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(London) - Weitreichende Inhaftierung und Folter sowie die extrem lange Wehrpflicht führen in Eritrea zu einer Menschenrechtskrise und immer mehr Eritreer verlassen deshalb ihr Land, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 95-seitige Bericht „Service for Life: State Repression and Indefinite Conscription in Eritrea“ dokumentiert schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch die eritreische Regierung. Dazu zählen willkürliche Festnahmen, Folter, schreckliche Haftbedingungen, Zwangsarbeit und schwerwiegende Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs- und Glaubensfreiheit. In dem Bericht wird zudem die schwierige Situation der Eritreer untersucht, die in andere Länder wie Libyen, Sudan, Ägypten und Italien flüchten konnten.

„Eritreas Regierung verwandelt das Land in ein riesiges Gefängnis", sagte Georgette Gagnon, Direktorin der Afrika-Abteilung von Human Rights Watch. „Eritrea soll unverzüglich Rechenschaft ablegen über das Verbleiben Hunderter ‚verschwundener' Gefangener und die Gefängnisse für unabhängige Kontrollen öffnen."

Human Rights Watch forderte die USA und die Europäische Union dazu auf, sich mit den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union abzustimmen, um regionale Spannungen zu lösen. Auch soll sichergestellt werden, dass Entwicklungshilfe für Eritrea mit einer Verbesserung der Menschenrechtslage verbunden ist.

Die EU hat kürzlich ein 122-Millionen-Euro Hilfspaket für Eritrea verabschiedet, trotz Bedenken, dass Entwicklungsprojekte in Eritrea mittels Zwangsarbeit oder von Häftlingen durchgeführt werden und somit gegen internationales Recht verstoßen.

Der Bericht basiert auf mehr als 50 Interviews in drei Ländern mit eritreischen Opfern und Augenzeugen von Misshandlungen und beschreibt, wie die eritreische Regierung einen enormen Apparat von offiziellen und geheimen Haftanstalten einsetzt, um Tausende Eritreer ohne Anklage oder Prozess festzuhalten. Viele der Gefangenen sind wegen ihrer politischen oder religiösen Ansichten inhaftiert, andere weil sie versucht haben, der unbegrenzten Wehrpflicht zu entkommen oder aus dem Land zu fliehen.

Folter, grausame und unmenschliche Behandlung sowie Zwangsarbeit sind sowohl für Wehrdienstleistende als auch für Gefangene alltäglich. Die Haftbedingungen sind erschreckend. Die Gefangenen werden normalerweise in überfüllten, zum Teil unterirdischen Zellen oder in Schiffscontainern festgehalten, in denen tagsüber extrem hohe Temperaturen herrschen und in denen es nachts eiskalt ist.

Wer versucht zu flüchten, riskiert schwer bestraft und bei Überquerung der Grenze erschossen zu werden. Die Regierung bestraft auch die Familien derer, die fliehen oder sich dem Wehrdienst entziehen mit maßlosen Strafgeldern oder Inhaftierungen. Trotz dieser strengen Maßnahmen versuchen Tausende Eritreer, aus ihrem Land zu fliehen.

Die meisten Flüchtlinge fliehen in die Nachbarländer Äthiopien und Sudan und reisen dann weiter nach Libyen, Ägypten und Europa. Hunderte Eritreer wurden in den letzten Jahren aus Libyen, Ägypten und Malta unter Zwang nach Eritrea zurückgeschickt und waren bei ihrer Rückkehr Inhaftierung und Folter ausgesetzt.

Wegen des Risikos der Misshandlung für die Zurückgeschickten hat der Hohe Kommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen dringend davon abgeraten, Personen nach Eritrea abzuschieben, auch wenn es sich um abgelehnte Asylbewerber handelt. Human Rights Watch fordert alle Länder, die eritreische Flüchtlinge beherbergen, dazu auf, sie aufgrund des Folterrisikos nicht in ihr Heimatland zurückzuschicken.

„Länder mit Flüchtlingen aus Eritrea müssen sicherstellen, dass diese den notwendigen Schutz und die nötige Unterstützung bekommen", so Gagnon. „Unter keinen Umständen dürfen sie nach Eritrea zurückgeschickt werden, wo sie nur wegen ihrer Flucht fast mit Sicherheit verhaftet oder gefoltert werden."

Die Bewohner Eritreas feierten, als ihr Land 1993 nach einem blutigen, 30-jährigen Krieg von Äthiopien unabhängig wurde. Aber die Regierung von Präsident Isayas Afewerki, die Eritrea durch einen großen Teil des außerordentlichen Unabhängigkeitskampfes geführt hat, hat demokratische Freiheitsrechte immer stärker eingeschränkt, besonders nach dem gewaltsamen Vorgehen gegen die politische Opposition und die Medien im Jahr 2001.

Eritrea rechtfertigt die andauernde Massenmobilisierung mit Sicherheitsbedenken wegen des zweijährigen Grenzkonflikts mit Äthiopien, der zwischen 1998 und 2000 Zehntausenden Menschen das Leben kostete. Die Regierung gibt die Schuld an der ausweglosen Situation meist den USA, den Vereinten Nationen und afrikanischen Ländern. Sie behauptet, diese hätten Äthiopien dazu drängen müssen, die Entscheidung einer unabhängigen UN-Mission über den Grenzverlauf umzusetzen. Darin wurde Eritrea ein umstrittenes Gebiet zugesprochen.

Eritrea war bereits mit all seinen Nachbarländern in politische Spannungen oder militärische Auseinandersetzungen verwickelt, und das politische Patt zwischen Eritrea und Äthiopien hat zu regionaler Instabilität beigetragen. Beide Länder haben bewaffnete Oppositionsgruppen unterstützt, und Eritreas Unterstützung militanter islamistischer Gruppen in Somalia hat den Konflikt in dem Land verschärft.

„Eritreas Menschenrechtskrise verschlimmert sich und macht die Situation am Horn von Afrika unbeständiger denn je", sagte Gagnon. „Die USA, Europa und die Regierungen anderer Länder müssen ihre politischen Herangehensweisen in der Region koordinieren und Menschenrechte zu einem zentralen Punkt der Beziehungen zu Eritrea machen."

Ausgewählte Berichte eritreischer Flüchtlinge

„Ich habe mein Leben für den Wohlstand, die Entwicklung und die Freiheit meines Landes geopfert, aber das Gegenteil ist nun Realität...nicht hierfür sind 65.000 Märtyrer gestorben!"

- Ein älterer Mann, der im Unabhängigkeitskampf für die Eritreische Volksbefreiungsfront (EPLF) gekämpft hat.

„Es ist in Ordnung, Wehrdienst zu leisten und seinem Land zu dienen, aber nicht für immer. Es ist nicht gerecht, wenn es kein Ende gibt."

- Ein junger Mann, der vor kurzen dem Wehrdienst entflohen ist.

„Wenn jemand verdächtigt wird zu fliehen, dann wird er festgebunden - nur an den Händen oder Füßen oder ferro [mit eisernen Handschellen]...Einzelne Personen entscheiden, welche Art Bestrafung ansteht, es gibt kein Gesetz. Sie haben keine Verbrechen begangen, aber [die Menschen werden bestraft, weil] sie das Militär hassen oder weil sie es hassen, Soldat zu sein. Das ist der Hauptgrund. Denn jeder in Eritrea hasst es, beim Militär zu sein."

- Ein ehemaliger Offizier, der beschreibt, wie diejenigen gefoltert wurden, die verdächtigt wurden, aus der Armee fliehen zu wollen.

„Erst bekommst du Deine militärische Ausbildung, dann halten sie dich ewig, ohne Deine Rechte zu achten fest. Die Befehlshaber können alles von dir verlangen, und wenn du ihre Forderungen ablehnst, kannst du bestraft werden. Fast jede Frau beim Militär hat diese Art Problem."

- Eine weibliche Rekrutin, die zehn Jahre Wehrdienst geleistet hat und wiederholt sexueller Belästigung ausgeliefert war.

„In Dahlak gibt es keine zeitliche Begrenzung, du wartest auf zwei Dinge: entweder jemand kommt, um dich zu verlegen oder um dich zu töten. Als ich Dahlak verließ, wog ich 44 Kilogramm. Mein Hämoglobin war fast gleich null. Ich brauchte einen Stock zum Gehen. Wir lebten unter der Erde, die Temperatur betrug 44°C; es war unglaublich. Man kann die Unmenschlichkeit gar nicht in Worte fassen."

- Ein ehemaliger politischer Gefangener, der auf Dahlak Island im Roten Meer festgehalten wurde.

„Wenn einer der Männer flüchtet, musst du zu ihm nach Hause gehen und ihn finden. Wenn du ihn nicht findest, musst du seine Familie gefangen nehmen und sie ins Gefängnis bringen. Seit 1998 ist es normal, ein Familienmitglied festzuhalten, wenn jemand flüchtet. Die Regierung gibt die Anweisung, Familienmitglieder mitzunehmen, wenn der Wehrdienstleistende nicht da ist. Wenn du innerhalb Eritreas verschwindest, dann kommt deine Familie für einige Zeit ins Gefängnis und häufig kommt das Kind dann zurück. Wenn du die Grenze überschreitest, dann zahlt [deine Familie] 50.000 Nakfa [3.300 US-Dollar]. Wenn kein Geld da ist, dann kann es eine lange Zeit im Gefängnis werden. Ich kenne Leute, die schon seit sechs Monaten im Gefängnis sind."

- Ein Offizier, der früher für die Verhaftung von Wehrdienstdeserteure verantwortlich war.

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