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Niger: Vermehrt Gräueltaten durch islamistische bewaffnete Gruppen

Über 420 getötete Zivilisten bei Angriffen und Massakern im Jahr 2021

Dorfbewohner vor einem Massengrab mit den sterblichen Überresten von Zivilisten, die bei dem Angriff bewaffneter islamistischer Gruppen auf Dörfer in der Region Tahoua, Niger, am 21. März 2021 getötet wurden. Mehr als 170 Tuareg-Dorfbewohner wurden bei diesem Angriff, der schlimmsten Gräueltat in der jüngeren Geschichte Nigers, getötet. © 2021 Private

(Bamako) - Bewaffnete islamistische Gruppen haben seit Januar 2021 bei Angriffen im Westen Nigers über 420 Zivilisten getötet und Zehntausende aus ihren Häusern vertrieben, so Human Rights Watch. Diese Gruppen sollten alle Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung einstellen; die lokalen Behörden wiederum sollten die Bemühungen zum Schutz gefährdeter Dörfer verstärken.

Augenzeugen berichteten Human Rights Watch, dass bewaffnete islamistische Kämpfer auf Motorrädern in ihre Dörfer eindrangen, Männer und Jungen töteten und Häuser und Getreidespeicher niederbrannten. Die Angreifer zerrten die Menschen aus öffentlichen Verkehrsmitteln oder von Brunnen weg, sie verschleppten sie von Beerdigungen oder von ihren Feldern, während sie diese bewirtschafteten oder ihre Tiere tränkten. Dann richteten sie sie in ihren Häusern hin. Unter den Getöteten befanden sich Dorfvorsteher, Imame, Menschen mit Behinderungen und zahlreiche Kinder, die teils hingerichtet wurden, nachdem sie ihren Eltern aus den Armen gerissen worden waren.

„Bewaffnete islamistische Gruppen führen offenbar einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung im westlichen Niger“, sagte Corinne Dufka, Sahel-Direktorin bei Human Rights Watch. „Sie töten, plündern und brandschatzen und bringen dabei Tod, unsagbares Leid und Zerstörung über die Menschen.“

Vom 23. Juni bis zum 4. Juli reisten Human Rights Watch-Mitarbeitende nach Niger und befragten 44 Zeugen von Übergriffen und 16 weitere Personen, darunter lokale Führer der Peuhl, Tuareg und Zarma, lokale Regierungs- und Sicherheitsbeamte, Mitglieder von nigrischen Menschenrechtsorganisationen und ausländische Diplomaten. Im Juli sprach Human Rights Watch mit fünf weiteren Zeugen per Telefon.

Die neun Angriffe, die Human Rights Watch dokumentiert hat, fanden zwischen Januar und Juli in Städten, Dörfern und Weilern in den westlichen Regionen Tillabéri und Tahoua nahe der Grenze zu Mali und Burkina Faso statt. Seit 2019 ist es in dieser Region zu einem dramatischen Anstieg von Angriffen auf militärische Ziele und zunehmend auch auf Zivilisten durch bewaffnete islamistische Gruppen gekommen, die mit dem Islamischen Staat und teils auch mit Al-Qaida in Verbindung stehen. Diese Gruppen haben Schulen und Kirchen zerstört und Beschränkungen auf der Grundlage ihrer Auslegung des Islams verhängt.

Am 21. März töteten bewaffnete islamistische Kämpfer in der Region Tahoua mindestens 170 ethnische Tuareg - der tödlichste Angriff auf Zivilisten in der jüngeren Geschichte Nigers. „Eine Mutter drückte ihren 17-jährigen Sohn fest an sich, aber die Dschihadisten schlugen sie gnadenlos, bis sie ihn nicht mehr festhalten konnte, und richteten den Jungen vor ihren Augen hin“, so ein Augenzeuge.

Ein Dorfbewohner beschrieb die Angriffe auf die Dörfer Tchomabangou und Zaroumdareye, die am 2. Januar parallel verübt wurden. Bei diesen Angriffen wurden 102 Zivilisten, fast alle ethnische Zarma, getötet: „Als die Dschihadisten durch die Stadt patrouillierten, sah ich, wie sie Menschen aus nächster Nähe töteten, manchmal schossen sie zwei- oder dreimal, um sicherzugehen, dass sie tot waren.“

Alle an dem bewaffneten Konflikt in Niger beteiligten Parteien sind an den Gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Konventionen von 1949 und andere vertragliche und gewohnheitsrechtliche Kriegsgesetze gebunden. Das Kriegsrecht verbietet Angriffe auf Zivilisten und ziviles Eigentum sowie die Misshandlung von Personen in Gewahrsam. Personen, die schwere Verstöße gegen Kriegsrecht begehen, darunter standesrechtliche Hinrichtungen und Folter, können wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden. Die Regierung Nigers ist verpflichtet, mutmaßliche Kriegsverbrechen, die in ihrem Hoheitsgebiet begangen werden, zu untersuchen und angemessen zu verfolgen.

Human Rights Watch hat bereits früher über Menschenrechtsverletzungen durch nigrische Sicherheitskräfte berichtet, darunter über 150 mutmaßliche Tötungen und das gewaltsame Verschwindenlassen von Menschen im Rahmen von Anti-Terror-Operationen in den Jahren 2019 und 2020. Eine Untersuchung der Nationalen Menschenrechtskommission Nigers dokumentierte das gewaltsame Verschwindenlassen von 102 Menschen und fand schließlich 71 ihrer Leichen in Massengräbern.

Die Behörden Nigers sollten dringend Maßnahmen ergreifen, um die zunehmenden Tötungen von Zivilisten zu stoppen, so Human Rights Watch. Sie sollten Netzwerke zur Frühwarnung einrichten, die Reaktionszeiten der Armee auf Bedrohungen in Dörfern verkürzen und Komitees aus Zivilisten, Sicherheitskräften und zivilgesellschaftlichen Gruppen einrichten, um dringende Schutzbedürfnisse zu identifizieren und auf diese zu reagieren.

„Nachdem sie meine Leute abgeschlachtet hatten, kamen die Dschihadisten nur langsam voran, wegen des Viehs, das sie gestohlen hatten“, sagte ein Dorfbewohner. „Unsere Armee hatte genug Zeit, um sie zu verfolgen, aber sie hat es nicht getan.“

„Besorgte Regierungen sollten die Behörden Nigers dabei unterstützen, die Zivilbevölkerung besser vor derart schrecklichen und tödlichen Angriffen zu schützen und die Hilfe für die wachsende Zahl von Vertriebenen aufzustocken“, so Dufka.

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