(New York, 19. Dezember 2005) – Die USA haben laut Aussagen von Gefangenen in Guantánamo bis 2004 ein Geheimgefängnis in Afghanistan betrieben, in dem gefoltert und misshandelt wurde, berichtete Human Rights Watch heute.
Acht Häftlinge, die sich gegenwärtig in Guantánamo befinden, haben ihren Anwälten erzählt, dass sie in einer Einrichtung in der Nähe von Kabul zwischen den Jahren 2002 und 2004 gefangen gehalten worden seien. Die Gefangenen, die die Haftanstalt "Gefängnis der Finsternis" nannten, berichteten, dass man sie an die Wand gefesselt hätte. Sie seien wochenlang ohne ausreichend Nahrung oder Trinkwasser bei völliger Dunkelheit gehalten worden, während man sie lautem Rap, Heavy Metal Musik und lauten Geräuschen aussetzte. Die Fesseln hätten es unmöglich gemacht, sich hinzulegen oder zu schlafen, und hätten zu Prellungen und Quetschungen an Hand und Handgelenken geführt. Die Häftlinge gaben auch an, dass die US-Vernehmungsbeamte sie während der Verhöre geschlagen hätten.
Nach übereinstimmenden Angaben der Gefangenen trugen weder die amerikanischen, noch die afghanischen Wächter oder die US-Vernehmungsbeamten militärische Kleidung, was darauf schließen lässt, dass das Gefängnis von CIA-Leuten betrieben wurde.
Die Häftlinge gaben weiterhin an, dass sie in Isolation gehalten wurden und keinen Besuch von Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes oder einer anderen unabhängigen Organisation erhielten.
"Die US-Regierung muss Aufschluss über das 'Gefängnis der Finsternis' in Kabul geben", forderte John Sifton, Terrorismus und Antiterror Experte bei Human Rights Watch. "Niemand, egal welches Verbrechens er beschuldigt wird, darf in ein Geheimgefängnis gesperrt oder gefoltert werden."
Die Behauptungen der Häftlinge wurden von deren Anwälten an Human Rights Watch übermittelt. Es gelang Human Rights Watch nicht, die Häftlinge direkt zu befragen, da Menschenrechtsorganisationen von den Vereinigten Staaten keine Erlaubnis erhalten, Gefangene in Guantánamo oder anderen Haftanstalten im Ausland zu besuchen. Für Human Rights Watch sind die Berichte der Häftlinge glaubhaft genug, um eine offizielle Untersuchung zu rechtfertigen. Die Häftlinge stammen aus mehreren Ländern und haben verschiedene Anwälte. Keiner von ihnen behauptete, länger als sechs Wochen in der geheimen Anlage gewesen zu sein, und keiner machte sonstige außergewöhnliche Ansprüche geltend.
Die meisten Häftlinge gaben an, dass man sie in asiatischen Ländern oder im Nahen Osten verhaftet und dann nach Afghanistan gebracht habe. Häftlinge, die mit dem Flugzeug ankamen, erzählten, dass sie ungefähr fünf Minuten vom Landeplatz bis zum Gefängnis gefahren seien. Laut den afghanischen Wächtern hat sich das Gebäude in der Nähe von Kabul befunden. Andere Häftlinge wurden mehrere Male von dort zu einer anderen geheimen Einrichtung in der Nähe Kabuls transferiert und wieder zurück. Später wurden sie in die Hauptstrafanstalt des US-Militärs in der Nähe von Bagram überliefert, wo viele andere Guantánamo Häftlinge ihren eigenen Angaben zufolge ursprünglich festgehalten wurden.
Human Rights Watch vermutet, dass das "Gefängnis der Finsternis" Ende 2004 geschlossen wurde, nachdem mehrerer Häftlinge nach Bagram überstellt worden waren.
M.Z., der im Jahre 2002 verhaftet worden war (Name und weitere Angaben werden auf Ersuchen seines Anwaltes nicht veröffentlicht), gab an, er sei in diesem Gefängnis ungefähr vier Wochen lang festgehalten worden, in einem "sehr dunklen unterirdischen Ort" mit ständiger "lauter Musik". Man habe ihn in Einzelhaft gehalten, wo es "pechschwarz" war und "kein Licht" gab. Zum Verhör sei er in einen Raum mit Stroboskoplicht geführt und an einen im Boden befestigten Ring gefesselt worden und der Vernehmungsbeamte habe ihm mit Vergewaltigung gedroht.
Benyam Mohammad, ein äthiopischer Häftling in Guantánamo, der in Großbritannien aufgewachsen ist, schilderte seinem Anwalt seine Erfahrungen im Jahr 2004 im "Gefängnis der Finsternis" wie folgt:
"Es war pechschwarz und die meiste Zeit gab es kein Licht in den Räumen…. Sie hingen mich auf. Am zweiten Tag durfte ich ein paar Stunden schlafen, dann hingen sie mich wieder auf, dieses mal für zwei Tage. Meine Beine schwollen an und meine Hände und Handgelenke wurden taub ... 20 Tage lang gab es laute Musik, "Slim Shady" and Dr. Dre …Dann gab es schreckliches Geistergelächter und Geisterbahngeräusche. Einmal war ich für zwei Wochen an Schienen gefesselt …Die CIA bearbeitete die Leute, einschließlich mich, Tag und Nacht …Viele verloren den Verstand. Ich konnte hören, wie Leute ihren Kopf gegen die Wände und Türen schlugen und sich die Seele aus dem Leibe brüllten."
J.K., ein anderer Häftling (Name auf Ersuchen des Anwalts nicht veröffentlicht), gab ebenfalls an, dass er in Dunkelheit an die Wand gefesselt gewesen sei und dabei Schlafentzug und ununterbrochen laute Musik und Lärm ertragen hätte müssen. Während der Vernehmungen habe man ihn geschlagen. "Die Leute schrieen ständig vor Schmerz und weinten", erzählte er seinem Anwalt.
Abd al-Salam Ali al-Hida, ein Jemenit, dessen Verhaftung und Überführung nach Afghanistan bereits von Human Rights Watch dokumentiert wurde, gab an, dass er im Jahre 2003 mehrmals im "Gefängnis der Finsternis" festgehalten worden sei. Seinen Anwälten erzählte er, er sei an die Wand gekettet gewesen, in fast ständiger Dunkelheit, ohne Schlaf und mit anhaltendem Lärm.
Ähnliche Angaben machten die Anwälte von Hassin bin Attash, Jamil el Banna und Bisher al Rawi, drei weitere Häftlinge, die aussagten, sie seien im "Gefängnis der Fisnternis" inhaftiert gewesen. Auch sie sprachen von ständiger Dunkelheit, Fesselung, Schlafentzug, mangelhafter Verpflegung, schlechtem Wasser und Prügeln während der Verhöre.
Am 18. November berichtete ABC-News, dass der CIA in Kabul eine geheime Einrichtung betrieben habe. Die CIA-Agenten, die sich an den Fernsehsender gewandt hatten, sprachen Bedenken über die dortigen Vernehmungsmethoden aus. Laut den Beamten, die von ABC Anonymität erbaten, hat der CIA sechs Methoden für die Behandlung von Häftlingen, die viel wissen könnten, autorisiert. Die Techniken beinhalten Schlafentzug, den Häftling für länger als 40 Stunden der Kälte aussetzen und das sogenannte "Waterboarding", bei dem Vernehmungsbeamte den Gefangenen so lange untertauchen, bis er zu ertrinken oder zu ersticken glaubt. Die Agenten erzählten ABC, dass die CIA diese Techniken im März 2002 autorisiert habe und diese sowohl in Kabul als auch anderswo angewandt worden seien.
Die Aussagen der Guantánamo Gefangenen stimmen auch mit der Geschichte überein, die ABC-News und Al-Arabiya auf Video erhalten haben. In dem Video erklären vier aus der US-Haft in Bagram entflohene Häftlinge, sie seien, bevor sie nach Bagram kamen, in dem "Gefängnis der Finsternis" festgehalten worden. Man habe sie sowohl lauter Musik, totaler Dunkelheit als auch körperlicher Misshandlung ausgesetzt.
Human Rights Watch berichtete vor kurzem von 26 "verschwundenen" Personen, von denen man annimmt, dass man sie in geheimen Einrichtungen gefangen hält, die von den USA betriebenen oder genutzten werden. Diese Verschleppungen sind ungesetzlich. Die inhaftierenden Behörden leugnen entweder, diese Person festzuhalten, oder weigern sich, seinen oder ihren Aufenthaltsort bekannt zu geben. Die USA nutzten Human Rights Watch zufolge die Einrichtung in Kabul möglicherweise mehrere Male für die Festhaltung der "verschwundenen" Häftlinge.
Laut Human Rights Watch stellen die Folterungen und Misshandlungen, sollten sie sich als wahr erweisen, eine ernstliche Verletzung des US-Strafrechtes dar und verstoßen gegen afghanische Gesetze. Die Misshandlung von Gefangenen verletzt die Anti-Folter-Konvention und den Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte, die beide von den USA ratifiziert wurden. Folter verstößt auch gegen die Kriegsgesetze.
Human Rights Watch fordert seit langem einen Sonderermittler, der die angeblichen Misshandlungen von Gefangenen in US-Haftanstalten im Ausland untersuchen soll.
"Wir sprechen hier nicht von Folter in der Theorie sondern von der Wirklichkeit", sagte Sifton "US-Beamte sind möglicherweise strafrechtlich haftbar und ein Sonderermittler ist für die Untersuchung notwenig."
Human Rights Watch appellierte an die Vereinigten Staaten, die "verschwundenen" Personen in allgemein bekannte Strafanstalten zu überliefern, die gesetzliche Grundlage für die Inhaftierungen zu erläutern, und Besuche von unabhängigen Überwachern bei allen Häftlingen zu genehmigen. "Es ist höchste Zeit, dass die Bush-Regierung die Geheimgefängnisse schließt und niemanden mehr rechtswidrig festhält", so Sifton.