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Der zerstörte Spielplatz eines Kindergartens in der Stadt Kupiansk, Region Charkiwska, Ukraine, 26. Mai 2023.   © 2023 Serbei Bobok/AFP via Getty Images
  • Russlands groß angelegter Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Schulen und Kindergärten im ganzen Land verwüstet. Seit Februar 2022 wurden über 3.790 Bildungseinrichtungen beschädigt oder zerstört.
  • Ukrainische Kinder müssen angesichts der Kriegshandlungen einen hohen Preis bezahlen, denn Angriffe auf Bildungseinrichtungen sind Angriffe auf ihre Zukunft.
  • Internationale Geber und Hilfsorganisationen sollten die ukrainische Regierung beim gerechten Wiederaufbau von Schulen in allen Regionen der Ukraine unterstützen.


(Kiew, 9. November 2023) – Russlands groß angelegter Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Schulen und Kindergärten im ganzen Land verwüstet, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht und Video. Seit Februar 2022 wurden nach Angaben der ukrainischen Regierung mehr als 3.790 Bildungseinrichtungen beschädigt oder zerstört. Für Millionen von Kindern ist der Zugang zu Bildung damit stark beeinträchtigt.

Der 71-seitige Bericht „Tanks on the Playground“ dokumentiert die Beschädigung und Zerstörung von Schulen und Kindergärten in vier ukrainischen Regionen während der Kampfhandlungen der ersten Kriegsmonate. Die meisten Schäden an Bildungseinrichtungen, wie stark beschädigte Dächer und Klassenzimmer oder eingestürzte Wände, entstanden durch Luftangriffe, Artilleriebeschuss, Raketeneinschläge und in einigen Fällen durch Streumunition. Zudem plünderten und brandschatzten russische Streitkräfte häufig die von ihnen besetzten Schulen, was ein Kriegsverbrechen darstellt.

„Ukrainische Kinder müssen für diesen Krieg einen hohen Preis bezahlen, denn Angriffe auf die Bildung sind Angriffe auf ihre Zukunft“, erklärte Hugh Williamson, Direktor der Abteilung Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Die internationale Gemeinschaft sollte die Beschädigung und Zerstörung von Schulen in der Ukraine sowie die Plünderungen durch russische Truppen verurteilen.“

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VO:

Broken windows, burned out classrooms and vandalized property stand as somber reminders of Russia’s war against Ukraine, which engulfed these once vibrant schools.

SOUNDBITE: Hrianyk Oleksandr Principal of School *62, Kharkiv

The building was hit by two artillery shells.

The Classroom was destroyed, all the windows and doors in all the classrooms, halls, and passages were blown out.

VO:

Since Russia’s full-scale invasion of Ukraine in February 2022, numerous schools and kindergartens were hit by airstrikes, artillery, and rockets.

Many were looted and ransacked.

SOUNDBITE:

I was lying on the floor in the basement, and I thought the building was going to collapse.

The enemy has brought us so much pain.

VO:

The war has killed, injured, and traumatized Ukrainian children.

It has also had devastating impact on their access to education.

Russian forces occupied schools, turning them into bases and barracks, where soldiers took shelter, launched military operations, stored weapons, and parked armored vehicles.

SOUNDBITE: Valentina Zarytska Principal, Kukhari School

Of course, we all, children, and parents, want our school to be restored.

We want to be able to work here again.

We want our life to get back to normal.

VO:

Russian soldiers scrawled graffiti on walls, expressing hatred and vitriol towards Ukraine and Ukrainians.

The looted computers and other equipment, which are war crimes.

In some cases, Russian military use of schools made them targets for Ukrainian attacks.

This school in Borodianka, Kyivska region was reduced to ruins after a battle between Russian and Ukrainian forces.

Ukrainian forces in some instances also used schools for military purposes, which may have increased the risk of Russian attacks.

Overall, thousands of schools have been damaged.

SOUNDBITE: Romaniuk Inna Director of Education, Borodianka

It was impossible to hold back the tears.

The school was destroyed, everything was ruined.

The classrooms were looted, no equipment was left.

It was a terrible situation.

VO:

Ukraine, unlike Russia, has endorsed the Safe Schools Declaration and instructed its forces to avoid using schools and kindergartens for military purposes.

 

Human Rights Watch hat 50 Bildungseinrichtungen in den Oblasten Kiew, Charkiw, Tschernihiw und Mykolajiw besucht und fast 90 Schulbeamt*innen, Vertreter*innen lokaler Behörden und Zeug*innen militärischer Operationen befragt.

Seit Russlands Einmarsch in die Ostukraine im Jahr 2014 und insbesondere seit der russischen Invasion im Jahr 2022 stehen ukrainische Bildungseinrichtungen immer wieder unter Beschuss oder werden militärisch genutzt. Neben anderen Kriegsfolgen ist auch der Schulbetrieb stark eingeschränkt, nachdem er bereits durch Schulschließungen im Zuge der Corona-Pandemie beeinträchtigt war. Viele Schüler*innen aus beschädigten oder zerstörten Schulen mussten ihren Unterricht an anderen Schulen fortsetzen oder konnten nur zu bestimmten Zeiten oder von zu Hause aus lernen, was sich negativ auf die Qualität der Bildung auswirkt, so Human Rights Watch. Hinzu kommt, dass die Angriffe der russischen Streitkräfte auf die Energie-Infrastruktur und die daraus resultierenden Strom- und Internetausfälle auch den Fernunterricht häufig unmöglich machen.

Die ukrainische Regierung hat mehrere Schritte unternommen, um Bildungseinrichtungen vor Angriffen zu schützen. Im Jahr 2019 unterzeichnete das Land eine rechtlich nicht bindende politische Erklärung zum Schutz von Schulen in bewaffneten Konflikten, die Safe Schools Declaration, die darauf abzielt, Bildungseinrichtungen vor verheerenden Auswirkungen bewaffneter Konflikte zu schützen. Im August 2021 verabschiedete die Ukraine einen Aktionsplan, um in der Lage zu sein, die Anforderungen der Erklärung zu erfüllen. Bis Januar 2022 erhielten 1000 ukrainische Militärbedienstete eine Schulung zur Safe Schools Declaration und den darin enthaltenen „Leitlinien für den Schutz von Schulen und Universitäten vor militärischer Nutzung während bewaffneter Konflikte“.

Laut dem ukrainischen Verteidigungsministerium erging im Juli 2022 eine militärische Anordnung, die Räumlichkeiten von Bildungseinrichtungen nicht als vorübergehende militärische Hauptquartiere oder zur Unterbringung von Einheiten zu nutzen.

Zu den von Human Rights Watch dokumentierten Schäden und der Zerstörung von Schulen kam es vor allem in den ersten Wochen der Kämpfe im Jahr 2022, als russische Streitkräfte Städte und Ortschaften einnahmen und Schulen besetzten. In mehreren Fällen feuerten die russischen Streitkräfte beim Rückzug aus den besetzten Gebieten auf die Schulen, in denen sie sich verschanzt hatten, und richteten damit noch größeren Schaden an.

Bei der Besetzung der Schulen nahmen russische Truppen alles mit, was nicht bereits zerstört worden war, wie Computer, Laptops, Fernsehgeräte, interaktive Whiteboards, andere Schulausrüstung und Heizungsanlagen. Nach ihrem Abzug blieben ausgebrannte und geplünderte Klassenzimmer zurück. An manchen Wänden waren Schmierereien mit Hassbotschaften gegen die ukrainische Bevölkerung zu sehen.

So besetzten russische Soldaten beispielsweise die Borodianska-Schule in der Oblast Kiew und nutzten sie für militärische Zwecke. Ukrainisches Gegenfeuer führte daraufhin zu schweren Schäden. Beim Abzug hinterließen russische Soldaten anti-ukrainische Parolen und eine Flagge mit einem Hakenkreuz an den Wänden der Klassenräume.

„Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten“, sagte der Direktor der Schule. „Die Cafeteria haben sie [die russischen Streitkräfte] als Bad benutzt [die Waschbecken]. In einem anderen Raum war Blut an den Wänden zu sehen. […] Sie machten alle Computer kaputt […] und hinterließen einen Haufen Dreck. […] Die Laptops haben sie einfach mitgenommen.“

Werden Schulen zur Unterbringung von Truppen oder zur Lagerung von Munition genutzt oder Militärfahrzeuge auf dem Schulgelände abgestellt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese Schulen angegriffen werden. Die Streitkräfte sind nach dem Kriegsrecht verpflichtet, alles Erdenkliche zu tun, um Schulen und andere zivile Objekte unter ihrer Kontrolle vor den Folgen eines Angriffs zu schützen.

In früheren Berichten hat Human Rights Watch dokumentiert, dass russische Streitkräfte Schulen und Kindergärten, darunter auch Schulen für Kinder mit Behinderungen, angriffen, Kriegsgefangene gefoltert, vergewaltigt und anderweitig misshandelt sowie Zivilist*innen in Schulen festgehalten haben.

Russland hat die Safe Schools Declaration nicht unterzeichnet. Die Vereinten Nationen und andere Organisationen sollten die russische Regierung dazu drängen, absichtliche, wahllose und unverhältnismäßige Angriffe auf die Zivilbevölkerung und zivile Objekte, einschließlich Schulen, unverzüglich einzustellen, und Russland auffordern, ukrainische Bildungseinrichtungen nicht für militärische Zwecke zu nutzen. Russland sollte die Bestimmungen der Safe Schools Declaration einhalten und ihre Grundsätze in Militärschulungen einbeziehen.

In einigen wenigen Fällen, die Human Rights Watch dokumentiert hat, haben auch die ukrainischen Streitkräfte Soldat*innen in Schulen stationiert, Kontrollpunkte in der Nähe von Schulgebäuden eingerichtet oder eine geringe Zahl von Mitgliedern der Territorialverteidigung der Ukraine eingesetzt, um die Sicherheit von Zivilist*innen zu gewährleisten, die sich in Schulen aufhalten. Solche Maßnahmen können das Risiko von Angriffen erhöhen.

Das Bildungsministerium berichtete, dass im Januar 2023 mehr als 95 Prozent der schulpflichtigen Kinder in den Schulen eingeschrieben waren, eine bedeutende Leistung in Kriegszeiten, so Human Rights Watch. Trotz dieser Bemühungen zeigen die kriegsbedingten Lernunterbrechungen und die weltweiten Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie, dass die Umstellung von Präsenz- auf Fernunterricht oft zu Lernverlusten und Ungleichheit führt und dass massive Anstrengungen erforderlich sind, um den Bildungsverlust bei ukrainischen Kindern wieder aufzuholen.

Eine Frau aus Izium in der Oblast Charkiw berichtete Human Rights Watch gegenüber von den Schwierigkeiten ihres 14-jährigen Sohnes beim Fernunterricht. „Es gibt kein Internet, also auch keinen Online-Unterricht“, sagte sie. „Man kann [Schulaufgaben] nicht einfach an die [Lehrkräfte] per Telefon übermitteln, man braucht einen Laptop. Er kann das virtuelle Klassenzimmer nicht über sein Telefon einrichten.“

Um den Kindern eine Rückkehr in die Klassenzimmer zu ermöglichen, muss die Ukraine die beschädigten Bildungseinrichtungen unter Berücksichtigung von Sicherheits- und Zugänglichkeitsstandards mit Unterstützung internationaler Partner so schnell wie möglich wiederherstellen, so Human Rights Watch.

Internationale Geber und humanitäre Organisationen sollten die ukrainische Regierung beim gerechten Wiederaufbau von Schulen in allen Regionen der Ukraine unterstützen und sie auffordern, das in der ukrainischen Verfassung verankerte Recht auf Zugang zu Bildung und Schulunterricht streng einzuhalten.

„Die meisten Länder der Welt, einschließlich der Mitglieder der Europäischen Union und der NATO, haben sich verpflichtet, Bildungseinrichtungen vor Angriffen zu schützen, und sie sollten der Ukraine helfen, dieses Ziel zu erreichen“, so Williamson. „Die Kinder in der Ukraine haben das gleiche Recht auf Bildung wie Kinder überall. Auch im Angesicht des Krieges sollte dieses grundlegende Recht geschützt werden.“

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