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Kroatien: Gerichtsurteil behindert Flüchtlingsrückkehr

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte sollte Mietrechtsfall neu überdenken

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sollte einen wegweisenden Fall, der Wohnungsrechte in Kroatien betrifft, neu überdenken, forderte Human Rights Watch heute. Der Fall betrifft den Verlust von Ansprüchen auf Unterkunft in staatlichen Sozialwohnungen zur Kriegszeit (sogenannte "Mietrechte") – ein langjähriges Hindernis für die Rückkehr von serbischen Flüchtlingen nach Kroatien. Im Juli diesen Jahres entschied der Gerichtshof, dass ein Flüchtling in eine Kriegszone in Kroatien zurückkehren hätte müssen, um seine Mietrechte dort aufrecht zu erhalten – eine Entscheidung, die dem humanitären Völkerrecht und dem Flüchtlingsrecht widerspricht.

Verlorene Mietrechte hindern weiterhin serbische Flüchtlinge an der Rückkehr nach Kroatien, dennoch hat der Europäische Gerichtshof die diskriminierende Gesetzgebung bestätigt, die diese Rechte aberkannt hat.

Nach der Einschätzung von Human Rights Watch sollte die Große Kammer (Beschwerdekammer) des Europäischen Gerichtshofs einem Antrag auf Verweisung im Fall von Blecic gegen die Republik Kroatien stattgeben, der von der Beschwerdeführerin am 25. Oktober 2004 eingebracht wurde. Der Verweisungsantrag folgt auf eine Entscheidung der für die erste Instanz zuständigen Kammer des Gerichtshofs vom 29. Juli, der zufolge die Republik Kroatien das Recht der Beschwerdeführerin auf Unterkunft und friedvollen Genuss ihres Eigentums nicht verletzte, als es Krstina Blecic, einem Flüchtling aus Kroatien, die Mietrechte an einer Wohnung entzog.

Der Europäische Gerichtshof entschied, kroatische Gerichte hätten recht gehandelt, indem sie das Verfallen von Blecics Anspruch auf ihre Sozialwohnung infolge ihrer Abwesenheit von mehr als sechs Monaten als gerechtfertigt annahmen. Blecic hatte Zadar im Juli 1991 verlassen, zwei Monate bevor der Dauerbeschuss durch serbisch-montenegrinische Kräfte einsetzte. Sie war im Mai 1992 in die kroatische Stadt zurückgekehrt.

Bis Mitte der 90er war das Recht, staatliche Sozialwohnungen zu nutzen – meist nur "Mietrecht" genannt – ein echtes Eigentumsrecht, in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit Privatbesitz. Der Staat konnte dieses Recht bei gewissen speziellen Gegebenheiten entziehen, darunter eine nicht begründete Abwesenheit des Bewohners für mehr als 6 Monate.

"Verlorene Mietrechte hindern weiterhin serbische Flüchtlinge an der Rückkehr nach Kroatien, dennoch hat der Europäische Gerichtshof die diskriminierende Gesetzgebung bestätigt, die diese Rechte aberkannt hat," sagte Holly Cartner, Direktorin der Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. "Die Konsequenzen der Entscheidung im Fall Blecic sind zu weitreichend für den Europäischen Gerichtshof, um die Sache nicht neu aufzurollen."

Die Kroatischen Behörden sehen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs als Bestätigung für ihre Weigerung, anzuerkennen, dass Mietrechte unrechtmäßig aberkannt wurden. Im August sagte die kroatische Justizministerin Vesna Skare-Ozbolt, es könnte "kein weiterer Druck mehr auf Kroatien ausgeübt werden, was die Sache der Mietrechte betrifft."

Hintergrund

Während des Kriegs in den Jahren 1991-1995 und unmittelbar danach erkannte die kroatische Regierung in tausenden Fällen geflüchteten Serben und Montenegrinern unter der Begründung ihrer Abwesenheit ihre Mietrechte ab. Seither ist es für sie beinahe unmöglich, ihre alten Wohnungen wiederzubekommen, ersatzhalber andere Wohnungen zu beziehen oder Kompensationszahlungen zu bekommen. Es wird weithin angenommen, dass das Fehlen einer Lösung für die Frage der verlorenen Mietrechte den Prozess der Rückkehr von Flüchtlingen nach Kroatien entscheidend verzögert hat.

Die Gerichtsentscheide über den Verlust von Mietrechten in Kroatien weisen in den meisten Fällen materielle und formale Fehler auf, was deutlich darauf hinweist, dass ihr eigentlicher Zweck der war, die erzwungene Flucht und Vertreibung von Minderheiten zu fördern, die man dem Land gegenüber für illoyal hielt. Darüber hinaus führte Kroatien im September eine Regelung ein, die die zulässige Zeit der Abwesenheit auf nur drei Monate verkürzte – ein Vorgehen, das ganz klar deshalb gewählt wurde, um Serben, die aus zuvor aus von serbischen Rebellen kontrollierten Gebieten geflohen waren, eher ihre Mietrechte entziehen zu können.

Im Gegensatz dazu gestand der Staat ethnischen Kroaten, die ihre Wohnungen verlassen hatten, ihre Mietrechte weiter zu. In Verfahren zum Erwirken von Zwangsräumungen, eingebracht von Kroaten, die aus früher von den UN verwalteten Gebieten im Osten Kroatiens geflohen waren, haben kroatische Gerichte stillschweigend und ohne Erklärung die Ansprüche von Mietern auf ihre Wohnungen bestätigt, und damit die Argumentation akzeptiert, dass der bewaffnete Konflikt Grund genug für eine Abwesenheit ist.

Der Fall Blecic

Krstina Blecics Mietrechte an ihrer Wohnung in Zadar wurden im Oktober 1992 durch das Bezirksgericht für beendet erklärt. Blecic hatte Zadar im Juli 1991 verlassen, zwei Monate bevor der tägliche Artilleriebeschuss begann. Sie kehrte im Mai 1992 in die Stadt zurück. Das Gericht war der Meinung, Blecic hätte keinen hinreichenden Grund gehabt, nicht innerhalb von sechs Monaten nach Zadar und in ihre Wohnung zurückzukehren. Der oberste Gerichtshof von Kroatien, sowie der Verfassungsgerichtshof bestätigten das Urteil jeweils 1996 und 1999.

In der Entscheidung vom Juli 2004 unterstützte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Auslegung, und äußerte die Ansicht, dass die Aberkennung von Blecics Mietrechten ein legitimes Mittel war, um das Nicht-Nutzen der Wohnung zu bestrafen. Darüber hinaus argumentierte er, dass die kroatische Regierung ein legitimes Ziel – das wirtschaftliche Wohlergehen des Landes – verfolgte, indem sie Blecics Wohnung einer bedürftigen kroatischen Familie zukommen ließ.

Trotz klarer Indizien, vorgebracht von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die die Ansicht unterstützen, dass der Entzug von Mietrechten in diskriminierender Art und Weise gehandhabt wurde, sah der Gerichtshof "keinen Grund, anzunehmen, dass [die Regierung] einen anderen Zweck verfolgte."

Der Europäische Gerichtshof kann Fälle nur dann behandeln, wenn alle Berufungsmöglichkeiten auf nationaler Ebene ausgeschöpft sind. Anträge an den Gerichtshof müssen innerhalb von sechs Monaten nach einem endgültigen Entscheid von nationalen Gerichten eingebracht werden. Da die meisten Mietrechte vor 1996 entzogen wurden, ist es unwahrscheinlich, dass in Zukunft weitere solche Fälle vom Europäischen Gerichtshof behandelt werden.

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