(Washington) –
Ägyptens Polizei, der Inlandsgeheimdienst und das Militär haben Kinder von gerade einmal 12 Jahren willkürlich inhaftiert, verschleppt und gefoltert. Staatsanwälte und Richter haben die Vergehen absichtlich ignoriert, so Human Rights Watch und die Menschenrechtsorganisation
Belady: Insel der Menschlichkeit in einem heute veröffentlichten Bericht.
Der 43-seitige Bericht „‘
No One Cared He Was A Child’: Egyptian Security Forces’ Abuse of Children in Detention“ dokumentiert Menschenrechtsverletzungen gegen 20 Kinder im Alter von 12 bis 17 Jahren, nachdem sie festgenommen worden waren.
Ägyptens Verbündete, insbesondere die USA, Frankreich und andere EU-Staaten, sollten ihre Hilfen an die ägyptischen Sicherheitskräfte stoppen, messbare Maßnahmen zur Beendigung der Verbrechen ergreifen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.
„Die erschütternden Berichte dieser Kinder und ihrer Familien zeigen, für welch schwere Verbrechen Ägyptens Unterdrückungsapparat verantwortlich ist“, so Aya Hijazi, Ko-Direktor von Belady. „Das Leid der inhaftierten Kinder macht deutlich, dass sich die ägyptischen Behörden verhalten, als stünden sie über dem Gesetz.“
Fünfzehn der 20 Kinder gaben an, sie seien während der Untersuchungshaft gefoltert worden, typischerweise während des Verhörs und der Isolationshaft. Ein weiteres Kind wurde vom Wachpersonal brutal verprügelt. Sieben Kinder sagten, Sicherheitsbeamte hätten sie mit Stromschlägen etwa aus Elektroschockpistolen gefoltert.
Ein Junge, der im Alter von 16 Jahren festgenommen wurde, befürchtete, er werde aufgrund der Misshandlungen, die ägyptische Sicherheitsbeamte ihn während der Haft zugefügt hatten, „niemals heiraten oder Kinder haben können“.
In zwei Fällen erklärten Kinder, die Sicherheitsbeamten hätten ihnen die Arme hinter dem Rücken gefesselt und sie daran aufgehängt. Dadurch seien ihre Schultergelenke ausgekugelt worden. Einer der Jungen, damals 14 Jahre alt, sagte, ein Zellengenosse, der Arzt war, habe seine Schultergelenke anschließend wieder einrenken müssen.
Ägyptens Sicherheitskräfte unter der Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi begehen immer schamloser Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Erwachsenen. Für einen Großteil der in dem Bericht dokumentierten Verbrechen sind Beamte des Inlandsgeheimdienstes verantwortlich, der dem Innenministerium untersteht. In einigen Fällen waren jedoch auch Polizisten und Armeeoffiziere beteiligt.
Human Rights Watch und Belady konnten die Aussagen der Kinder, ihrer Familien und ihrer Anwälte anhand von Gerichtsdokumenten, Anfragen bei Behörden, medizinischer Akten und Videos bestätigen.
„Die Kinder erzählen uns, wie man sie dem
Waterboarding unterzog und mit Stromschlägen an Zunge und Genitalien traktierte“, so
Bill Van Esveld, Associate Director in der Kinderrechtsabteilung von Human Rights Watch. „Regierungen sollen diesem Grauen endlich ein Ende setzen, ihre Unterstützung für Ägyptens Sicherheitsdienste beenden und alle zukünftigen Abkommen davon abhängig machen, ob es echte Reformen gibt.“
Sicherheitsbeamte haben Kinder verschleppt und bis zu 13 Monate lang festgehalten. Sie weigerten sich, die verzweifelten Angehörigen über den Verbleib ihrer Kinder zu informieren oder zu bestätigen, dass diese inhaftiert waren. Belal B. war 17 Jahre alt, als Beamte der Nationalen Sicherheitsbehörde ihn verhafteten und in einer Polizeiwache in Kairo in Einzelhaft sperrten. „Ich wusste nichts über meine Eltern und sie wussten nichts über mich“, so der Junge. Die Beamten hätten ihn drei Tage lang an einen Stuhl gefesselt, was extrem schmerzhaft gewesen sei.
Ein Kind wurde, ein Verstoß gegen internationales Recht, zum Tode verurteilt. Drei Kinder wurden in Einzelhaft untergebracht, drei weiteren wurde mehr als ein Jahr lang jeglicher Besuch durch Angehörige verweigert. Kinder wurden gemeinsam mit Erwachsenen in derart überfüllten Zellen inhaftiert, dass sie in Schichten schlafen mussten. Nahrung und medizinische Versorgung waren vollkommen unausreichend.
Die Berichte der Kinder über
Folter und andere Menschenrechtsverletzungen sind bezeichnend für die brutalen Methoden der Sicherheitsbehörden. Human Rights Watch, Belady und andere Organisationen haben Vergehen gegen
Kinder und
Erwachsene dokumentiert, die seit 2014 in Hunderten Fällen wegen mutmaßlicher politischer oder sicherheitsrelevanter Straftaten inhaftiert wurden.
Das ägyptische Recht verpflichtet die Sicherheitsbehörden, Häftlinge innerhalb von 24 Stunden nach der Festnahme einem Staatsanwalt vorzuführen. Wenn Kinder für längere Zeit verschleppt wurden, vertuschten die Staatsanwälte dies jedoch, indem sie falsche Angaben über den Zeitpunkt der Festnahme machten.
Die Behörden verfügten in keinem einzigen Fall über eine gültige Rechtsgrundlage für die Verhaftung der Kinder und konnten keine schriftlichen Haftbefehle vorlegen. Ein Junge wurde 30 Monate lang ohne Gerichtsverfahren festgehalten, obwohl das ägyptische Recht hier eine Obergrenze von zwei Jahren vorschreibt. Der Junge wurde wegen Teilnahme an einer Demonstration angeklagt, zu deren Zeitpunkt er sich in Haft befand. Ferner verweigerten die Behörden ihm die Teilnahme an Schulprüfungen, was ihm jegliche Chance auf eine bessere Zukunft nahm.
Die ägyptische Strafjustiz leitete keine ernsthaften Untersuchungen ein, um den Folter- und Misshandlungsvorwürfen der Kinder nachzugehen. In einem Fall aus dem Bericht drohte der Staatsanwalt sogar, falls der betroffene Junge kein Geständnis ablege, werde er ihn „zurück zu dem Beamten“ schicken, der ihn gefoltert hatte.
Die Behörden klagten zwei Kinder wegen mutmaßlicher Straftaten wie der Beschädigung der Fassade eines Hotels vor Militärgerichten an. Kinder sollen niemals gemeinsam mit Erwachsenen vor gewöhnlichen Gerichten angeklagt werden und schon gar nicht vor Militärgerichten, welche den Zugang zu Verfahrensrechten einschränken.
Ägypten soll die Bestimmungen seines eigenen „Kindergesetzes“ von 1996 sowie der 2008 hinzugefügten Zusatzartikel durchsetzen, welche besondere Schutzmechanismen für Kinder vorsehen. Zu diesen gehören Alternativen zur Haft sowie Strafen für Beamte, die Kinder zusammen mit Erwachsenen einsperren.
Ägypten soll ein Schlupfloch im Kindergesetz schließen, welches es Staatsanwälten erlaubt, Kinder, die mutmaßlich gemeinsam mit einem Erwachsenen eine Straftat begangen haben, vor Strafgerichte zu stellen. Dies nutzten Staatsanwälte, um Kinder zusammen mit Erwachsenen vor Anti-Terror-Tribunale zu stellen. Die Behörden sollten die Inhaftierung von Kindern nur als äußerstes Mittel nutzen und auch dann so kurz wie möglich halten.
Ägypten soll uneingeschränkt mit den Experten der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union gegen Folter, willkürliche Inhaftierung und Verschwindenlassen kooperieren. Die ägyptische Regierung soll sie zu Besuchen einladen und sich verpflichten, ihre Missionen zuverlässig vor Repressalien zu schützen.
„Ägyptens Strafjustizsystem versagt, wenn es um den Schutz von Kindern geht. Dies kann zu dauerhaften Schäden im Rechtssystem führen“, so Hijazi. „Die routinemäßigen Inhaftierungen und Misshandlungen müssen ein Ende haben, nicht nur im Interesse der Kinder, sondern auch der ägyptischen Gesellschaft.“