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Eine europäische Menschenrechtskoryphäe hat Deutschland vor einer „Rolle rückwärts“ gewarnt und die Regierung aufgefordert, ihre Führungsrolle in der Asyl- und Migrationskrise beizubehalten. Nils Muižnieks, der Menschenrechtskommissar des Europarats, sagte, Deutschland sei „der Welt ein Beispiel“ gewesen, als das Land in den vergangenen Monaten Hunderttausende Asylsuchenden und Migranten willkommen geheißen hat. Aber in seiner Rede anlässlich der Veröffentlichung seines Berichts zur Menschenrechtslage in Deutschland sagte er, Berlin müsse mehr tun, um „die Aufnahmebedingungen zu verbessern und die Bearbeitung von Asylanträgen zu beschleunigen“.

Migranten warten auf dem Gelände vor dem Berliner Büro für Gesundheit und Soziales (LaGeSo), um sich in Berlin zu registrieren, Deutschland, 7. Oktober 2015 . © Reuters 2015

Muižnieks Appell kommt zur richtigen Zeit. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bekräftigt, dass ihre Regierung weiterhin alle Asylsuchenden schützen will, die das Land erreichen. Es ist zu begrüßen, dass Berlin Milliarden Euro und deutlich mehr Personal bereitstellen will, um den großen Zustrom geflüchteter Menschen zu bewältigen - auch, wenn die Aufnahmebedingungen derzeit an vielen Orten bestenfalls behelfsmäßig sind. Tausende Freiwillige unterstützen die Asylsuchenden jeden Tag.

Aber die Stimmung ändert sich. Das Bundeskabinett hat ein Gesetzespaket beschlossen, das die Regierung, Bundesländer und Kommunen dabei unterstützen soll, mit der deutlich gestiegenen Zahl geflüchteter Menschen umzugehen. Allerdings zielen diese Gesetze hauptsächlich darauf ab, „Anreize“ zu beseitigen, wegen denen Asylsuchende und Migranten angeblich nach Deutschland kommen. Darüber hinaus sollen Menschen schneller abgeschoben werden, deren Asylgesuche abgelehnt wurden. Das Reformpaket steht zu Recht in der Kritik. Der Rat für Migration, ein Expertengremium, bezeichnet es als „höchst problematisch“. Einige Vorschläge, etwa der, dass Asylsuchende sechs Monate oder länger in Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben sollen, könnten die extrem schwierige gesellschaftliche und psychologische Situation der Betroffenen verschärfen, so der Rat.

Darüber hinaus gibt es beunruhigende Hinweise auf eine politische Rolle rückwärts gegenüber geflüchteten Menschen. Angela Merkel hat sich für ihre Position in der Flüchtlingsfrage Kritik aus der Regierungskoalition zugezogen. Extrem rechte, einwanderungsfeindliche Gruppen gehen in einigen Städten auf die Straße. Und fast jeden Tag gibt es neue Berichte über Brandanschläge und andere Angriffe auf Wohnheime von Asylsuchenden oder auf Freiwillige, die sie unterstützen.

Eine intensivere, politische Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht und Asyl war zu erwarten. Immerhin stellt die Krise nicht nur die geflüchteten Menschen, sondern auch die deutschen Gemeinden vor große Herausforderungen. Daran wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern. Aber, um es mit Muižnieks zu sagen, eine „Rolle rückwärts“ wäre die falsche Antwort.

Wenn die Bundestagsabgeordneten in diesem Monat über das Gesetzespaket beraten, sollen sie unbedingt sicherstellen, dass es die europäischen und internationalen Menschenrechtsstandards nicht verletzt. Und die deutschen Behörden sollen mehr tun, um Aufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende angemessen zu schützen und extrem rechte Gewalt zu bekämpfen. Es ist an der Zeit, dass die deutsche Regierung ein echtes Zeichen dafür setzt, wie man sich um Menschen kümmert, die internationalen Schutz suchen.

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