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Wenn U.S. Truppen Saddam Hussein finden, sollten sie ihn dann töten oder ihn in Gefangenschaft nehmen? Diese Frage wird zur Zeit von der Bush-Regierung erwogen. Obwohl es für Washington verlockend sein mag, das Thema Saddam Hussein ein für alle Mal abzuhaken, muss der Wunsch der irakischen Bevölkerung nach Gerechtigkeit berücksichtigt werden und Saddam wegen seiner entsetzlichen Verbrechen der Prozess gemacht werden. Internationales Völkerrecht erfordert in bestimmten Situationen, dass Saddam festgenommen wird, anstatt getötet zu werden.

Wenn U.S. Truppen Saddam Hussein finden, sollten sie ihn dann töten oder ihn in Gefangenschaft nehmen? Diese Frage wird zur Zeit von der Bush-Regierung erwogen. Obwohl es für Washington verlockend sein mag, das Thema Saddam Hussein ein für alle Mal abzuhaken, muss der Wunsch der irakischen Bevölkerung nach Gerechtigkeit berücksichtigt werden und Saddam wegen seiner entsetzlichen Verbrechen der Prozess gemacht werden. Internationales Völkerrecht erfordert in bestimmten Situationen, dass Saddam festgenommen wird, anstatt getötet zu werden.

Saddams Gräueltaten stehen außer Frage. Während seiner 25-jährigen Herrschaft wurden ungefähr eine Viertel Millionen Menschen hingerichtet – 10.000 Opfer pro Jahr.
Die Massengräber, die im Irak entdeckt wurden, enthalten die Überreste; von 100.000 kurdischen Männern und Jugendlichen, die 1988 während dem „Anfal-Völkermord“ zunächst mit Hilfe von Giftgas aus ihren Häusern getrieben und anschließend niedergeschossen wurden; 30.000 Schiiten und Kurden, die während den Aufständen von 1991 abgeschlachtet wurden; weiterer Schiiten, die im Jahre 1980 wegen ihrer pro-iranischen Einstellung getötet wurden; sogenannter Marsch-Araber, die, während die irakische Regierung das Marschland austrocknen ließ und eine Jahrhundert alte Kultur zerstörte, getötet wurden; vieler weiterer Iraker aller Glaubens- und Volkszugehörigkeiten, die wegen ihrer tatsächlichen bzw. angeblichen Opposition zur Regierung hingerichtet wurden.

Für die irakische Bevölkerung wäre es von großem Vorteil, Saddam für seine Verbrechen vor Gericht zu stellen. Beweise der Gräueltaten des Regimes würden aufgezeichnet werden und ein Verfahren würde den Überlebenden die Möglichkeit gegeben, einen schmerzhaften Teil ihrer Vergangenheit aufzuarbeiten. Ein Gerichtsverfahren könnte der irakischen Bevölkerung außerdem erlauben, die Unmenschlichkeit von Saddams Regime zu verurteilen und die öffentliche Moral des Landes wieder herzustellen. Dem Wunsch nach Rache zu wiederstehen, könnte eine wichtige Vorraussetzung für Wiederherstellung der Rechtstaatlichkeit darstellen – und könnte so die Wahrscheinlichkeit verringern, dass zukünftige Staatsoberhäupter diese Verbrechen wiederholen würden.

Je geringer die Wahrscheinlichkeit, andere hochrangige Beamte des Regimes vor Gericht zu bringen, desto wichtiger wird es sein, Saddam vor Gericht zu stellen. Saddams Söhne, Udai und Kusai sind nach einem Gefecht mit US-Truppen umgekommen. Der berüchtigte General Ali Hassan al-Madschid, aufgrund des Einsatzes von chemischen Waffen besser bekannt als „Chemie-Ali“, wurde Angaben zufolge während des US-Bombenangriffs auf Basra getötet. Obwohl einige hochrangige Regierungsmitglieder in Gewahrsam genommen worden sind, wird es kaum möglich sein, das Ausmaß der Verbrechen ohne den Hauptverantwortlichen ans Licht zu bringen.

Einflussreiche Mitglieder der Bush-Regierung sähen Saddam jedoch lieber tot als lebendig. Sie befürchten, dass ein Gerichtsverfahren Saddam die Möglichkeit geben könnte, dieses als Propaganda-Bühne zu nutzen – wie von Slobodan Milosevic in Den Haag vorgemacht. Saddam Hussein könnte sich selbst als Märtyrer verkaufen und so die anti-amerikanischen Gefühle der Bevölkerung schüren.

Washington könnte aber auch fürchten, dass ein Gerichtsverfahren peinliche Kapitel US-irakischer Kooperation enthüllen könnte. Dazu gehört Geheimdiensthilfe, die die Reagan-Regierung den irakischen Truppen während der Vergasung von iranischen Truppen in den achtziger Jahren hat zukommen lassen; massive Kredite, die die erste Bush-Regierung kurz nach der „Anfal-Völkermord-Kampagne“ bewilligt hatte; und die Genehmigung des Gebrauchs von Helikoptern durch selbige Bush-Regierung, mit der die schiitischen und kurdischen Aufstände nach dem ersten Golfkrieg von 1991 unterdrückt wurden.

Aber politische Peinlichkeiten dürfen kein Grund sein, der irakischen Bevölkerung die Vorteile eines Gerichtsverfahrens vorzuenthalten. Die Bush-Regierung beteuert derzeit, dass sie das Land im Interesse der Bevölkerung verwalten. Dieses Interesse darf daher nicht für Washingtons Public Relations geopfert werden.

Die Bush-Regierung fürchtet aber auch, dass ein Gerichtsverfahren zeigen könnte, wie absurd ihre Präferenz für ein irakisch geführtes Tribunal, anstatt eines international geführten Tribunals ist. Wie die internationalen Tribunale für Jugoslawien, Ruanda und Sierra Leone deutlich machen, sind Verfahren für Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord komplex und erfordern erfahrene Juristen. Massen an Regierungsdokumenten müssen durchforstet, sensible forensische Beweisstücke aus Massengräbern zusammengetragen, Hunderte von Zeugen angehört und die Erfordernisse eines „due process“ ständig gewahrt werden.

Unwahrscheinlich ist, dass Saddams brutales und willkürliches Rechtssystem derartige Juristen hervorgebracht hat. Unter Saddam stützten sich Strafverfahren meist auf durch Folter erzwungene Geständnisse. Ernsthafte strafrechtliche Untersuchungen, geschweige denn komplexe Strafverfahren gab es schlichtweg nicht. Auch unter Exilirakern, beziehungsweise seit Jahrzehnten unterdrückten Gemeinschaften im Irak, wird es kaum möglich sein, fähige Juristen mit einer gewissen emotionalen Unabhängigkeit zu finden. Das Problem könnte nur verschlimmert werden, wenn Washingtons handerlesener irakischer Regierungsrat, wie derzeit geplant, Richter und Ankläger selbst auswählt - solche Personen würden als Marionetten der Supermacht und nicht als unabhängige Rechtsfinder gesehen werden.

Ein international geführtes Tribunal wäre weit besser. Gerade weil seine Mitglieder von den Vereinten Nationen gewählt würden, wären diese weit glaubwürdiger als Washingtons Surrogate. Und weil aus einem weit erleseneren Pulk an Juristen ausgewählt werden könnte, könnten erfahrene und faire Juristen gewählt werden.

Dennoch zieht die Bush-Regierung ein irakisch geführtes Tribunal vor. Man spekuliert, dass solch ein Tribunal fügsamer wäre, es wahrscheinlich die Todesstrafe anwenden würde und weitere Entwicklung im Bereich des Völkerrechts nicht fördern würde – besonders den Internationalen Strafgerichtshof, den die Bush-Regierung derzeit versucht, mit allen Mitteln zu unterminieren. Jedoch wäre ein irakisch geführtes Tribunal kaum in der Lage, mit der Aufarbeitung von Saddam Husseins schrecklichen Verbrechen fertig zu werden – ein weiterer Grund, warum einige Stimmen in der Bush-Regierung es vorzögen, den entthronten Herrscher einfach zu töten.

Abgesehen von der moralischen und historischen Notwendigkeit, Saddam vor Gericht zu bringen, würde internationales Völkerrecht verbieten, ihn zu töten. Die Bush-Regierung würde das Töten Saddams damit rechtfertigen, dass er ein feindlicher Kombattant – der Oberbefehlshaber einer gegnerischen militärischen Streitmacht – und somit ein legitimes Ziel für einen tödlichen Angriff ist. Zum Zeitpunkt der Kriegsführung im Irak, als Saddam noch sein Militär dirigierte und organisierte, war diese Haltung mit Sicherheit vertretbar. Doch momentan versucht Saddam hauptsächlich sich vor dem US-Militär zu verstecken. Es ist daher fraglich, ob er gegenwärtig die Möglichkeit hat, Truppen zu kommandieren. Die Tatsache, dass Angriffe auf US-Truppen weiterhin anhalten und dass gelegentlich Tonbänder von Saddam Hussein auftauchen, die solche Attacken ermutigen, kann schwerlich als Rechtfertigung herangezogen werden. Viele der Angreifer handeln außerhalb jeglicher militärischer Weisung und häufig ohne Bezug zur irakischen Regierung selbst. Sollte die Bush-Regierung behaupten, dass Saddam wegen seiner anhaltenden Stellung als Kommandant feindlicher Truppen einen Kombattanten darstellt, sollten relevante Beweise hierfür geliefert werden.

Sollte Saddam kein Kombattant sein, so treten Übergangsrechte, die die Okkupation regeln in Kraft. Kriegsrechte, die Kriegsführung regeln, gelten nicht mehr. In diesem Fall hätten die US-Truppen die Pflicht Saddam festzunehmen, nicht ihn zu töten, außer wenn die Anwendung tödlicher Mittel notwendig wäre, eine unmittelbare Gefahr abzuwehren.
Selbst wenn Saddam ein Kombattant wäre, könnte er sich, im Falle einer Umzingelung, ergeben. Obwohl Soldaten in einer Kampfhandlung nicht verpflichtet sind, dem Gegner Gelegenheit zur Aufgabe zu geben, muss ein Angebot sich zu ergeben, respektiert werden.

Da die Debatte über das Schicksal Saddam Husseins in Washington in vollen Zügen geführt wird, sollte die Bush-Regierung die irakischen Interessen und internationales Völkerrecht in Betracht ziehen. Die Sehnsucht des irakischen Volkes ihren ehemaligen Diktator vor Gericht zu bringen, verdient weit größere Betrachtung, als die beschränkten Interessen der Bush-Regierung, eine möglichst tödliche Lösung vorzuziehen. Selbst wenn sich die Bush-Regierung für eine politisch zweckmäßigere Lösung und gegen die faire Justiz entscheidet, würde internationales Völkerrecht das absichtliche Töten Saddam Husseins verbieten.

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