- Die weitreichenden und vorsätzlichen Einschränkungen des Journalismus in Griechenland schaffen ein Umfeld, in dem eine kritische Berichterstattung unterdrückt und Selbstzensur zur Norm wird.
- Journalist*innen sind staatlicher Überwachung, Schikanen und Einschüchterungen durch regierungsnahe Akteure sowie missbräuchlichen Klagen von Politiker*innen ausgesetzt, die allesamt eine Bedrohung für die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit darstellen.
- Die EU-Kommission und die EU als Ganzes müssen die Situation genau beobachten und sicherstellen, dass echte Fortschritte bei der Medienfreiheit in Griechenland erzielt und die demokratischen Grundwerte gewahrt werden.
(Athen, 8. Mai 2025) – Die Pressefreiheit in Griechenland ist derzeit massiv bedroht. Dies ist auf Maßnahmen und Versäumnisse der griechischen Regierung zurückzuführen. Die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind dadurch gefährdet, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.
Der 101-seitige Bericht, „From Bad to Worse: The Deterioration of Media Freedom in Greece“ dokumentiert das feindselige Umfeld für unabhängige Medien und Journalist*innen seit Regierungsbeginn der liberal-konservativen Partei „Neue Demokratie“ im Juli 2019. Es kommt zu Schikanen, Einschüchterung, Überwachung und missbräuchlicher Gerichtsverfahren. Dies alles trägt zu einer Selbstzensur und einer Beeinträchtigung der Pressefreiheit bei. Human Rights Watch stellte außerdem fest, dass die Verwendung staatlicher Mittel zur Beeinflussung der Berichterstattung und die redaktionelle Einflussnahme auf öffentliche Medien dieses Klima weiter verschärfen. Diese Bedingungen untergraben das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht der Öffentlichkeit auf Information.
„Die weitreichenden und vorsätzlichen Einschränkungen des Journalismus in Griechenland schaffen ein Umfeld, in dem kritische Berichterstattung unterdrückt und Selbstzensur zur Norm wird“, sagte Hugh Williamson, Direktor für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Die EU muss dies als ernsthafte Bedrohung für die demokratischen Werte und die Rechtsstaatlichkeit anerkennen und Athen zu einem Kurswechsel drängen.“
Für den Bericht wurden Interviews mit 26 Journalist*innen aus verschiedenen Medien sowie mit Wissenschaftler*innen und Rechts- und Medienexpert*innen geführt. Human Rights Watch sprach mit Journalist*innen, die für Printmedien, Online-Medien, Fernsehen und Radio, für öffentliche, private und unabhängige Sender arbeiten, ebenso wie mit Auslandskorrespondent*innen und freischaffenden Journalist*innen. Nur wenige waren bereit, sich zu erkennen zu geben, da sie Repressalien befürchten. Wir analysierten zudem Berichte und andere Dokumente und konsultierten relevante Interessengruppen.
Die griechische Medienlandschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass einige wenige mächtige Personen eine Großzahl der Medien besitzen und kontrollieren. Viele von ihnen haben Verbindungen zur aktuellen Regierungspartei.
Zweiundzwanzig Journalist*innen berichteten über ein zunehmend feindseliges Umfeld für ihre Arbeit, sechs berichteten über konkrete Fälle von Schikanen durch hochrangige Regierungsvertreter*innen im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung.
Eine freiberufliche Auslandskorrespondentin sagte: „Jetzt erwäge ich, das Land zu verlassen. Und zwar wirklich. Ich sehe einfach keinen Sinn darin, mich dieser Angst auszusetzen. Die Berichterstattung ist zwar wichtig, aber das Ausmaß der Gewalt scheint noch schlimmer geworden zu sein.“
Eine Reporterin mit über 25 Jahren Erfahrung bei einem großen griechischen Privatfernsehsender sagte: „Was man im Fernsehen sagt, wird so kontrolliert, dass man keine Freiheit hat. Die Kontrolle wird von ganz oben ausgeübt.... Alles wird kontrolliert. Was man sagt und wie man es sagt.“
Im Jahr 2022 stand die Regierung im dringenden Verdacht, Predator-Spionageprogramme eingesetzt zu haben, um unter anderem Journalist*innen zu überwachen. Dies führte zu einem großen Überwachungsskandal. Sieben der Journalist*innen gaben an, Beweise für oder einen starken Verdacht auf staatliche Überwachung zu haben, sei es durch „traditionellere“ Mittel wie Abhören oder durch den gezielten Einsatz kommerzieller Spionagesoftware. Dies wirft ernste Bedenken hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre und der freien Meinungsäußerung auf und birgt die Gefahr, dass die Berichterstattung beeinträchtigt wird, da sowohl Informant*innen als auch Journalist*innen um ihre Sicherheit fürchten.
Stavros Malichudis, ein freischaffender Reporter, der 2021 herausfand, dass der griechische Geheimdienst ihn ausspioniert hatte, sagte: „Viele Monate lang lebte ich in Angst. Ich hatte Angst davor, Menschen zu treffen, meine Quellen zu treffen und ihre Identität so zu verraten. Es hat lange gedauert, mich von den Geschehnissen zu lösen und wieder mit der Berichterstattung zu beginnen.“
Human Rights Watch stellte außerdem fest, dass die Regierung unzulässigen Einfluss auf staatliche Medien wie ERT und die Athenisch-Makedonische Nachrichtenagentur (AMNA) ausgeübt und deren Unabhängigkeit untergraben hat. Die Regierung verwendete auch öffentliche Gelder, um regierungsnahe Medien zu begünstigen.
Ein weiteres großes Problem ist die Instrumentalisierung des Rechtssystems, um gegen Journalist*innen vorzugehen, vor allem durch missbräuchliche Klagen, die auch SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) genannt werden. Die Verleumdungsklagen von Grigoris Dimitriadis, Neffe des griechischen Ministerpräsidenten und ehemaliger hochrangiger Regierungsbeamter, gegen Journalist*innen, die über den Überwachungsskandal berichtet hatten, sind nur ein Beispiel für diesen Trend.
Darüber hinaus wurde durch jüngste Gesetzesänderungen zwar die „einfache Verleumdung“ (Verbreitung einer Tatsache, die, selbst wenn sie wahr ist, beleidigend sein kann) entkriminalisiert, doch die Gesetze sehen nach wie vor die Straftatbestände „Beleidigung“ und „diffamierende Verleumdung“ vor.
Human Rights Watch stellte zudem fest, dass die Regierung und andere Behörden versuchen, die Rechenschaftspflicht zu untergraben. Hierbei berufen sie sich etwa auf die nationale Sicherheit, um die Veröffentlichung von Informationen im Zusammenhang mit dem Überwachungsskandal zu verhindern, Informant*innen zu verfolgen. Zudem werden Einzelheiten über die Verteilung öffentlicher Gelder an die Medien nur sehr widerwillig offengelegt.
Auf internationaler Ebene wächst die Besorgnis über den Zustand der Pressefreiheit in Griechenland, auch im Weltindex für Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF), in dem Griechenland unter den EU-Mitgliedsstaaten stets auf einem der letzten Plätze steht. Im Februar 2024 nahm das Europäische Parlament eine Entschließung an, in der es ernste Bedenken äußerte hinsichtlich der Medienfreiheit und der Rechtsstaatlichkeit in Griechenland. In den Rechtsstaatlichkeitsberichten der Europäischen Kommission werden ebenfalls Bedenken bezüglich der Medienfreiheit in Griechenland geäußert, auch wenn dort bisher die Schwere der Unterdrückung der Medien und deren systemischer Charakter nicht anerkannt wurde.
Human Rights Watch hat seine Rechercheergebnisse mit der Regierung, den zuständigen Behörden und den Medien geteilt. Die Reaktionen sind in dem Bericht zusammengefasst und online vollständig verfügbar. Die griechische Regierung hat zwar auf bestimmte Initiativen zur Verbesserung der Pressefreiheit hingewiesen, es ist jedoch unklar, ob diese Maßnahmen zu nennenswerten Veränderungen führen werden. Allgemein wird seitens der Regierung weitgehend der Status quo verteidigt und die Schwere der von Human Rights Watch dokumentierten Missstände heruntergespielt.
So wies Premierminister Kyriakos Mitsotakis die Resolution des Europäischen Parlaments zurück, indem er sagte, die Rechtsstaatlichkeit des Landes sei „stärker als je zuvor“ und dass „Griechenland in den letzten Jahren oft Ziel von Verleumdungen wurde“. Damit reagierte er auf die Kritik an der Menschenrechtsbilanz seiner Regierung.
Griechenland hat klare internationale Verpflichtungen zur Wahrung der Medienfreiheit und der Rechtsstaatlichkeit. Diese Grundsätze sind sowohl in der griechischen Verfassung als auch in den Grundwerten der Europäischen Union, die in den EU-Verträgen festgeschrieben sind, verankert. Die Europäische Union trägt die Verantwortung dafür, dass Griechenland als Mitgliedsstaat diesen Verpflichtungen nachkommt und gegen Verstöße gegen die Pressefreiheit vorgeht.
„Die abweisende Reaktion der griechischen Regierung auf die berechtigte Kritik des Europäischen Parlaments legt nahe, dass die Europäische Kommission stärker eingreifen muss“, sagte Williamson. „Insbesondere müssen die Kommission und die EU als Ganzes die Situation genau überwachen und sicherstellen, dass echte Fortschritte bei der Medienfreiheit in Griechenland gemacht und die demokratischen Grundwerte gewahrt werden.“