(New York, 24. Januar 2007) –Mit der Unterstützung oder stillschweigender Duldung der Regierung Sri Lankas hat die Karuna-Gruppe im Osten des Landes Hunderte Kinder entführt und zum Dienst an der Waffe gezwungen, erklärte Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.
Der Anführer der Karuna-Gruppe V. Muralitharan, besser bekannt als „Karuna“ ist ein ehemaliger Kommandant der „Befreiungstiger von Tamil Eelam“ (LTTE). Seine Gruppe spaltete sich 2004 von der LTTE ab und unterstützt heute das srilankische Militär bei seinem Kampf gegen die Rebellengruppe.
In dem 100-seitigen Bericht „Complicit in Crime: State Collusion in Abductions and Child Recruitment by the Karuna Group“ dokumentiert Human Rights Watch systematische Entführungen und Zwangsrekrutierungen durch die Karuna-Gruppe im vergangenen Jahr. Durch die Untersuchung von Einzelfällen, durch Karten und Fotos zeigt der Bericht, wie Kader der Karuna-Gruppe in von Regierungstruppen kontrollierten Gebieten straflos operieren können. Sie entführen Jungen und junge Männer, bringen sie in Ausbildungslager und schicken sie in Kampfeinsätze.
„Die Karuna-Gruppe entführt am helllichten Tag Kinder aus Gebieten, die fest in der Hand der Regierung sind“, erklärte Brad Adams, Direktor der Asien-Abteilung bei Human Rights Watch. „Die Regierung weiß von den Verschleppungen. Doch sie lässt sie zu, um die Karuna-Gruppe als Verbündeten gegen die LTTE zu gewinnen.“
Der Bericht umfasst Zeugenaussagen von über 20 Angehörigen entführter Jungen und junger Männer, die bei Recherchen in Teilen Sri Lankas gesammelt wurden, in denen die Karuna-Gruppe agiert. Die Angehörigen berichten, wie bewaffnete Karuna-Mitglieder ihre Brüder, Söhne oder Neffen gewaltsam aus den Wohnungen, von der Arbeit, aus Tempeln, von Spielplätzen, ja sogar von Hochzeitsfeiern entführten.
Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF hat mehr als 200 Fälle dokumentiert, in denen die Karuna-Gruppe im östlichen Teil Sri Lankas, ihrem Hauptaktionsgebiet, Kindersoldaten rekrutiert hat. Aufgrund der schlechten Informationslage ist die Dunkelziffer jedoch hoch.
Doch Kinder sind nicht die einzigen Opfer: Human Rights Watch fand heraus, dass die Karuna-Gruppe Hunderte junger Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren verschleppt und zwangsrekrutiert hat. Human Rights Watch sind nur zwei Fälle bekannt, in denen Mädchen entführt wurden. Die Miliz nimmt in der Regel arme Familien ins Visier, häufig auch solche, in denen bereits ein Kind von der LTTE rekrutiert wurde.
Die Regierung Sri Lankas weiß spätestens seit Juni 2006, wahrscheinlich auch schon länger, von den Entführungen durch die Karuna-Gruppe. Die östlichen Regierungsbezirke, in denen die Entführungen stattfinden, stehen fest unter der Kontrolle der Regierung. Dort gibt es eine massive Truppenpräsenz, unzählige Checkpoints und Stützpunkte der Sicherheitskräfte.
“Nachdem sie Jahre lang den Einsatz von Kindersoldaten durch die LTTE verurteilt hat, macht sich die Regierung nun selbst zum Komplizen dieses Verbrechens“, so Joe Becker, Expertin für Kinderrechte bei Human Rights Watch und Autorin zahlreicher Berichte über die LTTE. „Mit ihrem Stillschweigen über Entführungen der Karuna-Gruppe belegt die Regierung ihre heuchlerische Haltung in dieser Frage.“
Bei einem Vorfall im Juni 2006 verschleppte die Karuna-Gruppe 13 Jungen und hielt sie eine Zeit lang in einem Geschäft in unmittelbarer Nähe eines Armeepostens fest. Einige der Eltern flehten die Soldaten an einzugreifen. Gegenüber Human Rights Watch erklärten sie, zwei Soldaten hätten daraufhin mit den Karuna-Kämpfern gesprochen, die Entführung jedoch nicht beendet.
Am gleichen Tag brachten Soldaten des srilankischen Militärs in einem anderen Dorf sieben Jungen auf ein Feld, kontrollierten ihre Papiere und fotografierten sie. Am Abend erschienen Mitglieder der Karuna-Miliz und nahmen vier von ihnen mit. Es liegen jedoch keine Beweise vor, dass die Soldaten bei diesem Vorfall in Absprache mit der Karuna-Gruppe handelten.
Nach der Entführung bringt die Karuna-Gruppe die Jungen und jungen Männer häufig in das nächstgelegene Büro der „Tamil Makkal Viduthalai Pulikal“ (TMVP), des politischen Arms. Diese werden routinemäßig vom srilankischen Militär oder der Polizei bewacht. Eltern entführter Jungen berichteten Human Rights Watch, sie hätten ihre Söhne in den Büros der TVMP gesehen oder von Funktionären der Partei erfahren, dass sie dort gewesen seien.
Nach einigen Tagen bringt die Miliz die Entführten in eines ihrer Lager im Urwald, etwa 10 km nordwestlich von Welikanda im Bezirk Polonnaruwa und etwa 50 km nordwestlich von Batticaloa. In Welikanda befindet sich der Stützpunkt der 23. Division der srilankischen Armee. Die gesamte Region einschließlich der Hauptverbindungsstraße aus den östlichen Bezirken nach Welikanda steht fest unter Regierungskontrolle. Um das Gebiet zu durchqueren, muss man zahlreiche Kontrollpunkte der Armee und Polizei passieren. Ohne die Unterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung wäre es unmöglich gewesen, entführte Jugendliche in die Ausbildungslager zu bringen. Das Karuna-Lager im Dorf Mutugalla befindet sich sogar in der Nähe eines Armeepostens.
„Die Regierungstruppen sind nicht nur unfähig, den Entführungen Einhalt zu gebieten, sie erlauben der Karuna-Gruppe vielmehr, entführte Kinder an ihren Kontrollpunkten vorbei in Ausbildungslager zu bringen.“, so Becker.
Human Rights Watch erklärte, dass auch die srilankische Polizei sich der Mittäterschaft schuldig mache, indem sie keine ernsthaften Ermittlungen einleite, wenn betroffene Eltern Anzeige erstatteten. Berichten zufolge weigerte sich die Polizei in einigen Fällen sogar, eine Anzeige aufzunehmen. In anderen Fällen, habe sie die Beschwerden zwar erfasst, den betroffenen Familien zufolge jedoch keine ordentlichen Ermittlungen eingeleitet. Es ist kein Fall bekannt, in dem die Polizei eine Freilassung erreichen konnte.
In einem Interview mit Human Rights Watch im November wies Karuna Anschuldigungen, seine Kämpfer entführten und rekrutierten Kinder, zurück. Er erklärte, niemand in seiner Truppen sei jünger als 20 Jahre alt. Kommandeure, die Kinder und Jugendliche rekrutieren wollten, würden bestraft. Karuna sicherte der UN wiederholt zu, er würde die Rekrutierung von Kindern in politischen Grundsatzerklärungen ächten, alle Minderjährigen in den Reihen der Karuna-Kämpfer freilassen und UNICEF Zugang zu seinen Ausbildungslagern ermöglichen.
Am 2. Januar 2007 händigte die TVMP, Karunas politische Partei, die Dienstvorschriften für ihren militärischen Arm an UNICEF aus. Diese legen 18 Jahre als Mindestalter für Rekruten fest und sehen Strafen für Mitglieder vor, die Kinder rekrutierten.
Derzeit gibt es jedoch keine Anzeichen dafür, dass diese Zusagen einhalten werden. Menschenrechtler vor Ort und internationale Agenturen berichteten im November und Dezember 2006, dass die Karuna-Gruppe weiterhin Kinder und Jugendliche entführe.
Als der UN-Gesandte Allan Rock im November der srilankischen Regierung Mitschuld an den Entführungen gab, versprach diese, eine Untersuchung einzuleiten. Tatsächlich jedoch stellten Vertreter der Regierung unddes Militärs Rocks Glaubwürdigkeit in Frage.
“Die Regierung sollte aufhören, Ausflüchte zu erfinden, und endlich eine gründliche und unabhängige Untersuchung der Regierungsverstrickung in die Verbrechen Karunas einleiten“, forderte Adams. „Wenn die Regierung den Vorfällen selbst nicht nachgehen will, so muss sie unabhängige, internationale Ermittlungen zulassen.“
Die LTTE zwingt Kinder seit langem, in ihren Reihen zu kämpfen, und benutzt sie als Infanteristen, Sanitäter, zur Aufklärung und sogar als Selbstmordattentäter. Human Rights Watch dokumentierte die Praktiken der LTTE 2004 in dem Bericht „Living in Fear: Child Soldiers and the Tamil Tigers in Sri Lanka“.
Der neue Bericht enthält auch aktuelle Informationen über Kindesentführungen der LTTE. Er fordert die UN auf, der Rebellengruppe wegen ihrer wiederholten Verstöße gezielt Sanktionen aufzuerlegen. Die UN sollte ferner darauf bestehen, dass die Karuna-Gruppe umgehend Maßnahmen beschließt und umsetzt, welche der Rekrutierung von Kindersoldaten ein Ende setzen. Falls sie dieser Aufforderung nicht nachkommt, sollen gezielte Sanktionen gegen die Karuna-Gruppe in Erwägung gezogen werden, erklärte Human Rights Watch.
Am 9. Februar tagt eine Arbeitsgruppe des UN-Sicherheitsrates zur Rolle von Kindern in bewaffneten Konflikten. Sie wird über die Verstöße aller Konfliktparteien in Sri Lanka beraten und Empfehlungen gegenüber dem Sicherheitsrat aussprechen.
Human Rights Watch fordert schon jetzt die LTTE, die Karuna-Gruppe und die srilankische Regierung auf, keine Kinder mehr zum Dienst an der Waffen zu rekrutieren und alle Kindersoldaten in ihren Reihen sofort freizulassen.