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Über diesen mörderischen Krieg wird selten auf den Titelseiten der Zeitungen oder im Abendjournal auf dem Bildschirm berichtet. Dennoch kostete der Konflikt in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) – ein an Bodenschätzen reiches Land im Herzen Afrikas - seit 1998 mehr als 3,5 Millionen Menschen das Leben. Täglich sterben weitere 1 200 Zivilisten, teils direkt durch Gewalt, teils durch mangelnde medizinische Versorgung oder durch Hunger. Dennoch findet dieses Massensterben weltweit kaum Beachtung.

Nun sollen am 30. Juli die ersten freien und demokratischen Wahlen im Kongo seit über 40 Jahren anlaufen. Das Land steht an einem Scheideweg: Werden die Wahlen das tragische Schicksal der afrikanischen Nation zum Besseren wenden und dem Land helfen, neue Wege zu gehen? Die deutsche Regierung entsendet 780 Soldaten unter der Schirmherrschaft der Europäischen Union in den Kongo. Doch es wird eine Herkulesaufgabe, den gescheiterten Staat in eine stabile Demokratie zu verwandeln. Die eigentlichen Probleme des Landes sind im übrigen nicht allein durch Wahlen zu lösen.

Wie hat alles begonnen?
Nach zwei aufeinander folgenden Kriegen – der erste fand 1996 statt, der zweite brach 1998 aus – befindet sich der Kongo in desolatem Zustand. Während des ersten Krieges drangen Streitkräfte der Nachbarstaaten Ruanda und Uganda in den Kongo ein, stießen den langjährigen – und äußerst korrupten - Herrscher Mobutu Sese Seko vom Thron und installierten Laurent Desiré Kabila als neuen Präsidenten. Kaum an der Macht, gab Präsident Kabila dem Land einen neuen Namen. Es heißt nun nicht mehr Zaire, sondern Demokratische Republik Kongo. Die ausländischen Truppen, die geholfen hatten, ihn an die Macht zu bringen, versuchte er später loszuwerden.

Im Juli 1998 wandten sich Uganda und Ruanda gegen die Regierung von Präsident Laurent Kabila, denn sie wollten ihren Einfluss in der Demokratischen Republik Kongo nicht verlieren. Ein zweiter Kongo-Krieg wurde vom Zaun gebrochen, in den auch andere afrikanische Länder hineingezogen wurden, darunter Zimbabwe, Angola, Namibia (die Kabila unterstützten) und Burundi (als Verbündeter von Ruanda und Uganda). Dieser Krieg wurde als „Afrikas erster Weltkrieg“ bekannt.

Weshalb steht so viel auf dem Spiel?
Die Akteure in dieser traurigen Geschichte werden angetrieben von Machthunger und von dem Wunsch, über die natürlichen Ressourcen des Landes zu verfügen. Der Kongo ist reich an Bodenschätzen wie etwa Gold, Diamanten, Kupfer, Kobalt sowie an Holz. Der UN-Sicherheitsrat setzte 2000 eine Expertengruppe ein, die die Zusammenhänge zwischen dem Krieg und Kongos Bodenschätzen erforschen sollte. In einer Reihe von Berichten, die zwischen April 2001 und Oktober 2003 veröffentlicht wurden, legte das Forum dar, wie die Kriegsparteien mit den Einnahmen aus dem Verkauf der Bodenschätze ihre Waffen und Kämpfe finanzierten. Den Offizieren der Armeen in Ruanda, Uganda und Zimbabwe sowie der kongolesischen Elite habe der Krieg persönlich immensen Reichtum beschert.

Da die Bodenschätze aus dem Kongo vorrangig für multinationale Konzerne in Europa und Nordamerika bestimmt waren, befasste sich das Forum zudem mit dem Zusammenhang zwischen deren Abbau und der internationalen Wirtschaft. Dabei stellte sich heraus, dass 85 Unternehmen bei ihren Aktivitäten im Kongo gegen internationale Handelsprinzipien verstoßen haben. Fünf der genannten Unternehmen waren deutsche Firmen. Den Mitgliedsstaaten des UN-Sicherheitsrates kamen diese Erkenntnisse ungelegen. Man wollte keine Sanktionen gegen Unternehmen im eigenen Land verhängen (Deutschland war 2003 ebenfalls Mitglied im UN-Sicherheitsrat, als der endgültige Bericht vorgestellt wurde). Letztendlich unterließ es der Sicherheitsrat, den Anteil multinationaler Unternehmen an dem verheerenden Krieg im Kongo effektiv aufzudecken.

Friedensverhandlungen
Die Kriegsparteien unterzeichneten 1999 in Lusaka, Sambia, ein erstes Friedensabkommen, und die Vereinten Nationen erklärten sich bereit, ein kleines Kontingent an Friedenstruppen, bestehend aus 500 Militärbeobachtern, bereit zu stellen. Im November 1999 wurde die UN-Truppe MONUC (Mission der Organisation der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo) ins Leben gerufen. Doch die Kriegsparteien hielten sich nicht an das vereinbarte Abkommen. Je mehr sich die Krise ausweitete, desto mehr UN-Soldaten benötigte die Mission, der heute mehr als 17 000 Schutzkräfte angehören.

Im Januar 2001 wurde Präsident Laurent Kabila von einem seiner Leibwächter im Präsidentenpalast ermordet. Ein interner Kreis, der dem Präsidenten nahe stand, beschloss darauf hin, seinen Sohn, den 29-jährigen Joseph Kabila, zum neuen Präsidenten auszurufen. Durch den Führungswechsel eröffneten sich für die Diplomatie neue Möglichkeiten. Anhaltender internationaler Druck sowie finanzielle Anreize durch internationale Institutionen veranlassten die Regierung von Joseph Kabila sowie Vertreter der wichtigsten Rebellenbewegungen, mit Unterstützung von Uganda, Ruanda und Burundi, im April 2002 in Sun City, Südafrika, einen Vertrag zu unterzeichnen, in dem sie die Aufteilung ihrer Macht vereinbarten. Dieser Vertrag ebnete den Weg für eine Übergangsregierung, angeführt von Joseph Kabila als Präsident. Ihm standen vier Vizepräsidenten zur Seite, von denen jeder ein Repräsentant der wichtigsten Kriegsparteien war.

Eine schwache Übergangsregierung
Von Anfang an litt die Übergangsregierung unter Misstrauen, internen Streitigkeiten und Korruption. Die führenden Politiker verschleppten die Verabschiedung neuer Gesetze, die nötig gewesen wären, um Wahlen vorzubereiten. Mit Absicht verzögerten sie die Gründung einer Nationalarmee, die tausende früherer Kämpfer entwaffnen und demobilisieren sollte. Angesichts dieser politischen und logistischen Hindernisse verschob die Übergangsregierung die Wahlen zunächst um ein Jahr, auf den 30. Juni 2006, und schließlich auf den 30. Juli.

Die Ungewissheit über den Ausgang der Wahlen veranlasste viele ehemalige Kriegsparteien, ihre Truppen und Bodyguards zu behalten, statt sie in die Nationalarmee zu integrieren. Joseph Kabila unterhält selbst die größte Truppe – die 12 000 bis 18 000 Mann starke Präsidentengarde GSSP, die sich während der vergangenen Monate über das ganze Land ausgebreitet hat. Auch die Vizepräsidenten sollen über beträchtliche eigene Streitkräfte verfügen.

Im östlichen Kongo dauern die Kämpfe bis heute an und viele Bürger fragen sich, ob die Friedensvereinbarungen irgend etwas bewirkt haben. Die nicht endende Gewalt und dementsprechende Menschenrechtsverletzungen wecken ernste Zweifel, ob die Wahlen tatsächlich in einer einigermaßen sicheren Atmosphäre abgehalten werden können.

Bei einem kürzlichen Besuch der südöstlich gelegenen Provinz Katanga dokumentierten ein anderer Human Rights Watch Researcher und ich brutale Übergriffe auf zahllose Bürger, die nichts anderes verbrochen hatten, als sich als Wähler eintragen zu lassen. Manche kamen dabei ums Leben. Die Angreifer gehörten zu einer lokalen Rebellentruppe, bekannt unter dem Namen Mai Mai. Diese Truppe ist gegen die Wahlen und gegen die Übergangsregierung. In anderen Regionen des Kongo, wie zum Beispiel in Ituri im Nordosten, fanden in den vergangenen Wochen besonders heftige Auseinandersetzungen zwischen der Nationalarmee, die von den UN-Friedenstruppen unterstützt wird, und bewaffneten lokalen Truppen statt. Die Bürger dort könnten eingeschüchtert davor zurückschrecken, am Wahltag ihr Wahllokal aufzusuchen.

Die Europäische Union wird während der Wahlen 2000 Soldaten in den Kongo entsenden, davon etwa 800 in die Hauptstadt Kinshasa, die dort für Sicherheit sorgen und die UN-Blauhelme entlasten sollen. Die größte Bedrohung für die Sicherheit der Wähler besteht indes im unruhigen Osten des Landes, wo EU-Truppen nicht eingreifen dürfen oder wollen.

Die wahren Herausforderungen
Die internationale Gemeinschaft und führende Politiker des Kongo sind so sehr mit den politischen und logistischen Herausforderungen der Wahlen beschäftigt, dass sie den Ursachen der Gewalt wenig Beachtung schenken: der gescheiterten Reform der Armee, dem ineffektiven Rechtssystem, der Korruption und nicht zuletzt der illegalen Ausbeutung der reichen Rohstoffvorkommen im Kongo. Durch Wahlen allein werden diese Probleme nicht gelöst.

Wenn die Wahlen frei und fair abgehalten werden, könnte dies dennoch die Wende für den Kongo bedeuten. Aus dem gescheiterten Staat könnte eine Demokratie werden, in der das Gesetz herrscht und die von Politikern geführt wird, welche durch ordentliche Wahlen legitimiert sind. Dies wäre allerdings erst ein Anfang.

Die deutsche Regierung sollte sich schon jetzt überlegen, was sie sechs Monate nach der Wahl zu tun gedenkt, um den Kongo bei der Lösung seiner grundlegenden Probleme zu unterstützen. Werden diese Probleme nicht aufgedeckt und behoben, so steht die kongolesische Nation, die wohlhabend und mächtig sein könnte, vor einem neuen Desaster statt vor einer glänzenden Zukunft.

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