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Usbekistan: Hatz auf unabhängige Muslime nach gewalttätigen Unruhen

Verhaftungen und Isolationshaft erinnern stark an Bombenattentate von 1999

Mit einer wahren Welle an Verhaftungen hat man in Usbekistan auf die Gewaltausbrüche, die sich diese Woche in Taschkent ereigneten, reagiert. Human Rights Watch zufolge ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass die usbekische Regierung die Situation für Vergeltungsmaßnahmen an friedlichen muslimischen Andersdenkenden und ihren Verwandten benutzt.

Human Rights Watch erhielt Berichte über mindestens elf willkürliche Verhaftungen innerhalb weniger Stunden nach den Gewaltausbrüchen. Bei den Verhafteten handelt es sich hauptsächlich um ehemalige religiöse Gefangene und deren Verwandte, die, soweit sie nicht inzwischen wieder freigelassen wurden, in Isolationshaft gehalten werden.

"Wer in Usbekistan in Isolationshaft sitzt, der wird wahrscheinlich auch gefoltert," sagte Rachel Denber, amtierende Direktorin der Europa und Zentralasien Abteilung von Human Rights Watch. "Die usbekische Regierung muss damit aufhören, Jagd auf Menschen wegen deren religiöser Zugehörigkeit zu machen. Auch müssen die Verhafteten Zugang zu einem Anwalt und Kontakt zu ihren Familien haben können."

Die Maßnahmen der usbekischen Regierung erinnern stark an die Verhaftungswelle nach den Bombenattentaten auf Taschkenter Regierungsgebäude im Februar 1999. Auch entsprechen sie der üblichen Verfahrensweise der usbekischen Regierung, nach der friedliche muslimische Andersdenkende wegen religiösem "Extremismus" verfolgt werden, auch wenn sie gar keine Gewalttaten begangen haben.

Am 30. März veröffentlichte Human Rights Watch den Bericht: "Creating Enemies of the State", in dem Usbekistans langjährige Regierungskampagne, bei der muslimische Andersdenkende verhaftet und gefoltert wurden, dokumentiert wird. Tausende von unabhängigen Muslimen - das heißt, Menschen, die ihren Glauben außerhalb der staatlichen religiösen Einrichtungen ausüben - sind im Laufe der letzten Jahre auf Grund ihres gewaltlosen religiösen Glaubens oder ihrer religiösen Verbindungen inhaftiert worden.

"Wir befürchten, dass diese neuen Verhaftungen eine Verschärfung der ohnehin schon laufenden Hatz auf diese Menschen einläuten," so Denber, "ähnlich wie es auch nach den Bombenattentaten von Taschkent 1999 passiert ist."

Unmittelbar nach den ersten Gewaltausbrüchen am 29. März veranlasste die Polizei sogenannte "Präventivmaßnahmen", im Zuge derer vor allem ehemalige religiöse Gefangene verhaftet und verhört wurden. Die Polizei unterhält eine Liste von Tausenden "gefährlicher Leute", unter denen sich auch unabhängige Muslime befinden.

"Die Regierung nimmt sich mal wieder ihre üblichen Verdächtigen vor, indem sie religiöse Andersdenkende und deren Familien verfolgt," kritisiert Denber. "Also Leute, die sie schon lange als "Staatsfeinde" abgestempelt hat."

Dilshod Mamurow, ein vierfacher Vater, wurde von der Polizei noch am 29. März gegen 22 Uhr aus seinem Haus geholt und zum Sobir Rakhimow Polizeipräsidium in Taschkent gebracht. Familienmitgliedern gegenüber leugnete die Polizei jedoch Mamurow festzuhalten und weigerte sich über seinen Verbleib Auskunft zu geben. Am 31. März schließlich wurde immerhin bekannt, dass er in einem Polizeipräsidium in der Taschkenter Innenstadt festgehalten wird - seine Familie erhielt bis heute aber keine Besuchserlaubnis. Auch bleibt unklar wessen er beschuldigt wird. Mamurow war 1999 wegen angeblicher Mitgliedschaft in der Hizb ut-Tahrir - einer friedlichen islamischen Vereinigung, die sich für Usbekistan (und für andere traditionell muslimische Ländern) einen islamischen Staat wünscht - zu drei Jahren Haft verurteilt, aber vorzeitig entlassen worden. Während seiner Haft 1999, wurde er von der Polizei beinahe durch Gas erstickt und derart geschlagen, dass sein Körper mit Blutergüssen übersäht war. Mamurow befindet sich derzeit in Isolationshaft.

Ebenfalls am 29. März wurde Akiljon Ziahonow verhaftet, auch er ein ehemaliger religiöser Gefangener, den man des "Wahhabismus" beschuldigt. Wahhabismus wird von der usbekischen Regierung abwertendend für angebliche "Fundamentalisten" gebraucht und nicht als Begriff für den echten Wahhabismus, wie er in Saudi Arabien praktiziert wird. 1998 war Ziahonow wegen "staatsfeindlicher Aktivitäten" verurteilt worden. Er gehörte zu den Hunderten von Menschen, die auf Grund ihrer Verbindungen zu dem bekannten Taschkenter Imam Obidkhon Nazarow im Gefängnis saßen. Ziahonow wird derzeit im Taschkenter Innenministerium in Isolationshaft gehalten.

Auch Verwandte von ehemaligen religiösen Gefangenen, die wegen "staatsfeindlicher Aktivitäten" und religiösem "Extremismus" angeklagt und verurteilt worden waren, wurden festgehalten und verhört.

Als Darmon Sultanowa, deren beide Söhne 1998 wegen "Wahhabismus" verhaftet worden waren, am 31. März nach Hause kam, fand sie ihr Haus in Chirchik, außerhalb der Hauptstadt, in dem sie zusammen mit ihren Verwandten lebte, verlassen vor. Die Polizei hatte Sultanowas behinderte Tochter, ihre Schwiegertochter und drei kleine Enkel in Gewahrsam genommen. Der Direktor des Innenministeriums in Chirchik teilte Human Rights Watch mit, das Festhalten der Familie sei notwendiger Bestandteil der "Präventivmaßnahmen".

Die beiden Frauen und die drei Kinder wurden zwar noch in der selben Nacht wieder freigelassen, aber die Polizei weigerte sich, ihre Pässe und andere Ausweise zurückzugeben. Ebenso konfiszierte man während einer Hausdurchsuchung Ausgaben des Korans und vom Staat in Umlauf gebrachte religiöse Flugblätter.

Während des Verhörs wurden die Frauen von den Beamten als "Wahhabis" bezeichnet und mit Drohungen wie: "Wir zerstören euch!", eingeschüchtert. Außerdem befahlen die Beamten den Frauen ihre Hijab abzulegen, eine muslimische Kleidung, durch die verschiedene Körperteile bedeckt werden können, z.B. nur die Haare durch einen Schal oder auch der ganze Körper samt Gesicht. Die Beamten horchten die Frauen auch über Sultanowa aus, die den fraglichen Tag in Taschkent verbracht hatte, wobei der Chef des Kriminalpolizei fragte: "Warum ist sie denn nach Taschkent gefahren? Will sie die Stadt in die Luft jagen?"

Aus einem Bericht von Human Rights Watch geht detailliert hervor, dass Sultanowas Söhne nach ihrer Verhaftung 1998 von der Polizei gefoltert wurden, dass auch Sultanowa selbst festgehalten und körperlich misshandelt und dann samt ihrer Schwester unter Hausarrest gehalten wurde. Schließlich wurde auch noch der alte Vater durch eine fingierte Drogenanklage verhaftet. Daraufhin legten die jungen Männer unter Folter ein Geständnis ab, sie hätten den Charwok-Damm außerhalb von Taschkent in die Luft jagen wollen. 1999 wurden sie zum Tode durch Erschießen verurteilt.

Auch in einer weiteren Familie wurden offenbar am Morgen des 29. März drei Männer verhaftet. Die Polizei bestätigte die Inhaftierung zweier dieser Männer und erklärte, sie seien bereits zu zehn Tagen Ordnungshaft verurteilt worden, leugnete aber, etwas über den Verbleib des dritten Mannes zu wissen. Nach mehr als 72 Stunden in Haft war es noch immer nicht möglich zu den Gefangenen, die in einem Polizeiamt außerhalb der Hauptstadt festgehalten werden, Kontakt aufzunehmen. Laut polizeilichen Angaben hatten es die Männer zuvor versäumt zu einem Verhör zu erscheinen. Alle drei befinden sich auf der Polizeiliste der "gefährlichen Personen", nur weil ein Verwandter der Männer im Jahr 2000 wegen angeblichem "religiösem Extremismus" verurteilt wurde.

Auch Bobur Makhmudow, der Sohn des Schriftstellers und politischen Gefangenen Mamadali Makhmudow, wurde am 30. März in seinem Hause von wahrscheinlich neun Polizeibeamten in Zivil verhaftet. Die Behörden lehnten es ab, sich zu seinem Aufenthaltsort zu äußern. Sie stritten sogar ab, ihn überhaupt festzuhalten. Auch er befindet sich zur Zeit in Isolationshaft. Die Bitte von Human Rights Watch, Makhmudow Zugang zu einem Anwalt zu ermöglichen, wurde von der Polizei mit dem Kommentar: "Er braucht keinen", abgelehnt.

Sein Vater, Mamadali Makhmudow, wurde 1999 auf Grund von fingierten Beweisen zu 14 Jahren Haft verurteilt. Die Anklagepunkte lauteten auf Mitgliedschaft in einer "kriminellen Vereinigung" und Missbrauch der Medien zur öffentlichen Verunglimpfung des usbekischen Präsidenten. Die Polizei folterte ihn, um ihm ein Geständnis über die Teilnahme an den Bombenattentaten vom Februar 1999 abzunötigen und um ihn mit dem im Exil lebenden politischen Führer Muhammed Solih in Verbindung bringen zu können. Während seiner Verhandlung beschrieb Makhmudow die Foltermethoden der Polizei, die ihn zu seinem Geständnis gebracht hatten.

Unter den Verhafteten befand sich auch eine Einwohnerin von Taschkent, die ein Hijab trägt. Ihre Familie wurde telefonisch von einem Unbekannten darüber informiert, dass sie auf der Straße festgenommen worden war. Weitere Informationen über ihren Verbleib konnte die Familie der Polizei bisher jedoch nicht abringen und es wird befürchtet, dass sie irgendwo in Haft "verschwunden" ist.

Human Rights Watch ruft die Internationale Gemeinschaft dringend dazu auf, Usbekistan zur Beachtung der Menschenrechte auch während etwaiger Antiterror-Maßnahmen zu ermahnen.

"Die usbekische Regierung verfolgt sicherlich ganz genau, ob die internationale Gemeinschaft in Zeiten nationaler Sicherheitskrisen bereit ist, Abstriche an die Beachtung der Menschenrechte zu machen," erläutert Denber. "Deshalb ist es ganz wichtig, dass die internationale Gemeinschaft klar macht, dass Folter und willkürliche Verhaftungen absolut inakzeptabel sind und Konsequenzen haben werden."

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