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SPBE sensor fuzed submunitions in countryside near Kafr Halab, Syria on October 6, 2015.  ©2015 Shaam News Network

(Beirut) – Am 4. Oktober 2015 wurde ein hochentwickelter Typ russischer Streumunition bei einem Luftangriff südwestlich von Aleppo eingesetzt, so Human Rights Watch heute. Der Einsatz der Waffe in der Nähe des Dorfes Kafr Halab gibt Anlass zur ernsten Sorge, dass Russland entweder selbst Streumunition in Syrien einsetzt oder aber die syrische Luftwaffe mit neuen Typen von Streumunition versorgt.

Neues Bild- und Videomaterial deutet zudem darauf hin, dass wiederholt aus der Luft abgefeuerte Streumunition eingesetzt wurde und dass vom Boden abgefeuerte, in Russland hergestellte Raketen, die mit Streumunition bestückt werden, als Teil der russisch-syrischen Offensive im Norden Syriens zum Einsatz kamen.

„Es ist äußerst beunruhigend, dass eine weitere Art von Streumunition in Syrien eingesetzt wird, bedenkt man, wie verheerend deren Einsatz in den kommenden Jahren für die Zivilbevölkerung sein wird”, so Nadim Houry, stellvertretender Direktor der Nahost-Abteilung von Human Rights Watch. „Weder Russland noch Syrien sollen Streumunition einsetzen. Stattdessen sollen sich beide Länder umgehend der internationalen Ächtung dieser Waffenart anschließen.“

Die meisten Länder haben ein Verbot gegen Streumunition verhängt aufgrund des Schadens, der unmittelbar durch ihren Einsatz angerichtet wird. Zudem explodiert die Submunition häufig nicht sofort und stellt somit eine Gefahr dar, bis sie geräumt und zerstört wurde. Der Beschuss durch Streumunition kann auf verschiedene Arten stattfinden: durch Artillerie- und Raketensystem oder durch den Abwurf von Flugzeugen.  

Der Angriff auf Kafr Halab fällt zeitlich zusammen mit einer Serie von Video- und Fotoberichten von Luft- und Bodenangriffen in den Regierungsbezirken Aleppo, Hama und Idlib, bei denen Streumunition eingesetzt wurde und die sich seit Beginn der russischen  Luftangriffe in Syrien am 30. September ereigneten.

Fotos, die mutmaßlich auf dem Land in der Nähe von Kafr Halab entstanden sind und die am 6. Oktober von lokalen Medien online gestellt wurden, zeigen die Überreste von SPBE sensorgezündeten Submunitionen. Dies entspricht dem ersten Einsatz derartiger Streumunition im Syrienkrieg. Die in Russland hergestellte Waffe wird per Fallschirm abgeworfen und kann gepanzerte Fahrzeuge zerstören. Hierbei wird ein explosiv geformtes Projektil aus geschmolzenem Metall nach unten abgefeuert, nachdem das Fahrzeug von einem Ortungssystem erfasst wurde.

Videos, die zwei Tage zuvor von einem lokalen Nachrichtensender online gestellt wurden und die angeblich in der gleichen Region entstanden, zeigen Explosionen in der Luft, die Angriffen mit SPBE Submunition entsprechen. Bislang gibt es keine Angaben über Opfer des Angriffs nahe Kafr Halab.

Human Rights Watch kann nicht abschließend feststellen, ob russische oder syrische Einsatzkräfte für den Angriff verantwortlich sind. Keines der beiden Länder hat den Einsatz von Streumunition verboten.

Human Rights Watch hat den Einsatz von Streumunition im Syrienkrieg seit 2012 dokumentiert. Syrische Regierungstruppen haben zum ersten Mal Mitte 2012 Streubomben aus der Luft abgeworfen und dann Raketen mit Streumunition eingesetzt. Es wird davon ausgegangen, dass es nach wie vor zu solchen Angriffen kommt. Währenddessen hat die extremistische Gruppe Islamischer Staat (kurz IS) in der zweiten Jahreshälfte 2014 Streumunition eingesetzt. Von keiner weiteren Gruppierung ist bekannt oder wird angenommen, dass sie Streumunition in Syrien einsetzt oder eingesetzt hat.  

Die von Russland bei seiner Militäroperation in Syrien eingesetzten Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber können ebenso andere Typen von russischen Streubomben der RBK-Serie abwerfen, so etwa auch Bomben, die explosive Submunitionen der Typen PTAB, AO und ShOAB enthalten. Human Rights Watch hat bereits dokumentiert, dass die syrische Luftwaffe genau diese Typen von Submunition einsetzt.

Es ist äußerst beunruhigend, dass eine weitere Art von Streumunition in Syrien eingesetzt wird, bedenkt man, wie verheerend deren Einsatz in den kommenden Jahren für die Zivilbevölkerung sein wird. Weder Russland noch Syrien sollen Streumunition einsetzen. Stattdessen sollen sich beide Länder umgehend der internationalen Ächtung dieser Waffenart anschließen.
Nadim Houry

Stellvertretender Direktor der Nahost-Abteilung von Human Rights Watch


Daten aus dem Cluster Munition Monitor 2015, dem jährlichen Bericht der Cluster Munition Coalition vom September, zeigen, dass es in Syrien zwischen 2012 und Ende 2014 mindestens 1.968 Opfer durch Angriffe mit Streumunition oder durch nicht explodierte Submunition gab. Bei der Mehrzahl der Todesopfer handelte es sich dem Bericht zufolge um Zivilisten. 

Insgesamt 98 Länder haben die Konvention gegen Streumunition aus dem Jahr 2008 unterzeichnet, darunter Kolumbien, Mauritius und Somalia, die dem Abkommen im vergangenen Monat beitraten. Es verbietet den Einsatz, die Herstellung, die Weitergabe und die Lagerung von Streumunition. Zudem müssen nicht explodierte Rückstände aus Streumunition innerhalb von zehn Jahren beseitigt werden. Auch verpflichten sich die Staaten, den Opfern Hilfe zukommen zu lassen.  

Die Konvention gegen Streumunition verpflichtet jedes Mitglied, „sich ernsthaft zu bemühen, Länder, die dem Abkommen nicht beigetreten sind… vom Einsatz von Streumunition abzubringen.” Mehr als 140 Staaten haben den Einsatz von Streumunition in Syrien verurteilt, darunter mehr als 48 Staaten, die das Abkommen nicht unterzeichnet haben. Ein Großteil der Staaten hat den Einsatz durch eine nationale Stellungnahme verurteilt sowie durch die Unterstützung von Resolutionen der UN-Generalversammlung und des UN-Menschenrechtsrats.

Human Rights Watch ist Gründungsmitglied der Cluster Munition Coalition und sitzt dieser vor. Am 1. Oktober 2015 warnte die Koalition Russland vor dem Einsatz jeglicher Art von Streumunition in Syrien aufgrund der „absehbaren und vermeidbaren“ Gefahr für die Zivilbevölkerung. 

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