(Berlin, 26. Oktober 2005) Die neue Bundesregierung sollte eine zentrale Kraft im Kampf für den weltweiten Menschenrechtsschutz sein und eine härtere Position gegenüber wichtigen Staaten wie Russland und China einnehmen, dies forderte heute Human Rights Watch.
Um die deutsche Regierung zu ermutigen, seine Rolle als Anwalt für die Menschenrechte auszuweiten, hat Human Rights Watch ein Büro in Berlin eröffnet.
„Deutschland hat eine besondere Rolle im weltweiten Kampf gegen die Verletzung von Menschenrechten“, so Marianne Heuwagen, Direktorin des Deutschland-Büros. „Deutschland muss etwa seine guten Beziehungen zu Ländern wie Russland nutzen, um die Achtung der Menschenrechte zu fördern."
Bei dieser Aufgabe sollte sich Deutschland unter anderem in folgenden Regionen für den Schutz der Menschenrechte engagieren.
Russland: Die neue Bundesregierung sollte die besonderen deutsch-russischen Beziehungen nutzen, um Moskau dazu zu drängen, gewaltsame Verschleppungen, Vergewaltigungen, Folter und außergerichtliche Hinrichtungen durch staatliche Truppen in Tschetschenien zu unterbinden. Solche Gräueltaten stehen dort immer noch auf der Tagesordnung. Aber auch tschetschenische Rebellen begehen schwere Menschenrechtsverletzungen in der Region.
Als Teil der Europäischen Union sollte Deutschland die russische Regierung dazu drängen, die Gräueltaten in Tschetschenien glaubwürdig und transparent zu untersuchen und rechtsstaatliche Strafprozesse gegen Verbrechen der russischen Truppen zu gewährleisten.
Deutschland sollte auch die Einschränkung der Meinungsfreiheit und anderer fundamentaler Menschenrechte in Russland genaustens überwachen.
Usbekistan: Als Mitglied der Europäischen Union besteht Deutschland darauf, dass die usbekische Regierung ihre Einschüchterungskampagne gegen Menschenrechtsaktivisten und Bürgerrechtler im Zusammenhang mit dem Massaker vom 13. Mai in Andischan beendet. Deutschland hat sich sowohl für eine internationale Untersuchung der Gewalttaten in Andischan eingesetzt als auch für eine Reihe von EU-Sanktionen, als sich der usbekische Präsident Islam Karimov diesen verweigerte. Berlin sollte sich um politische Unterstützung von bedeutenden Nicht-EU-Ländern wie Russland bemühen, um eine unabhängige und internationale Untersuchung des Andischan-Massakers zu ermöglichen. Die deutsche Regierung sollte sich kontinuierlich dafür einsetzen, dass Gerichtsverfahren nach den Andischan-Verfahren überwacht werden.
China: Die Bundesregierung sollte China verstärkt dazu drängen, internationale Menschenrechtsstandarts zu achten. Obwohl die Bürger Chinas mehr persönliche Freiheiten und wirtschaftliche Rechte haben als noch vor zwei Jahrzehnten, werden die Menschenrechte, inklusive der Meinungs- Versammlungs- und Religionsfreiheit sowie der Rechtsstaatlichkeit von der chinesischen Regierung nicht in ausreichemdem Maße geachtet. Die deutsche Regierung muss deutlich machen, dass wirtschaftlicher Fortschritt Hand in Hand gehen muss mit der Achtung der Menschenrechte. So verlangt die Lösung von Handelskonflikten unabhängige Gerichte und das Ende der Korruption eine freie Presse.Um Seuchen wie HIV/AIDS und Vogelgrippe wirksam zu bekämpfen, müssen transparente und verläßliche Mechanismen existieren. Die chinesische Regierung peinigt, verhaftet, mißhandelt und foltert politische Gegner, darunter Aktivisten ethnischer und religiöser Minderheiten, die sich für ihre politische Unabhängigkeit einsetzen. Die Meinungsfreiheit im Internet ist zunehmend in Gefahr.
Wenn der chinesische Präsident Hu Jintao Mitte November Berlin besucht, sollte die Bundesregierung ihn auffordern, die Religions- und Meinungsfreiheit in seinem Land zu achten, die Zivilgesellschaft zu fördern und die Internet-Zensur zu beenden. Ferner sollte sich Deutschland solange nicht für ein Ende des EU-Waffenembargos einsetzen, das 1989 nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz verhängt worden war, bis die chinesische Regierung transparente und glaubwürdige Unterschuchungen darüber eingeleitet hat und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden sind.
Afghanistan: Als Teil der ISAF-Truppe unter NATO-Kommando sollte Deutschland die politische, technische und finanzielle Unterstützung ausbauen, um die Sicherheitslage in Afghanistan weiter zu verbessern. Warlords und bewaffnete Gruppen beherrschen weiterhin große Teile des Landes und verletzen regelmäßig die Rechte der wehrlosesten Bevölkerungsgruppen: Frauen und Kinder. Im Süden des Landes geraten Zivilisten zunehmend in Konflikte zwischen den Taliban und der Koalition unter Führung der USA, die die Zentralregierung unterstützt.
Deutschland sollte sich für den Aufbau eines Sondertribunals in Afghanistan engagieren, welches Menschenrechtsverbrecher zur Rechenschaft zieht und entmachtet, besonders da mehr als die Hälfte der neu gewählten Mitglieder des Parlaments Verbindung zu bewaffneten Gruppen besitzen oder an früheren Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren. Deutschland sollte auch seine einflussreiche Position verwenden, um die USA zur Einhaltung der Genfer Konvention und grundlegender Menschenrechtsstandards gegenüber der afghanischen Bevölkerung zu drängen.
Darfur, Sudan: Deutschland war maßgeblich daran beteiligt, dass der UN-Sicherheitsrat Ende März den Internationalen Strafgerichtshof aufforderte, die Kriegsverbrechen in Darfur zu untersuchen. Dies war ein bedeutender Schritt, der die Situation in Darfur langfristig verbessern wird. Im Augenblick bleibt die Situation in der Region mit mehr als zwei Millionen Vertriebenen and wachsender Gewalt jedoch äußerst angespannt. Deutschland sollte sich gemeinsam mit der Europäischen Union und anderen gleichgesinnten Staaten, besonders den USA und Kanada, dafür einsetzen, die ethnischen Säuberungen in Darfur rückgängig zu machen. Wesentliche Schritte dafür sind, dass die Europäische Union und die NATO ihre Unterstützung für die Mission der Afrikanischen Union (AU) verstärken. Besondere Bedeutung erhält dabei, dass eine Zivilpolizei aufgebaut wird, die sudanesische Regierung vollständig mit der AU kooperiert und jegliche Einschränkungen der zivilen Schutzfunktion der AU aufgehoben werden. Ebenso müssen EU-Maßnahmen wie Reisebeschränkungen und das Einfrieren von Geldern unterstützt werden, die sich gegen Einzelpersonen richten, welche die Arbeit der AU behindern oder gegen die der starker Verdacht vorliegt, dass sie in Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder in Kriegsverbrechen in Darfur verwickelt sind.