(Washington, D.C., 15. März 2019) - Die Entscheidung der Vereinigten Staaten, Einreiseverbote gegen Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zu verhängen, wird die Strafverfolgung schwerer internationaler Verbrechen gefährden, so Human Rights Watch heute. US-Außenminister Michael Pompeo kündigte am 15. März 2019 an, dass die Verbote für jene IStGH-Mitarbeiter gelten sollen, die an möglichen Ermittlungen gegen US-Bürger durch das Gericht beteiligt sind. Das Verbot könnte möglicherweise auch dazu genutzt werden, Ermittlungen durch den IStGH gegen Bürger aus verbündeten Ländern der USA zu verhindern.
Die Maßnahmen der USA wurden offensichtlich durch mögliche Ermittlungen des IStGH in Afghanistan vorangetrieben. Dabei könnte das Verhalten von US-Militärs untersucht werden. Ein weiterer Grund ist eine mögliche Untersuchung in Palästina, die wahrscheinlich auch das Verhalten von israelischen Beamten umfassen würde. Richter des IStGH werden darüber befinden, ob tatsächlich eine Untersuchung zu Afghanistan eingeleitet wird. Der IStGH-Ankläger wird entscheiden, ob er mit einer Untersuchung zu Palästina fortfahren will.
„Die Entscheidung der USA, Einreiseverbote gegen Mitarbeiter des IStGH zu verhängen, ist ein ungeheuerlicher Versuch, das Gericht zu schikanieren und die Überprüfung des Verhaltens von US-Militärs zu verhindern“, sagte Richard Dicker, Direktor der Abteilung Internationale Justiz von Human Rights Watch. „Die Vertragsstaaten des IStGH sollen öffentlich klarstellen, dass sie das Gericht weiterhin unbeirrt unterstützen und eine Behinderung seiner Arbeit durch die USA nicht tolerieren werden.“
Beim IStGH handelt es sich um den ständigen internationalen Gerichtshof in Den Haag, dessen Aufgabe es ist, die Verantwortlichen für Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen der Aggression vor Gericht zu stellen. Die internationale Gemeinschaft hat den IStGH ins Leben gerufen, um die Straflosigkeit für diese Verbrechen zu bekämpfen. Anlass hierfür waren die entsetzlichen Völkermorde, die Mitte der 90er Jahre in Ruanda und im ehemaligen Jugoslawien begangen wurden. Der IStGH ist ein Gericht letzter Instanz und leitet nur dann Ermittlungen ein, wenn die Behörden des jeweiligen Landes nicht bereit oder nicht in der Lage sind, in diesen Fällen effektive nationale Verfahren zu gewährleisten.
Die Richter des Internationalen Strafgerichtshofs haben noch nicht über den Antrag der Anklage vom November 2017 entschieden, bestimmte Verbrechen zu untersuchen, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan seit Mai 2003 begangen wurden. Neben schweren Verbrechen der Taliban und der afghanischen Regierungstruppen könnte das Gericht auch mutmaßliche Verbrechen untersuchen, die von ausländischen Streitkräften begangen wurden, insbesondere vom US-Militär und dem US-Auslandsgeheimdienst CIA. Die meisten dieser Verbrechen sollen zwischen 2003 und 2004 verübt worden sein. Pompeo kündigte zudem an, dass die gleiche Politik angewandt werden kann, um Untersuchungen des Gerichts von verbündeten Streitkräften, einschließlich Israels, zu verhindern. Der Ankläger am IStGH untersucht mutmaßliche Verbrechen von Israelis und Palästinensern im Gazastreifen und im Westjordanland. Palästina ist ein Vertragsstaat des Gerichtshofs.
Pompeo machte deutlich, dass die USA weitere Maßnahmen ergreifen werden, sollte der IStGH die Ermittlungen gegen US-Bürger weiter vorantreiben. In einer Rede vom September 2018 kündigte der Nationale Sicherheitsberater John Bolton eine Änderung der US-Politik gegenüber dem Gericht an und skizzierte mehrere Schritte, die die USA unternehmen würden, sollten die Untersuchungen des IStGH US-Bürger oder die Bürger von US-Verbündeten erreichen. Neben Einreiseverboten drohte Bolton mit Strafverfolgungsmaßnahmen und finanziellen Sanktionen gegen IStGH-Mitarbeiter sowie gegen Länder und Unternehmen, die das Gericht bei seinen Untersuchungen gegen US-Bürger unterstützen. Er warnte davor, dass die USA die seit langem aufgegebenen Bemühungen wieder aufnehmen könnten, Abkommen mit Ländern auszuhandeln, damit US-Bürgern nicht an das Gericht ausgeliefert werden. Auch könnten die diplomatischen, militärischen und nachrichtendienstlichen Beziehungen von Regierungen zu den USA gefährdet sein, sollten diese mit dem IStGH bei Ermittlungen gegen die USA oder ihre Verbündeten zusammenarbeiten.
„Trotz seiner Unzulänglichkeiten bleibt der Internationale Strafgerichtshof eines der wenigen verfügbaren Instrumente, um dort für Gerechtigkeit zu sorgen, wo nationale Gerichte versagen“, sagte Dicker. „In einer Zeit, in der die Gräueltaten im Südsudan, in Myanmar und Syrien immer weiter um sich greifen, senden die USA genau die falsche Botschaft, wenn sie Mitarbeiter des IStGH angreifen, nur weil sie ihre Arbeit tun, nämlich Opfern internationaler Verbrechen zu Gerechtigkeit zu verhelfen.“
Bolton war verantwortlich für eine aggressive Kampagne gegen den Gerichtshof in den frühen 2000er Jahren unter der George W. Bush-Regierung. Diese Bemühungen haben jedoch nur wenig mehr getan, als die Glaubwürdigkeit der USA im Bereich der internationalen Justiz zu untergraben. Die Kampagne wurde schließlich eingestellt. Mitglieder des US-Kongresses, die den IStGH als entscheidend für die internationale Justiz anerkennen, sollten einfordern, dass diese Politik unverzüglich wieder beendet wird.
Im Dezember gaben die IStGH-Mitgliedsländer bekannt, dass sie sich nicht von Drohungen gegen den Gerichtshof, seine Beamten und diejenigen, die mit ihm zusammenarbeiten, abschrecken ließen und gemeinsam gegen Straflosigkeit auftreten würden. Zusätzlich zu diesen öffentlichen Stellungnahmen müssen die Mitgliedsländer auch eng zusammenarbeiten, um die Arbeit des IStGH nicht durch die USA behindern oder einschränken zu lassen.
Die USA, die das Römische Statut des Gerichtshofs nicht ratifiziert haben, widersprechen der Zuständigkeit des IStGH für Staatsangehörige von Drittländern, ohne dass der UN-Sicherheitsrat das Gericht anruft. Afghanistan ist jedoch ein IStGH-Mitgliedsland und erteilt diesem somit die Befugnis, Verbrechen zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, die von afghanischen Staatsangehörigen oder anderen Staatsangehörigen auf afghanischem Gebiet begangen wurden.
Diese Befugnis des Gerichts ist nichts Ungewöhnliches. US-Bürger und andere Bürger, die im Ausland Verbrechen begehen, unterliegen bereits der Zuständigkeit ausländischer Gerichte. Die Länder, die das Römische Statut ratifizieren, delegieren lediglich die Strafverfolgung für bestimmte schwere Verbrechen, die auf ihrem Territorium begangen wurden, an einen internationalen Gerichtshof.
Seit der Aufnahme der Tätigkeit im Jahr 2003 hat der IStGH Untersuchungen in zehn Ländern eingeleitet, darunter in Darfur im Sudan, in der Demokratischen Republik Kongo, in Mali und in Georgien. Neben Palästina prüft der IStGH-Strafermittler, ob in neun weiteren Fällen, darunter auf den Philippinen und in der Ukraine, Ermittlungen geboten sind. Hierzu gehört auch die mutmaßliche Vertreibung der Rohingya von Myanmar nach Bangladesch.
„Die Drohungen der Trump-Regierung gegen den IStGH verbergen das eigentliche Problem, nämlich das Versagen der US-Behörden, gegen Folter und andere Menschenrechtsverletzungen durch die CIA und die US-Streitkräfte vorzugehen“, sagte Dicker. „Genau dies ist die Aufgabe des Internationalen Strafgerichtshofs: Opfern Gerechtigkeit zu gewähren, wenn ihnen alle anderen Türen verschlossen bleiben.“
Wichtige Fragen und Antworten zu den USA und dem IStGH finden Sie unter:
https://www.hrw.org/news/2019/03/15/qa-international-criminal-court-and-united-states