Die Ukraine verletzt regelmäßig die Rechte von Einwanderern und Asylsuchenden. Migranten und Flüchtlinge werden unter unmenschlichen Bedingungen in Gewahrsam gehalten. Sie werden geschlagen, erpresst, ausgeraubt und in Länder abgeschoben, in denen sie Folter ausgesetzt sind.
Die Europäische Union verschärft diese Problematik. Sie drängt die Ukraine dazu, keine Einwanderer in die EU zu lassen, und diejenigen wieder aufzunehmen, die die Grenze überschreiten. Das Thema Einwanderung soll auch ein wichtiger Tagesordnungspunkt beim Gipfeltreffen am 1. Dezember in Kiew sein. "Die Ukraine verletzt die Rechte von Migranten in jeder Hinsicht", erklärte Holly Cartner, Leiterin der Abteilung für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. "Anstatt die Ukraine zu drängen, immer mehr Einwanderer zurückzunehmen, sollte die Europäische Union der ukrainischen Regierung helfen, diese ernsten Probleme anzugehen."
Der 77-seitige Bericht "On the Margins - Ukraine: Rights Violations Against Migrants and Asylum Seekers at the New Eastern Border of the European Union" (Am Rande – Ukraine: Verletzungen der Rechte von Migranten und Asylsuchenden an der Ostgrenze der Europäischen Union) dokumentiert die schrecklichen Zustände in Polizeigewahrsam für Einwanderer und Asylsuchende. Darunter fallen überfüllte Unterkünfte, ungenügende Betten und Kleidung, wenig oder kein Zugang zu frischer Luft, körperlicher Bewegung und medizinischer Versorgung.
Der Bericht dokumentiert außerdem gewalttätige und verbale Angriffe, Überfälle und Erpressungen, denen die Häftlinge ausgesetzt sind. Migranten und Asylsuchende, die sich in Haft befinden, haben Human Rights Watch zufolge oft keinen Zugang zu einem Anwalt und keine Möglichkeit, ihre Freilassung zu beantragen. Das Asylsystem ist kaum funktionsfähig. Asylsuchende werden in Länder abgeschoben, in denen sie Verfolgung oder Folter ausgesetzt sind.
Rückführungsvereinbarungen zwischen der Ukraine und ihren EU-Nachbarstaaten werden dazu verwendet, Migranten und Asylsuchende pauschal in die Ukraine zurückzuschicken. Es wird nicht geprüft, ob sie als Flüchtlinge oder auf Grundlage der Menschenrechte schutzbedürftig sind. Besonders gefährdet sind Asylsuchende aus Tschetschenien. Diese sind oft das Ziel von Übergriffen durch die ukrainische Polizei und werden gezwungen nach Russland zurückzukehren. Das Risiko erneuter Verfolgung, das ihnen in diesem Land droht, wird nicht beachtet. Obwohl russische Staatsbürger kein Visum zur Einreise in die Ukraine benötigen, werden Tschetschenen oft nur dann über die Grenze gelassen, wenn Sie Bestechungsgelder zahlen. Werden Tschetschenen auf Ihrem Weg in die EU in der Ukraine verhaftet, wird ihnen das Asylrecht verweigert. Bisher wurde noch kein Tschetschene als Flüchtling in der Ukraine anerkannt. Eine Tschetschenin sagte gegenüber Human Rights Watch: "Für die sind wir keine Menschen."
Die Ukraine sieht sich durch die EU-Erweiterung sowohl an ihren Ost- als auch ihren Westgrenzen unter Druck gesetzt. Ein wachsender Strom von Einwanderern und Asylsuchenden versucht, vom Osten aus in die EU zu gelangen. Gleichzeitig spürt die ukrainische Regierung Druck aus dem Westen. Die EU drängt die Ukraine, immer mehr Einwanderer und abgelehnte Asylbewerber aus der EU aufzunehmen. Dies wird noch weiter zunehmen, wenn sich die Ukraine und die EU auf ein EU-weites Rückführungssystem einigen. Weiterhin fordert die EU von der ukrainischen Regierung, die gemeinsame Grenze stärker zu überwachen. "Die Ukraine wünscht sich engere Beziehungen zur Europäischen Union und ist daher nur allzu bereit, bei der Einwanderungspolitik zu kooperieren", sagte Cartner. "Diese Kooperation geht allerdings zu Lasten des Schutzes der Menschenrechte in der Ukraine, was engere Beziehungen zur EU eigentlich ausschließt."
Der Bericht stützt sich auf Interviews mit über 150 Migranten und Asylsuchenden in der Ukraine und den EU-Nachbarn Polen, der Slowakei und Ungarn. Er kommt zu dem Schluss, dass die Ukraine den Schutz von Flüchtlingen und Menschenrechten deutlich verbessern muss, bevor sie als ein sicheres Land für Migranten und abgelehnte Asylbewerber gelten kann. Die Europäische Union muss eine entscheidende Rolle spielen, um diese Veränderungen herbeizuführen.
Human Rights Watch appelliert
an die ukrainische Regierung:
- ihre Einwanderungs- und Asylgesetze den internationalen Normen anzupassen.
- sofort allen Asylsuchenden ein faires Asylverfahren zu garantieren und diese vor Abschiebung zu schützen, bis über den Antrag entschieden wurde.
- strikte Richtlinien für die Haftbedingungen zu entwickeln, sie umzusetzen und Häftlingen die Möglichkeit zu geben, ihre Freilassung zu beantragen.
an die Europäische Gemeinschaft:
- klare Bedingungen für die Umsetzung des Rückführungsabkommens festzulegen, darunter den Zugang zu Asyl, legislative Verbesserungen und die Modernisierung der Aufnahme- und Haftbedingungen in der Ukraine.
- keine Asylsuchenden und Einwanderer in die Ukraine zurückzuschicken, bis die Erfüllung dieser Bedingungen ausreichend nachgewiesen ist.
- keine zukünftige EU-Initiative mit der Ukraine zu verwenden, um über die Ukraine in die EU eingereiste Asylsuchende pauschal abzuschieben, ohne ihre Schutzbedürftigkeit zu prüfen.