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Das Gedenken an den Völkermord in Ruanda vor zehn Jahren liegt erst wenige Wochen zurück, und ich hoffe, dass ich nicht im Jahr 2014 auf diesem Stuhl sitze und an das Versagen der internationalen Gemeinschaft erinnern muss, als im Jahr 2004 Hunderttausende im Sudan sterben mussten, weil wir einmal mehr weggeschaut haben.

Remme: Das Gedenken an den Völkermord in Ruanda vor zehn Jahren liegt erst wenige Wochen zurück, und ich hoffe, dass ich nicht im Jahr 2014 auf diesem Stuhl sitze und an das Versagen der internationalen Gemeinschaft erinnern muss, als im Jahr 2004 Hunderttausende im Sudan sterben mussten, weil wir einmal mehr weggeschaut haben. Bis vor wenigen Monaten wusste kaum jemand, wo Darfur liegt, die Krisenregion im Sudan, wo im Moment gestorben wird. Ein Völkermord in Zeitlupe, wie Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul gestern Abend sagte und anfügte:

Erstens bin ich dafür, dass wir jetzt massiv darauf drängen, dass ein Beschluss des UN-Sicherheitsrates zu Stande kommt. Er wird ja die ganze Zeit verschoben. Wir haben immer noch kein UN-Waffenembargo. Es gibt zwar ein Waffenembargo der Europäischen Union. Der UN-Sicherheitsrat muss das dringend beschließen, und aus meiner Sicht wäre es auch notwendig, eine Sanktion zu ergreifen, die eben die Regierenden im Sudan trifft, nämlich die sudanesische Regierung, indem ihre Auslandskonten eingefroren werden und das, was Kofi Annan eben auch als sein Anliegen sieht, wirklich umgesetzt wird. Ich glaube, es kommt darauf an, dass die Flüchtlinge auch sicher in ihre Heimat zurückkehren können. Sonst wird die Situation so sein, dass über Monate hinweg sich diese elende Situation fortsetzt. Wer jetzt nicht zurückkehren kann, kann keine Saat aussähen, und der kann sich auch in den nächsten Monaten nicht selbst ernähren.

Remme: Nach neuesten Angaben der Vereinten Nationen hat die Regierung des Sudan bisher nichts unternommen, um der Bevölkerung Schutz vor den marodierenden Reitermilizen, den Dschandschawid, zu bieten, und so ist die Zahl der Flüchtlinge im vergangenen Monat um zusätzliche 100.000 auf weit über eine Million gestiegen. Am Telefon ist jetzt Steve Crashaw in London, Europadirektor von Human Rights Watch. Herr Crawshaw, was wissen Sie über dieses Verhältnis, die Beziehung zwischen der Regierung in Khartum und diesen marodierenden Milizen?

Crawshaw: Das Verhältnis ist völlig klar. Die Regierung hat immer versucht, eine Distanz zu bekommen. Seit Jahren haben sie ein Problem mit bewaffneten Gruppen in einer Region, aber von Anfang an - das haben wir ganz klar gesehen - haben sie zusammengearbeitet. In unseren Berichten mit vielen Augenzeugen schon in den vergangenen Monaten hatte man viele Augenzeugenberichte, wie sie zusammengearbeitet haben. Jetzt haben wir auch in unserem neuesten Bericht Dokumente vorhanden, die ganz klar zeigen, hier hat man Regierungsbeamte, die ganz klar ausdrücken, wir müssen die Milizen unterstützen, und so müssen wir das machen. Man hat nun die schriftlichen Belege, die die Augenzeugenberichte bestätigen.

Remme: Warum tut das die Regierung des Sudan?

Crawshaw: Für die Regierung ist das, was man hier betreibt, eine ethnische Säuberung. Es sind ja schwarzafrikanische Muslime, die hier vertrieben werden, das alles ist eine ethnische Säuberung, die durchgeführt wird mit Mord, Vergewaltigungen und ganz schrecklichen Sachen. Was man erwarten muss, ist, dass alles aufhört und die Regierung hier Verantwortung übernimmt.

Remme: Die Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul hat gestern Abend auch gesagt, immerhin hat sich die humanitäre Versorgung, also die Erstversorgung der Menschen ein bisschen gebessert. Können Sie das bestätigen?

Crawshaw: Ein bisschen ist ganz richtig. Die humanitäre Lage hat sich ein bisschen verbessert. Aber man muss sehen, dass dieses humanitäre Desaster mit der Politik zu tun hat. Das ist nicht nur eine natürliche Sache. Wenn die Regierung jetzt richtig handeln würde und Leute jetzt richtig reinlassen würde, aber auch natürlich Leute, die die Verbrechen begehen, raustreiben, wenn das alles aufhören würde, hätte man diese Lage nicht. Das ist das wirklich Tragische an dieser ganzen Sache. Das ist nicht nur eine natürliche Sache, sondern es ist wirklich Politik.

Remme: Nun scheint die internationale Gemeinschaft weitgehend machtlos. Immerhin war ein Mann wie Colin Powell vor Ort und hat versucht, die Regierung zu Aktionen zu bewegen. Bundesaußenminister Fischer war auch da. Was fordert Human Rights Watch?

Crawshaw: Wir freuen uns sehr, dass die deutsche Regierung sich jetzt stark dort engagiert. Was uns und mich auch persönlich ganz traurig gemacht hat, ist, dass es Monate gedauert hat, damit jemand überhaupt zuhört, was da passiert. Man wusste schon lange, was da los war, und man hat ganz verspätet reagiert. Aber was jetzt angesprochen wurde, das ist ganz richtig. Man braucht einen ganz starken Entschluss des Sicherheitsrats der UNO. Hier müssen Sanktionen her, die auch sehr fein sein können, und es muss gesagt werden, hier sind einzelne Politiker, die dafür zuständig sind. Das wäre ein Anfang, und die Leute müssen die Möglichkeit haben, nach Hause zurückzukehren, nicht mit Druck und nicht dorthin, wo die Milizen immer noch da sind, aber sie müssen sich frei bewegen. Man muss erstens die Möglichkeit für die zivile Bevölkerung schaffen, und dann auch die Leute, die Verbrechen begangen haben, bestrafen. Der Druck muss aber ganz stark auf Khartum sein, weil sie immer sagen können, ach ja, wir stimmen da zu, das ist natürlich eine tragische Lage, und wir versuchen etwas zu machen, und leider stimmt das nicht. Sie sind nicht die Lösung, sondern das Problem, und das muss man immer im Kopf haben.

Remme: Jetzt ist ja die Zahl der wirklich mächtigen Staaten im UN-Sicherheitsrat überschaubar. Wer verschleppt dieses Thema im UN-Sicherheitsrat?

Crawshaw: Wissen Sie, leider muss ich als Brite sagen, dass die britische Regierung immer gesagt hat, man muss etwas machen, aber man hat das sozusagen nur als humanitäre Lage gesehen, und nicht immer den starken Druck ausgeübt. Aber das hat sich auch ein bisschen geändert. Manchmal hat man Angst, stark und konsequent zu handeln. Man denkt, man müsste etwas machen, aber vielleicht noch nicht jetzt und noch nicht so stark, und das ist das Problem, das bei mehreren Regierungen vorhanden ist.

Remme: Ist eine militärische Intervention denkbar?

Crawshaw: Wissen Sie, das kann immer möglich sein. Aber man muss immer damit rechnen, dass das absolut das Allerletzte sein muss. Es gibt so viele Möglichkeiten, bei der Regierung Druck auszuüben, oder auch die Bevölkerung zu schützen, nicht direkt militärisch einzugreifen. Das wäre schon gut.

Remme: Ich spreche nicht leichtfertig von der militärischen Alternative, aber das Desinteresse in Khartum ist, glaube ich, offenbar.

Crawshaw: Das Desinteresse ist offenbar, aber man hat noch nicht diese anderen Möglichkeiten versucht. Man hat noch nicht gesagt, jetzt kommen diese Sanktionen gegen sie persönlich, jetzt kommt die Möglichkeit einer Strafe, einer internationalen Verhandlung. All diese Sachen existieren noch nicht, und die müssen existieren, damit sie fühlen, es sind nicht nur Worte, sondern auch konkrete Taten. Das heißt, die Regierungen müssen jetzt etwas machen.

Remme: Vielen Dank für das Gespräch.

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