Hol dir einen russischen Pass oder verlasse deine Heimat.
Das ist im Wesentlichen die „Wahl“, die die russischen Besatzer der ukrainischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten der Ukraine lassen.
Letzte Woche unterzeichnete der russische Präsident Wladimir Putin ein neues Dekret. Es verpflichtet ukrainische Staatsbürger, die in bestimmten von Russland besetzten Teilen der Ukraine leben, „ihren rechtlichen Status zu regulieren“.
Ukrainische Staatsbürger in den besetzten Gebieten der Regionen Saporischschja, Cherson, Donezk und Luhansk müssen bis zum 10. September russische Pässe beantragen. Andernfalls werden sie als „Ausländer“ eingestuft, unterliegen verpflichtenden medizinischen Untersuchungen und einer Reihe von Arbeitsbeschränkungen und dürfen sich nur maximal 90 Tage lang im Land aufhalten.
Aufhalten. In ihrem eigenen Land.
Um es klar zu sagen: Diese Gebiete sind Teil der Ukraine. In jedem internationalen Konflikt, wie der Invasion der Ukraine durch Russland, dürfen Besatzungsmächte nicht einfach tun, was sie wollen. Es gibt Regeln. Zum Beispiel dürfen sie keine lokalen Gesetze ändern oder ihre eigene – d. h. russische – Gesetzgebung durchsetzen.
Was Russland hier tut, ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht, insbesondere gegen das Besatzungsrecht. Es reiht sich in die lange Liste von Verstößen ein, einschließlich Kriegsverbrechen, die bereits von russischen Streitkräften begangen wurden.
Es lohnt sich, an einige dieser anderen Gräueltaten zu erinnern. Russische Streitkräfte haben willkürlich zivile Wohnhäuser bombardiert. Sie haben Krankenhäuser angegriffen. Sie haben gezielt Zivilist*innen angegriffen, die zu fliehen versuchten.
Russland hat die Energieinfrastruktur angegriffen und dabei Zivilist*innen terrorisiert, anstatt militärische Gewinne zu erzielen. In den besetzten Gebieten haben russische Streitkräfte auch Massenhinrichtungen, erzwungenes Verschwindenlassen und Folter begangen, was von den Vereinten Nationen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft wurde. Sie haben massenhaft ukrainische Kinder deportiert. Ein weiteres Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Russland hat Kunstwerke aus Museen geplündert und die Ukraine ihres kulturellen Erbes beraubt. In den besetzten Gebieten wurde der Gebrauch der russischen Sprache und des russischen staatlichen Lehrplans in Schulen erzwungen, mit brutalen Repressalien gegen Lehrkräfte, Eltern und sogar Schüler*innen.
Gerade der jüngste Vorstoß, ukrainische Staatsbürger zum Erwerb russischer Pässe zu zwingen, weckt Erinnerungen an derartige Verbrechen. Dies ist Teil der Bemühungen Russlands, die Identität eines Volkes und seiner Kultur auszulöschen.
Das ist natürlich nichts Neues. Die russischen Behörden haben den Bewohner*innen der besetzten Gebiete in der Ostukraine und auf der besetzten Krim bereits Millionen von Pässen aufgezwungen. Für viele Ukrainer*innen in diesen Gebieten war dieses unerwünschte Dokument schlicht eine Frage des Überlebens.
Was als Nächstes kommt, könnte noch schlimmer sein. Ukrainer*innen, die einen russischen Pass erhalten, können gezwungen werden, in der russischen Armee gegen ihre eigenen Landsleute zu kämpfen. Und Russland droht eindeutig damit, ukrainische Staatsbürger auszuweisen, die den Pass nicht annehmen wollen. Beides sind Kriegsverbrechen und Letzteres könnte auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.
All dies steht im Widerspruch zu den strengen rechtlichen Verpflichtungen, die Russland als Besatzungsmacht nach dem humanitären Völkerrecht hat.