(Berlin, 26. März 2025) – Das georgische Parlament sollte einen Gesetzentwurf ablehnen, der strafrechtliche Sanktionen für zivilgesellschaftliche Aktivist*innen und Nichtregierungsorganisationen vorsieht, die sich weigern, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen, so Human Rights Watch heute. Der Gesetzesentwurf verstößt gegen Menschenrechtsgrundsätze und würde der georgischen Zivilgesellschaft schweren Schaden zufügen. Außerdem würde das Gesetz die Menschenrechtskrise, die die Behörden in den letzten Monaten ausgelöst haben, weiter verschärfen.
„Falls dieses Gesetz verabschiedet und angewandt wird, bliebe unabhängigen Aktivisten und Gruppen nur noch die Wahl zwischen verschiedenen Übeln. Entweder sie akzeptieren, grundlos als ausländische Agenten eingestuft und stigmatisiert zu werden, sie landen im Gefängnis, sie gehen ins Exil oder sie geben ihre Arbeit ganz auf“, sagte Hugh Williamson, Direktor der Abteilung Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Das könnte das Ende der unabhängigen georgischen Zivilgesellschaft bedeuten.“
Die zweite Lesung des Gesetzesentwurfs erfolgte am 18. März 2025, die endgültige Abstimmung ist für die Woche ab dem 31. März geplant. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, wird es wahrscheinlich das im letzten Jahr verabschiedete Gesetz über „ausländische Einflussnahme“ ersetzen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass sich einzelne Personen oder Organisationen als ausländische Agent*innen registrieren lassen müssen, wenn sie unter dem vage definierten „Einfluss“ eines ausländischen Auftraggebers tätig sind oder von diesem finanzielle Mittel erhalten und im Interesse dieses Auftraggebers „politisch aktiv“ sind. Außerdem müssen sie bei den Behörden jährlich detaillierte Finanzübersichten sowie zwei Ausgaben jeder Veröffentlichung einreichen. Registrierte Einzelpersonen und Gruppen müssen außerdem all ihre Publikationen mit dem Label „ausländischer Agent“ kennzeichnen.
Registrieren sich die Personen oder Organisationen nicht als ausländische Agent*innen oder stellen sie die erforderlichen Informationen nicht bereit, müssen sie mit einer Geldstrafe von bis zu 10.000 GEL (ca. 3.600 USD) und/oder einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen. Die Nichtabgabe von Finanzberichten oder ein Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht als „ausländischer Agent“ würde eine Geldstrafe von 5.000 GEL (ca. 1.800 USD) oder eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten nach sich ziehen. Diese Strafen sind deutlich schärfer als die nach dem derzeitigen Gesetz über ausländische Einflussnahme vorgesehenen Strafen und Sanktionen.
Die Regierungspartei Georgischer Traum behauptet, der Gesetzentwurf orientiere sich vollständig am US-amerikanischen Foreign Agents Registration Act (FARA). In den Verordnungen des US-Justizministeriums wird jedoch klargestellt, dass das FARA darauf abzielt, den direkten Einfluss ausländischer Mächte auf die Innenpolitik zu überwachen, und zwar konkret in Fällen, in denen vom Ausland finanzierte Personen nicht autonom handeln, sondern vollständig auf Anweisung und in Abstimmung mit ihren Auftraggebern tätig sind.
Das FARA unterstellt einer Organisation, die finanzielle Mittel aus dem Ausland erhält, auch nicht automatisch, dass sie unter der Leitung und Kontrolle einer ausländischen Organisation steht. Die sehr breit gefasste Definition des „Einflusses“ eines ausländischen Auftraggebers im georgischen Gesetzentwurf hingegen würde eine missbräuchliche Anwendung gegen unabhängige Gruppen ermöglichen, so Human Rights Watch.
Die Führung der Partei Georgischer Traum hat mehrfach öffentlich angedeutet, dass die Behörden das Gesetz gegen die Zivilgesellschaft einsetzen wollen. Bestätigt sieht sich die Parteiführung auch dadurch, dass die Trump-Regierung die US-Auslandshilfen erst scharf kritisiert und dann eingefroren hat, so Human Rights Watch. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, dass „die [missbräuchliche] Verwendung von Auslandshilfen in vielen Fällen dem Zweck der Destabilisierung […] in verschiedenen Ländern der Welt dient, einschließlich Georgien“.
In der Begründung heißt es weiter, dass die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Strafen deshalb härter ausfallen würden als im Gesetz über ausländische Einflussnahme aus dem Jahr 2024, weil Nichtregierungsorganisationen die nach diesem Gesetz erforderliche Registrierung verweigert hätten. Nach der Verabschiedung des Gesetzes von 2024 gab es monatelang Massendemonstrationen in Georgien und die überwiegende Mehrheit der Organisationen weigerte sich, den Bestimmungen des Gesetzes Folge zu leisten.
Die Bestimmungen des neuen Gesetzes verstoßen gegen Georgiens Verpflichtungen aus mehreren Menschenrechtsverträgen zur Wahrung des Rechts auf Vereinigungs- und Meinungsfreiheit, darunter die Europäische Menschenrechtskonvention und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte.
Maßgebliche Menschenrechtsgremien haben festgestellt, dass das Gesetz über ausländische Einflussnahme von 2024 gegen Menschenrechtsnormen verstößt. Die Venedig-Kommission, das verfassungsrechtliche Beratungsorgan des Europarats, kam zu dem Schluss, dass die durch das Gesetz auferlegten Rechtseinschränkungen nicht den „Anforderungen an Rechtmäßigkeit, Legitimität und Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft“ entsprechen, und empfahl den Behörden „nachdrücklich“, das Gesetz aufzuheben. Expert*innen der Vereinten Nationen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) forderten die Behörden ebenfalls auf, das Gesetz zurückzunehmen.
Das geplante Gesetz hebt die unerbittlichen Angriffe der georgischen Regierung auf die bürgerlichen Freiheiten auf eine neue Stufe und ist ein weiterer Schritt in Richtung Autoritarismus – eine Entwicklung, die seit der Entscheidung vom Dezember 2024, die EU-Beitrittsverhandlungen und die dafür erforderlichen demokratischen Reformen aufzugeben, weiter an Fahrt aufgenommen hat, so Human Rights Watch. Die Entscheidung löste landesweit Massenproteste aus, die in Tiflis bis heute andauern. Außerdem gibt es seit Langem Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der georgischen Justiz. Es gibt auch Hinweise darauf, dass die für die Umsetzung des Gesetzes zuständige Behörde auf Weisung der Regierung handelt. Das verstärkt die Befürchtung, dass das Gesetz missbräuchlich angewandt werden wird.
Die Regierung reagierte auf die Proteste im Jahr 2024 mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen. Die Polizei schlug und verhaftete zahlreiche friedliche Demonstrierende. Außerdem verhängte sie gegen tausende Personen Geldstrafen, in vielen Fällen sogar mehrfach, aufgrund der Teilnahme an den Protesten und der Blockade von Straßen während der Kundgebungen.
Am 17. März fror die Staatsanwaltschaft die Bankkonten von fünf Menschenrechts- und Bürgerrechtsorganisationen ein, die verhaftete Demonstrant*innen unterstützt hatten, unter anderem durch die Begleichung von Geldstrafen, die mindestens dem Doppelten des durchschnittlichen Monatseinkommens in Georgien entsprachen. Die Behörden behaupten nun, diese Gruppen hätten gewalttätige Demonstrant*innen finanziell unterstützt.
Die Partei Georgischer Traum hat eine Reihe weiterer Gesetze eingeführt, die die Menschenrechte einschränken. Zwei am 24. Februar eingebrachte Änderungsanträge zum Rundfunkgesetz würden im Falle ihrer Verabschiedung jegliche ausländische Finanzierung und Sachhilfe für Rundfunkmedien verbieten und die von der Regierungspartei kontrollierte Kommunikationskommission mit der Regulierung von Inhalten beauftragen.
Anfang Februar verabschiedete das Parlament mehrere restriktive Änderungen des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sowie des Strafgesetzbuchs, die offenbar darauf abzielen, friedliche Proteste zu unterdrücken. Dazu gehören eine Vervierfachung der Dauer der Verwaltungshaft auf 60 Tage, eine Maßnahme, die vor allem auf Demonstrierende abzielt, sowie hohe Geld- und Gefängnisstrafen für die „verbale Beleidigung“ von Amtsträger*innen. Durch andere Änderungen sind der Widerstand gegen Strafverfolgungsbehörden und öffentliche Aufrufe zum zivilen Ungehorsam nun Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden.
Im Dezember 2024 verabschiedete das Parlament Änderungen, die es der Polizei erlauben, eine Person für 48 Stunden „präventiv“ in Haft zu nehmen, wenn sie zuvor eine Ordnungswidrigkeit begangen hat und die Polizei annimmt, dass sie eine weitere begehen könnte.
„Die Regierung stürzt Georgien immer tiefer in eine Menschenrechtskrise“, sagte Williamson. „Die Behörden könnten eine Verschlimmerung der Lage verhindern und mit der Aufhebung des Agentengesetzes zeigen, dass sie die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit noch nicht aufgegeben haben.“