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© 2020 Badiucao für Human Rights Watch

(New York, 9. Dezember 2020) - Ein Big Data-Programm der Polizei in der chinesischen Region Xinjiang wählt willkürlich turkstämmige Muslime für eine mögliche Inhaftierung aus, so Human Rights Watch. Eine interne Liste von über 2.000 Gefangenen aus der Präfektur Aksu, die Human Rights Watch zur Verfügung gestellt wurde, ist ein weiterer Beleg dafür, dass China bei der Unterdrückung der muslimischen Bevölkerung neue Technologien einsetzt.

Das Big Data-Programm, die Integrated Joint Operations Platform (IJOP), markierte offenbar die entsprechenden Personen auf der Aksu-Liste, die dann von Beamten überprüft und in Lager für „politische Umerziehung“ in Xinjiang geschickt wurden.

„Die Aksu-Liste bietet weitere Einblicke in die Art und Weise, wie Chinas brutale Unterdrückung der turkstämmigen Muslime in Xinjiang durch neue Technologien massiv verstärkt wird“, sagte Maya Wang, leitende China-Forscherin bei Human Rights Watch. „Die chinesische Regierung schuldet den Familien der Personen auf der Liste Antworten: Warum wurden sie festgenommen, und wo sind sie jetzt?“

Human Rights Watch berichtete erstmals im Februar 2018 über die IJOP und stellte fest, dass das Polizeiprogramm persönliche Daten durch verschiedene Systeme in Xinjiang sammelt und für Polizeibeamte diejenigen Personen kennzeichnet, die es als potenziell bedrohlich einstuft. Die Beamten bewerten dann die „allgemeine Leistung“ dieser Personen zusammen mit weiteren Informationsquellen und schicken einige der Betroffenen in politische Umerziehungslager und andere Einrichtungen. Human Rights Watch hat im Mai 2019 die mobile App der IJOP technisch geprüft und analysiert und dabei die zweifelhaften Kriterien aufgedeckt, auf die das Massenüberwachungssystem programmiert ist, darunter viele rechtmäßige Verhaltensweisen.

Die Aksu-Liste ähnelt einer anderen internen Datei, der Karakax-Liste. Diese Liste von Personen, die in Haft genommen wurden, weil sie Verwandte im Ausland haben, stammt vom Juni 2019 und schätzt ein, ob eine Person weiterhin in Haft verbleiben sollte. Auch die IJOP wird in der Karakax-Liste wiederholt erwähnt. Diese beiden Listen bieten Einblicke, wie die Behörden in Xinjiang die Menschen auswählen und überprüfen, die einer Gehirnwäsche unterzogen werden sollen. Sie zeigen, wie entschieden wird, wer verhaftet wird und wer in Haft verbleibt. In beiden Fällen unterstützt das IJOP-System die Beamten bei der Auswahl der entsprechenden Personen.

Der Eintrag für „Frau T“ auf der Aksu-Liste veranschaulicht, wie die Algorithmen des Programms legales Verhalten als Grund für eine Inhaftierung identifizieren. Demnach wurde sie festgenommen, weil das IJOP-System sie aufgrund von „Verbindungen zu sensiblen Ländern“ markiert hatte. Das Programm führt an, dass Frau T. im März 2017 vier Anrufe von einer ausländischen Nummer erhalten hatte, wobei die Dauer der Telefonate auf die Sekunde genau aufgezeichnet worden war. Mit anderen Worten, das IJOP-System ist so programmiert, dass es ein bestimmtes Verhalten, etwa Telefonate mit einer ausländischen Nummer, herausfiltert und die exakte Dauer der Gespräche erfasst. Human Rights Watch hat die entsprechende Nummer angerufen und festgestellt, dass sie der Schwester von Frau T. gehört.

Die Schwester von Frau T. sagte, dass die Polizei von Xinjiang Frau T. etwa zu der Zeit verhörte, als die Aksu-Liste ihr Verhaftungsdatum aufzeichnete. Die Polizei hatte ausdrücklich nach ihrer Schwester gefragt, da diese im Ausland lebt. Die Schwester von Frau T. sagte, sie habe seitdem keinen direkten Kontakt zu ihrer Familie in Xinjiang gehabt, habe aber erfahren, dass Frau T. - vermutlich nach ihrer Entlassung aus einem politischen Umerziehungslager - jetzt fünf Tage in der Woche in einer Fabrik arbeitet und nur noch an Wochenenden nach Hause darf. Die Schwester von Frau T. glaubt, dass Frau T. gezwungen wird, in der Fabrik zu arbeiten, und gab an, dass Frau T. vor ihrer Inhaftierung in einem anderen Bereich ausgebildet worden war.

Die Ergebnisse der Analyse der Aksu-Liste durch Human Rights Watch deuten stark darauf hin, dass die große Mehrheit der vom IJOP-System gekennzeichneten Personen aufgrund von alltäglichen, rechtmäßigen und gewaltlosen Verhaltensweisen inhaftiert wurde. Dies steht im Widerspruch zu den Behauptungen der chinesischen Behörden dass ihre „hochentwickelten", „vorausschauenden“ Technologien, wie die IJOP, Xinjiang sicherer machen, indem sie „Kriminelle“ „mit Präzision ins Visier nehmen“.

Die Massenüberwachung und die willkürliche Inhaftierung von turkstämmigen Muslimen in Xinjiang verstoßen gegen die Grundrechte gemäß der chinesischen Verfassung und gegen internationale Menschenrechtsnormen. Artikel 37 der Verfassung besagt, dass alle Festnahmen entweder von der Staatsanwaltschaft oder von einem Gericht genehmigt werden müssen.

Untersuchungen von Human Rights Watch deuten jedoch darauf hin, dass keine der beiden Behörden an diesen Festnahmen beteiligt zu sein scheint. Vielmehr treffen Verwaltungsbeamte, darunter Polizisten, eigenmächtig die Entscheidung, jemanden zu verhaften. Diejenigen, denen eine Inhaftierung droht, haben kein Recht auf ein ordentliches Verfahren, einschließlich des Zugangs zu Anwälten und Familienangehörigen, oder die Möglichkeit, die Vorwürfe vor Gericht anzufechten. Der Einsatz von eingreifenden Überwachungstechniken, auch in und um Wohnungen herum, verletzt zudem das Recht auf Privatsphäre.

„Plattformen für eine sogenannte „vorausschauende Polizeiarbeit“ sind in Wirklichkeit nur ein pseudowissenschaftlicher Vorwand für die chinesische Regierung, um die massive Unterdrückung turkstämmiger Muslime zu rechtfertigen“ sagte Wang. „Die chinesische Regierung sollte die IJOP unverzüglich schließen, alle gesammelten Daten löschen und alle willkürlich inhaftierten Menschen in Xinjiang freilassen.“

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