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Die russische Regierung soll Vorschriften verändern, die unabhängiges politisches Handeln einschränken, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Im Zusammenhang mit einem wachsenden Autoritarismus in Russland wurden neue Gesetze und Vorschriften erlassen, die dem Staat weit reichende Vollmachten übertragen, um die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zu beeinträchtigen.

Der 72-seitige Bericht "Choking on Bureaucracy: State Curbs on Independent Civil Society Activism” dokumentiert, wie sich diese Vorschriften gezielt gegen zahlreiche NGOs richten, die zu umstrittenen Themen arbeiten, öffentliche Kritik mobilisieren wollen oder Finanzmittel aus dem Ausland erhalten.

„Die neuen Regelungen bedeuten für NGOs, dass ihnen ständig Schikanen drohen”, sagte Kenneth Roth, Executive Director von Human Rights Watch. „Dies stellt eine ernsthafte Bedrohung für die freie Meinungsäußerung in Russland dar.”

Roth sollte den Bericht auf einer Pressekonferenz in Moskau vorstellen. Doch das Außenministerium, das davon wusste, führte immer wieder neue technische Gründe an, um das Visum abzulehnen.

Unter den neuen Regelungen ist auch ein Gesetz aus dem Jahr 2006, das der staatlichen Registrierungsbehörde die weit reichende Kontrolle von NGOs ermöglicht. Die Behörde kann demnach Registrierungsanträge von NGOs ablehnen, sie in einem äußerst schikanösen Verfahren überprüfen sowie die umfassende Aushändigung von Dokumenten – einschließlich vertraulicher Unterlagen – verlangen.

Bei der Überprüfung handelt es sich um ein langwieriges bürokratisches Verfahren, das die eigentliche Arbeit der NGO mitunter völlig zum Erliegen bringt. Theoretisch kann eine NGO auch mehrfach nacheinander kontrolliert werden. Die Registrierungsbehörde kann nach einer Überprüfung Verwarnungen aussprechen, die sich auf viele verschiedene angebliche, zum Teil unbedeutende Regelverletzungen beziehen können. Ebenso kann sie die Schließung einer NGO aufgrund von wiederholten oder „systematischen” Verstößen beantragen. Nach Angaben der Registrierungsbehörde wurden 2007 innerhalb von vier Monaten 6.000 NGOs offiziell verwarnt.

Der Bericht von Human Rights Watch erläutert die praktischen Auswirkungen dieser Regelungen am Beispiel von NGOs, die von den Behörden schikaniert oder durch Bürokratismus massiv in ihrer Arbeit behindert wurden.

So befand sich 2007 etwa das „Zentrum für Aufklärungs- und Bildungsprogramme“ (CERP), eine kleine NGO aus St. Petersburg, monatelang im Visier der Behörden. Die örtliche Registrierungsbehörde beschuldigte CERP, dass es seine Befugnisse überschritten hätte, da es weniger „Aufklärungs-“ als vielmehr „Bildungsarbeit“ betreibe. Zudem hätte das Zentrum trotz des Status als lokale Organisation auch Veranstaltungen außerhalb von St. Petersburg durchgeführt. Gerügt wurde CERP auch wegen einer Publikation, die nach Meinung der Behörde die Arbeit von Staatsbeamten behindere, diskreditiere und Russlands Interessen untergrabe, indem sie der Polizei mangelndes Bewusstsein für Flüchtlingsrechte vorwarf. Die Registrierungsbehörde von St. Petersburg beantragte die Auflösung des CERP. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Wenn Organisationen zu politisch sensiblen Themen arbeiten oder Finanzmittel aus dem Ausland erhalten, sind sie wegen Fragen des Steuerrechts, Software-Lizenzen oder anderen Vorschriften kontrolliert worden. Besonders trifft dies Organisationen, die sich mit Tschetschenien befassen. Fast während des gesamten Jahres 2007 wurde etwa das Informationszentrum des NGO-Rates von den Steuerbehörden mit der Auflösung bedroht. Das Zentrum veröffentlicht täglich Informationsblätter zur Situation in Tschetschenien und Inguschetien. Der Gruppe wurde vorgeworfen, nicht korrekt registriert gewesen zu sein und Steuerrückzahlungen versäumt zu haben. Die Rückzahlungsforderungen der Steuerbehörde an die Organisation belaufen sich auf umgerechnet 20.000 US-Dollar.

Die russische Regierung betrachtet die ausländische Finanzierung von NGOs seit den so genannten „bunten Revolutionen“ in Georgien 2003 und der Ukraine 2004 äußerst misstrauisch und lässt keinen Zweifel daran, dass das Gesetz von 2006 die Kontrolle und Überwachung dieser Finanzierung zum Ziel hat. Zudem ist dieses Gesetz nur das jüngste in einer ganzen Reihe von Regierungsmaßnahmen, wodurch die Kontrolle des Kreml erschwert worden ist. Seit 2000 hat die Regierung das unabhängige Fernsehen ausgeschaltet, die Printmedien zunehmend kontrolliert, die parlamentarische Opposition marginalisiert und die Direktwahl der Gouverneure abgeschafft.

„Wir behaupten nicht, dass die russische Regierung die Zivilgesellschaft beseitigen will, aber sicherlich gesteht sie ihr weniger Raum zu“, so Roth. „Die NGO-Szene in Russland ist groß und lebendig – das verdankt sie ihrer eigenen Widerstandsfähigkeit und den ausländischen Partnern Russlands, die sich beharrlich und mit Nachdruck für die freie Meinungsäußerung eingesetzt haben. Jetzt muss die Regierung handeln, und Russlands Partner müssen mit ihr zusammenarbeiten, damit dies passiert.“

Human Rights Watch fordert die russische Regierung auf, das NGO-Gesetz von 2006 zu ändern, die am stärksten einschränkenden Regelungen zu entfernen und das bisher gespannte und hierarchische Verhältnis der Registrierungsbehörde zu den NGOs auf eine neue, kooperative Grundlage zu stellen.

Human Rights Watch appellierte auch an die internationalen Partner Russlands, insbesondere an die Europäische Union und den Europarat. Diese sollen die russische Regierung bei jeder Gelegenheit dazu auffordern, möglichst früh in der neuen Wahlperiode konkrete Schritte zu ergreifen, damit die Zivilgesellschaft frei agieren kann.

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