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(Dohuk, Irak) - Die bewaffnete Gruppe Islamischer Staat hält im Irak und in Syrien Hunderte jesidische Männer, Frauen und Kinder aus dem Irak in offiziellen und provisorischen Gefangenlagern fest, so Human Rights Watch heute.

Die Gruppe hat junge Frauen und Mädchen systematisch von ihren Familien getrennt und einige dazu gezwungen, Kämpfer zu heiraten, berichteten Dutzende Verwandte von Gefangenen, 16 Jesiden, die aus der Gefangenschaft geflohen sind, und zwei telefonisch befragte, gefangene Frauen. Der Islamische Staat hat auch Jungen von ihren Angehörigen getrennt und Gefangene dazu gezwungen, zum Islam zu konvertieren.

„Der Islamische Staat begeht immer mehr furchtbare Verbrechen an Jesiden im Irak“, so Fred Abrahams, Experte für Krisenregionen von Human Rights Watch. „Wir haben schreckliche Geschichten über Zwangskonvertierung, Zwangsheirat, sexuelle Gewalt und Sklaverei gehört - und unter den Opfern sind Kinder.“

Zwar ist keine der von Human Rights Watch befragten, ehemaligen oder derzeitigen Gefangenen vergewaltigt worden, aber vier von ihnen berichteten, dass sie sexuelle Übergriffe abgewehrt haben. Darüber hinaus haben ihnen andere gefangene Frauen und Mädchen davon erzählt, dass sie von Kämpfern des Islamischen Staates vergewaltigt worden sind. Eine Frau hat gesehen, dass Kämpfer Mädchen gekauft haben, und ein Mädchen sagte, dass einer von ihnen sie für 1.000 US$ gekauft hat.

Die systematische Verschleppung und Misshandlung von jesidischen Zivilisten stellen möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.

Bei einer Offensive im Nordwesten des Iraks am 3. August 2014 nahmen Kämpfer des Islamischen Staates Jesiden, Angehörige einer religiösen Minderheit, gefangen. An den ersten Tagen waren Männer, Frauen und Kinder zusammen untergebracht. Dann teilte der Islamische Staat sie in drei Kategorien: ältere Frauen und Mütter mit kleinen Kindern sowie manchmal mit älteren Männern oder Ehemännern; jüngere Frauen und weibliche Jugendliche; sowie junge Männer und männliche Jugendliche.

Darüber hinaus hält der Islamische Staat auch mindestens einige Dutzend Angehörige anderer religiöser und ethnischer Minderheiten fest, darunter Christen, Schabak und Turkmenen, so Repräsentanten dieser Gruppen und Verwandte von Gefangenen.

Die genaue Zahl der gefangenen Personen ist unbekannt, einerseits wegen der andauernden Kämpfe im Irak und andererseits, weil die meisten Jesiden, Christen, Schabak und Turkmenen in unterschiedliche Gebiete im Irak und in seinen Nachbarstaaten geflüchtet sind, als der Islamische Staat begann, Angehörige ihrer Gemeinschaften festzunehmen. Jesidischen Aktivisten zufolge sind Dutzende Gefangene entkommen und halten sich versteckt.

Im September und Anfang Oktober befragte Human Rights Watch 76 vertriebene Jesiden in den Städten Dohuk, Zaxo und Erbil sowie im Umland in den kurdischen Gebieten im Irak. Sie berichteten, dass der Islamische Staat 366 ihrer Familienangehörigen festhält. Sie legten Listen, Ausweisdokumente oder Fotos der Personen vor, die gefangengehalten wurden, oder gaben ihre Namen und weitere Informationen an. Viele haben sporadisch Kontakt zu Gefangenen, denen es gelungen ist, ihre Telefone zu verstecken.

Die zwei telefonisch befragten, weiblichen Gefangenen und die 16 Geflüchteten - zwei Männer, sieben Frauen und sieben Mädchen - haben Hunderte andere Jesiden in den Gefangenenlagern gesehen. Einige gehen von mehr als 1.000 Gefangenen aus.

Eine Augenzeugin, Naveen, ist Anfang September mit ihren vier Kindern im Alter von drei, vier, sechs und zehn Jahren nach einem Monat aus der Gefangenschaft geflohen. Sie hat in zwei Hafteinrichtungen miterlebt, dass Kämpfer des Islamischen Staates jesidische Frauen und Mädchen zu ihren „Bräuten“ gemacht haben, nämlich im Badousch-Gefängnis in der Nähe von Mossul, der zweitgrößten Stadt des Iraks, und in einer Schule in Tal Afar, einer Stadt im Westen des Landes. Einige Kämpfer gaben den Frauen Gold als Mahr, einer Mitgift oder Morgengabe des Bräutigams:

Ich habe gesehen, wie sie alle von ihnen [an unterschiedlichen Tagen] geheiratet haben, etwa zehn junge Frauen und Mädchen. Einige waren gerade einmal zwölf oder 13, andere bis zu 20 Jahre alt. Manche mussten mit Gewalt herausgezerrt werden. Einige der jungen Frauen waren verheiratet, hatten aber keine Kinder, deswegen haben sie [die Kämpfer des Islamischen Staates] ihnen nicht geglaubt, dass sie verheiratet sind.

Die neu verheirateten Frauen und Mädchen durften ein paar Tage später kurz in das Gefängnis zurückkehren:

Sie sagten: „Sie haben uns geheiratet, wir hatten keine Wahl.“ Sie hatten Gold dabei, das sie bekommen hatten. Dann haben sie [die Kämpfer] sie wieder mitgenommen, und sie haben geweint.

Ein 17-jähriges Mädchen, Adlee, sagte, dass „ein großer, bärtiger Mann“ sie in Mossul aus einer Gruppe junger, weiblicher Gefangene ausgesucht hat und sie zusammen mit einem anderen, gefangenen Mädchen nach Falludscha in der Provinz al-Anbar brachte:

Ich lag in den Armen einer Frau. Sie sprach mit mir, als ob ich ihre Tochter wäre, und sagte: „Hab keine Angst, ich werde nicht zulassen, dass sie dich holen.“  Aber der Mann sah mich an und sagte, dass ich ihm gehöre, und brachte mich schnell zu seinem großen Militärauto.

Der Kämpfer brachte die beiden Mädchen in ein Haus in Falludscha, westlich von Bagdad. „Sie haben uns geschlagen und Ohrfeigen gegeben, damit wir aufgeben“, sagte sie. Nach zwei Tagen entkamen die beiden Mädchen. „Wir haben so gut wir konnten verhindert, dass sie uns berühren. Alles, was sie getan haben, war mit Gewalt.“

Die 15-jährige Rewshe ist am 7. September geflüchtet. Sie wurde Ende August, nach etwa drei Wochen Gefangenschaft, von Kämpfern des Islamischen Staates in einem aus vier Bussen bestehenden Konvoi nach ar-Raqqa in Syrien gebracht. Zusammen mit ihrer Schwester und etwa 200 anderen jungen Frauen und Mädchen wurde sie in einem großen Haus im Süden der Stadt festgehalten. Am nächsten Tag brachte eine Gruppe bewaffneter Männer 20 der Gefangenen weg. Die Aufseher sagten Rewshe, dass diese Männer die Frauen und Mädchen gekauft hätten.

Die Berichte ehemaliger und derzeitiger weiblicher Gefangener wecken ernsthafte Bedenken hinsichtlich Vergewaltigung und sexueller Versklavung durch Kämpfer des Islamischen Staates, wobei die Ausmaße dieser Menschenrechtsverletzungen noch unklar sind.

Vergewaltigung ist in der jesidischen Gemeinschaft stark stigmatisiert. Frauen und Mädchen befürchten Repressalien, wenn sie offenbaren, dass sie sexuelle Gewalt erlebt haben. Jesidische Aktivisten gehen davon aus, dass das ein Grund dafür ist, warum es so wenig Berichte aus erster Hand gibt. Ihnen zufolge kann es für Frauen und Mädchen sogar gefährlich sein preiszugeben, dass sie vom Islamischen Staat gefangen gehalten wurden. Weiterhin erfahren Jesiden, die traumatische Erfahrungen, auch mit sexuellen Übergriffen, gemacht haben, kaum Unterstützung von offizieller Seite. Auch dies schränkt die Möglichkeiten und die Bereitschaft von Frauen und Mädchen ein, über sexuelle Gewalt zu berichten.

Die Kämpfer des Islamischen Staates haben auch Jungen von ihren Familien getrennt. Drei geflüchtete Personen und ein jesidischer Menschenrechtsaktivist, der mit Geflüchteten gesprochen hat, gehen davon aus, dass diese Jungen religiös oder militärisch ausgebildet werden. Der 28-jährige, aus der Gefangenschaft entkomme Khider hat gesehen, dass seine Entführer 14 Jungen im Alter von acht bis zwölf Jahren in einem Militärstützpunkt in Sindschar abgesondert haben:

Die älteren Brüder dieser Jungen bekamen große Angst. Sie fragten: „Warum nehmt ihr sie mit?“  Sie [die Kämpfer] antworteten: „Keine Angst, wir geben ihnen zu essen und kümmern uns um sie. Wir bringen sie an einen Ort, an dem sie den Koran studieren, zu kämpfen lernen und zu Dschihadisten ausgebildet werden.“

Darüber hinaus haben die Kämpfer Khider und andere Gefangene dazu gezwungen, zum Islam zu konvertieren. An der Massenzeremonie nahmen er selbst und mehr als 200 andere jesidische Männer, Frauen und Kinder teil, die der Islamische Staat nach Syrien verschleppt hat:

Sie zwangen uns, dreimal die Schahāda [das islamische Glaubensbekenntnis] aufzusagen... Sogar die kleinen Kinder mussten sie rezitieren, alle, die alt genug waren, um sprechen zu können... Die jesidischen Leute weinten und hatten Angst. Sie fragten uns: „Ist hier jemand, der nicht zum Islam übertreten will?“ Natürlich blieben wir alle still. Jede oder jeder, die oder der sich geweigert hätte, wäre getötet worden.

Zu ihrem Schutz werden die Namen aller Gefangener, ehemaliger Gefangener und ihrer Angehörigen nicht oder nur verändert veröffentlicht, wie auch die Lage der Hafteinrichtungen und die meisten Orte, an denen die Interviews stattfanden.

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