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Libyens Sicherheitsbehörden halten einen offenen Kritiker des Staatschefs Muammar al-Gaddafi seit beinahe einem Monat in Isolationshaft, so Human Rights Watch.

Am 5. November wurde der Arzt Idrees Mohamed Boufayed während eines Besuchs in Libyen von den Sicherheitsbehörden festgenommen. Dies teilten seine Familie und im Ausland ansässige libysche Organisationen mit. Boufayed hat seit 16 Jahren in der Schweiz gelebt. Seit seiner Verhaftung ist sein Aufenthaltsort unbekannt.

„Auch wenn sich Libyen immer mehr nach außen öffnet, werden Kritiker von der Regierung aber auch jetzt noch eingesperrt“, so Sarah Leah Whitson, Leiterin der Abteilung Naher und Mittlerer Osten von Human Rights Watch. „Die USA und die EU sollten nicht schweigen, nur weil sie gemeinsame Interessen bei der Terrorismusbekämpfung und bei Investitionen in die Erdölindustrie haben.“

Boufayed ist am 30. September nach 16 Jahren im Schweizer Exil für einen Besuch nach Libyen zurückgekehrt. In den vergangenen Jahren haben al-Gaddafi und hohe Regierungsbeamte öffentlich versprochen, dass Regimekritiker unbeschadet zurückkehren können.

Boufayed teilte mit, dass er nach seiner Ankunft am Flughafen eineinhalb Stunden lang von Sicherheitsbeamten verhört wurde. Sie ließen ihn zwar gehen, behielten jedoch seinen Reisepass, ohne ihm dafür eine schriftliche Bestätigung auszustellen. Er sollte sich eine Woche später wieder melden.

Boufayed reiste daraufhin in seinen Heimatort Gheryan, der etwa 120 Kilometer südlich von Tripolis liegt. Von dort aus setzte er seine politische Arbeit fort. Er veröffentlichte auf Webseiten der libyschen Opposition Artikel, in denen er al-Gaddafi kritisierte und zum friedlichen politischen Wandel aufrief.

In der Nacht des 2. November kamen Sicherheitsbeamte in die Wohnung von Boufayed und forderten ihn auf, sich am nächsten Tag in Gheryan bei der Sicherheitsbehörde zu melden. Am darauf folgenden Morgen wurde er dort kurz von Beamten vernommen. Es wurde ihm mitgeteilt, dass er sich am 5. November im Büro in Tripolis melden solle. Vor seiner Reise nach Tripolis veröffentlichte Boufayed auf regierungskritischen Webseiten einen Brief, in dem er über seinen Kontakt mit der Sicherheitsbehörde berichtete. Auch teilte er darin mit, dass noch in derselben Woche in Tripolis vorsprechen wolle.

Der Text lautete folgendermaßen: „Unsere Rechte und die Rechte unseres Volkes auf Freiheit und eine pluralistische Demokratie, die Einhaltung der Menschenrechte, die Gedanken-, Meinungs-, Rede- und Vereinigungsfreiheit sowie die Freiheit, sich zu versammeln und gegen Dinge zu protestieren, sind Grundrechte, über die man weder verhandeln noch feilschen kann – unabhängig von den Konsequenzen.“

Am 5. November reiste Boufayed nach Tripolis. Seitdem ist von ihm kein Lebenszeichen erhalten. Human Rights Watch hat am 20. November die libysche Regierung um eine Stellungnahme zu seiner Inhaftierung gebeten, aber bis heute keine Antwort erhalten.

Nach libyschem Recht kann die Polizei eine Person höchstens 48 Stunden festhalten, und die Staatsanwaltschaft hat bis zu sechs Tage Zeit, Anklage zu erheben. Diese Frist kann jedoch von einem Richter auf bis zu 30 Tage verlängert werden. Angeklagte haben ein Recht darauf, über die Anklagegründe informiert zu werden und sich nach der Festnahme einen Anwalt zu nehmen. Dabei haben sie die Wahl zwischen einem privaten Anwalt oder einem vom Staat kostenlos zur Verfügung gestellten Verteidiger.

Laut Human Rights Watch werden diese Garantien in der Praxis jedoch häufig nicht umgesetzt.

Nach Aussagen libyscher Emigrantenorganisationen wurde Boufayed 1957 in Gheryan geboren. Im Jahr 1982 schloss er an der Universität von Garyounis sein Medizinstudium ab. Die Regierung setzte ihn 1987 im Krieg mit dem Tschad als Arzt in der libyschen Armee ein. Dort wurde er von den tschadischen Streitkräften gefasst und Kriegsgefangener. Nach Aussagen anderer libyscher Kriegsgefangener leistete Boufayed während ihrer Gefangenschaft und auch bei Todesfällen wichtige medizinische Hilfe.

Boufayed war angeblich darüber verärgert, dass al-Gaddafi sich nicht für die libyschen Kriegsgefangenen im Tschad eingesetzt hatte. Er schloss sich der oppositionellen „National Front for the Salvation of Libya” an, die auch über einen militärischen Arm verfügt. 1990 wurde er aus dem tschadischen Gefängnis entlassen und erhielt in der Schweiz politisches Asyl. Seitdem hat er in der Schweiz gelebt, dort als Arzt gearbeitet und eine kleine libysche Oppositionsgruppe geleitet, die „National Union for Reform“

In seinen auf Webseiten der libyschen Opposition veröffentlichten Texten plädiert er für einen friedlichen Wandel, um Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung der Menschenrechte durchzusetzen. Er ist nicht dafür bekannt, selbst Gewalt eingesetzt oder Gewaltanwendung unterstützt zu haben.

„Wir fordern die libysche Regierung auf, Dr. Boufayed sofort freizulassen“, so Whitson. „Anscheinend haben sie ihn eingesperrt haben, weil er Ansichten vertritt, die ihnen nicht gefallen.“

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