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Selbst für hart gesottene Menschenrechtler war das Massaker im usbekischen Andijan am 13. Mai 2005 ein Blutbad, das sie so schnell nicht vergessen wer¬den.

Ein Jahr ist seit dem Massaker vergangen. Der Forderung nach einer inter¬nationalen, unabhängigen Untersuchungskommission hat sich die usbekische Regierung erfolgreich widersetzt. Anstatt die Verantwortlichen zur Rechen¬schaft zu ziehen, wurden viele der Demonstranten in regelrechten Schaupro¬zessen abgeurteilt. Die Öffentlichkeit war von diesen Prozessen bis auf einen einzigen, an dem Human Rights Watch teilnehmen konnte, ausgeschlossen. Wir haben beobachtet, dass die Verfahren keineswegs rechtsstaatlichen Prin¬zipien entsprachen. Oft war die Verteidigung unzulänglich, Angeklagte ließen sich mit wortwörtlichen Formulierungen aus den Anklageschriften ein, was auf Folter schließen lässt. Schon 2003 hatte der UN-Sonderberichterstatter für Folter festgestellt, dass in Usbekistan systematisch gefoltert wird. Gefange¬ne werden geprügelt, erhalten Elektroschocks und werden oft an Hand- oder Fußgelenken aufgehängt. Es gibt vielfache Formen sexuellen Missbrauchs. Ein Häftling starb, weil er in kochendes Wasser geworfen wurde.

Seit über zehn Jahren unterhält Human Rights Watch ein Büro in Tasch¬kent. Aber noch nie war die innenpolitische Lage in Usbekistan so repressiv wie heute. Nicht nur Demonstranten, auch Dutzende von Journalisten, Men¬schenrechtsaktivisten und Oppositionellen sind seit dem Massaker verhaftet und zum Teil unter fadenscheinigen Gründen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Allein in den ersten drei Monaten des Jahres 2006 wurden sieben Menschenrechtsaktivisten festgenommen. Büros von Nichtregierungs¬organisationen, wie Freedom House, wurden geschlossen. Auch dem Büro von Human Rights Watch droht möglicherweise die Schließung. Das Flücht¬lingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), das sich in Taschkent um die afghanischen Flüchtlinge kümmerte, wurde im April des Landes verwie¬sen. Die Unterdückung der Presse ist schlimmer denn je zuvor: Den Korres¬pondenten von BBC, Deutsche Welle, Radio Free Europe und Radio Liberty wurden die Akkreditierungen entzogen oder nicht mehr verlängert.

Im Oktober 2005 hat die EU das Partnerschaftsabkommen mit Usbekistan für ein Jahr teilweise ausgesetzt und ein Einreiseverbot für mehrere Regie¬rungsmitglieder erlassen, darunter den damaligen Innenminister Sakir Alma-tow. Almatow war als Innenminister nicht nur direkt für die Gefängnisse ver¬antwortlich, in denen gefoltert wurde, sondern auch für die Sicherheitskräfte, die am 13. Mai in die wehrlose Menge schossen. Im November letzten Jahres wurde Almatow jedoch trotz des EU-Einreiseverbots in ein Krankenhaus nach Hannover eingeliefert. Die Bundesregierung hatte ihn aus humanitären Gründen zur medizinischen Behandlung ein- und wieder ausreisen lassen. Im Namen von Überlebenden des Massakers hat Human Rights Watch beim Ge¬neralbundesanwalt in Karlsruhe nach dem neuen Völkerstrafgesetzbuch An¬zeige gegen ihn erstattet. Danach können die Verantwortlichen von Verbre¬chen gegen die Menschlichkeit – unabhängig vom Tatort oder der Staatsange¬hörigkeit von Tätern und Opfern – in Deutschland vor Gericht gestellt und bestraft werden. Jedoch ist dieses Gesetz, über das Juristen gerne sagen, es sei das beste der Welt, noch nie angewendet worden – ein Papiertiger also. Auch im Fall Almatows hat der Generalbundesanwalt es abgelehnt, ein Verfahren einzuleiten, weil er sich von „der Aufnahme von Ermittlungen keinen nen¬nenswerten Aufklärungserfolg“ verspricht.

Die Bundesregierung unterhält als einziges europäisches Land eine Militär¬basis in Termez, die sie im Rahmen des ISAF-Einsatzes als Zwischenstopp für die Truppentransporte nach Afghanistan benötigt. Das Auswärtige Amt ist redlich bemüht, einen kritischen Dialog mit der Regierung Karimow zu füh¬ren. Doch Friedbert Pflüger, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, der im Dezember in Taschkent die Verlängerung der Nutzung von Termez aus¬handelte, erwähnte in seiner Presseerklärung die Menschenrechte mit keinem Wort. Und man muss wohl auch fragen, was ein kritischer Dialog bewirkt, wenn ein Jahr nach dem Massaker von Andijan die Unterdrückung der Be¬völkerung schlimmer ist als je zuvor? Offenbar herrscht in Europa die Furcht, Usbekistan könne weiter in die Arme Russlands getrieben werden, dessen Verhältnis zu Taschkent sich jüngst erheblich verbessert hat. Nun hat auch der Vorsitzende der OSZE, der belgische Außenminister Karel de Gucht, bei seinem Besuch in Usbekistan am 1. April angekündigt, den Dialog im Sinne einer „gleichberechtigten Partnerschaft“ entwickeln zu wollen.

Human Rights Watch hält eine derartige Nachgiebigkeit des Westens für keine geeignete Methode, die Machthaber in Usbekistan zum Einlenken zu bewegen. Vielmehr sind wir der Überzeugung, dass die EU den im letzten Jahr eingeschlagenen Weg der Aussetzung des Partner¬schaftsabkommens fortsetzen und eindeutige Signale nach Taschkent senden sollte, dass sie derartige massive Menschenrechtsverletzungen nicht toleriert. Sie sollte weiter auf der Einberufung einer unabhängigen Untersu-chungskommission bestehen, die Unterdrückung der Pressefreiheit und die Verfolgung der Opposition ebenso kritisieren wie die Ausweisung westlicher Medien. Sie sollte das Einreiseverbot auch auf Präsi¬dent Islam Karimow ausweiten – ohne dessen Zustimmung das Massaker nicht hätte stattfinden können – auf Generalstaatsanwalt Raschidjon Kodirow und Justizminister Buritosch Mustafaew, die für die Schauprozesse verant¬wortlich sind. Die EU sollte ferner die Konten aller Personen, gegen die ein Einreiseverbot verhängt wurde, einfrieren lassen. Sie muss die Schauprozesse verurteilen, transparente Gerichtsverfahren und Informationen über den Ver¬bleib der aus den Nachbarstaaten zurückgeschickten Flüchtlinge fordern. Us¬bekistan gehört als eines der ersten Länder auf die Tagesordnung des neuen Menschenrechtsrats, der sich im Juni in Genf konstituieren wird.

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