ins Ausland gezogen.

Im Jahr 2016 veröffentlichte Human Rights Watch Rechercheergebnisse, die auf die Strategie von Duschanbe hinwiesen, im Ausland lebende Aktivist*innen anzugreifen, zu entführen oder ihre Abschiebung zu erwirken. Seitdem sind Oppositionelle aus vielen Ländern, darunter Österreich und Deutschland, nach Tadschikistan abgeschoben worden.

Die tadschikische Regierung verhört regelmäßig in Tadschikistan lebende Verwandte von Exil-Aktivist*innen, um Druck auf diese auszuüben, damit sie ihre Aktivitäten einstellen. Im vergangenen September protestierte eine Gruppe tadschikischer Aktivist*innen in Berlin gegen den Besuch des tadschikischen Präsidenten Emomali Rahmon. In den darauffolgenden Tagen befragten tadschikischen Behörden Angehörige der Demonstrierenden. Rund 50 Angehörige wurden verhört, einige wurden über Tage festgehalten.

Mehrere   Bundestagsabgeordnete verfolgen den Fall Shamsiddin. Die Bundesregierung sollte Tadschikistan dazu auffordern, seine Menschenrechtsverletzungen zu beenden, Shamsiddin freizulassen und ihm die Ausreise zu ermöglichen. Tadschikistan strebt derzeit engere Beziehungen zu Europa an. Deutschland hat also durchaus ein Druckmittel für Verhandlungen mit Duschanbe, falls auch gewillt ist, dieses einzusetzen.

Sie sollte ferner untersuchen, warum er in ein Land abgeschoben wurde, in dem bekanntermaßen die Gefahr von Folter oder unmenschlicher Behandlung besteht, um sicherzustellen, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholen.

Es ist dringend. Denn, am 24. November wurde ein weiterer tadschikischer Oppositionsaktivist aus Deutschland abgeschoben. Bilal Qurbanaliev war einer der Demonstrierenden gegen den Besuch Rahmons im vergangenen September. Er sitzt jetzt in Tadschikistan in Haft. Außerdem wurde im Dezember ein tadschikischer Mann in Deutschland unter Terrorismusverdacht verhaftet. Die Vorwürfe sind ernst und sollten untersucht werden. Aber er sollte nicht nach Tadschikistan abgeschoben werden, wenn die Gefahr besteht, dass er dort gefoltert werden könnte.

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