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Angela Merkel hat die Schließung des Gefangenenlagers von
Guantánamo gefordert. Nun, mit Deutschland an der Spitze der
EU, gilt es, den Druck zu verstärken und Häftlinge aufzunehmen.

Mit Kapuzen über dem Kopf und an Ketten gefesselt landeten die ersten muslimischen Gefangenenam11. Januar 2002 in einem US amerikanischen Militärtransporter inGuantánamo Bay. Fünf Jahre ist das nun her. Heute sitzen immer noch 400 auf Kuba fest mit unzureichendem Rechtsbeistand in einem rechtlichen Niemandsland, das sich zu einer der größten juristischen und politischen Katastrophen der jüngsten US-Geschichte entwickelt hat. Guantánamo hat erheblich dazu beigetragen, dass dieVereinigten Staaten ihren moralischen Führungsanspruch in der Welt verloren haben. Als die ersten Gefangenen auf Kuba eintrafen, stand die amerikanische Öffentlichkeit noch ganz unter dem Schock des Angriffes auf dasWorldTradeCenter. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld verkündete damals, diese Gefangenen gehörten zu den „gefährlichsten, am besten ausgebildeten, grausamstenMördern, die die Erde je gesehen hat“. Die Bush-Administration hatte das isolierte Militärgefängnis auf Guantánamo für die Inhaftierung ausgewählt, weil – so argumentieren sie noch heute – die Militärbasis zwar von den USA kontrolliert werde, sich aber dem Zugriff amerikanischer Gerichtsbarkeit entzöge, da der Stützpunkt nicht auf amerikanischem Hoheitsgebiet liege. Der Oberste Gerichtshof der USA hat diese Argumentation zwar später verworfen,was aber die Bush-Regierung nicht daran gehindert hat, daran festzuhalten. Die US-Regierung tituliert die Gefangenen als „unrechtmäßige Kämpfer“ und nicht als Kriegsgefangene, weil diese nicht unter den Schutz der Genfer Konventionen fielen. Dabei wurde übersehen, dass allen Menschen, die in bewaffneten Konflikten gefangen genommen werden, der Schutz der Genfer Konventionen zusteht.
Mit Zustimmung des Pentagon und Kenntnis der Bundespolizei FBI wurden die Gefangenen misshandelt. Sie wurden Verhörmethoden unterzogen, die man als Folter bezeichnen kann. Sie wurden mit extrem lauter Musik bombardiert; lange Zeit mit verrenkten Gliedmaßen in schmerzliche Positionen gezwungen; ihnen wurde tagelang Schlaf entzogen; sie wurden nackt ausgezogen und in tief unterkühlte Räume gesperrt; sie mussten wie Hunde heulen und Frauenunterwäsche auf ihrem Kopf tragen. Dabei war nur ein ganz kleiner Teil der ursprünglich 700 Gefangenen überhaupt Anhänger von El Kaida, wie wir heute wissen. Nur fünf Prozentder Inhaftierten wurden von amerikanischen Militärs auf dem Schlachtfeld festgenommen. Die meisten wurden von Afghanen und Pakistanern für ein Kopfgeld von 1000 US-Dollar und mehr regelrecht an die Amerikaner verkauft.
Die US-Regierung hat mittlerweile einenTeil der als harmlos geltenden Gefangenen wieder freigelassen. Einer davon ist Murat Kurnaz aus Bremen. Nur zehn der 400 Gefangenen sind überhaupt wegen eines Verbrechen angeklagt worden.

Wohin mit den Gefangenen?

Auch wenn sie an ihrer eigenwilligen Interpretation des Völkerrechts festhält und dem merkwürdigen Rechtsstatus, der die Gefangenen ihrer Grundrechte beraubt, hat die Bush-Administration inzwischen selber eingesehen, was für ein politisches Desaster Guantánamo darstellt. Präsident Bush meinte vor einiger Zeit gar, er wünsche, man könne Guantánamo schließen. Dochwohin mit den Gefangenen? Hier könnte Europa, allen voran die Bundesrepublik, den Amerikanern helfen. Im letzten Jahr hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Schließung von Guantánamo gefordert. Die Europäische Union hat dies ebenfalls getan. Deutschland hat jetzt die EU-Ratspräsidentschaft inne und die Bundeskanzlerin möchte die Beziehungen zu den USA verbessern. Sie könnte den Amerikanern anbieten, dass Europa ein paar der Guantánamo-Häftlinge aufnimmt,die entlassen werden könnten, wenn sich ein Aufnahmeland finden ließe. Einige von ihnen– wie 16 chinesische Uiguren– können nicht in ihr Heimatlandzurück geschickt werden, weil ihnen dort Folter droht. Doch in Europa denken viele: Die Amerikaner haben sich die Suppe eingebrockt, sollen sie sie auch auslöffeln. Das ist verantwortungslos. Die Europäer würden an Einfluss gewinnen, wenn sie nun den USA helfen würden. Sie könnten nachdrücklicher fordern, dass die US-Regierung die restlichen Gefangenen vor Gericht stellt oder freilässt, dass alle, die an der Misshandlung von Gefangenen beteiligt waren– bis in die höchste Spitze der Regierung–, zur Verantwortung gezogen werden,und dass die Amerikaner sich verpflichten,in Zukunft die Genfer Konventionen einzuhalten. Europa könnte zu Recht eine moralische Führungsrolle übernehmen.

Marianne Heuwagen, Direktorin des Deutschlandbüros von Human Rights
Watch.

Veröffentlicht in Frankfurter Rundschau, 10. Januar 2007

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