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Deutsches Gericht fordert Schutz von Menschen mit Behinderungen bei Triage-Entscheidungen

Gesetzgeber muss Diskriminierung bei lebensrettender Behandlung verhindern

Plenarsitzung im Bundestag in Berlin, 12. Januar 2022. © 2022 ddp images/Sipa via AP Images

In einem Beschluss vom Dezember 2021 fordert das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber dazu auf, Menschen mit Behinderungen vor Diskriminierung bei medizinischer Triage zu schützen. Neun Menschen mit Behinderungen hatten im Juni 2020 eine Verfassungsbeschwerde eingereicht mit der Begründung, dass Menschen mit Behinderungen aufgrund fehlender staatlicher Maßnahmen und gesetzlichen Regelungen dem Risiko der Diskriminierung ausgesetzt seien. Die Beschwerde bezog sich speziell auf intensivmedizinische Behandlung während der Covid-19-Pandemie.

Bei der Triage geht es um die Beurteilung, wer in Situationen von Ressourcenknappheit vorrangig medizinisch behandelt werden sollte. Während der Pandemie drohte bereits vielen Krankenhäusern die Überbelegung.

Das Gericht befand, der Gesetzgeber habe das Grundrecht auf Nicht-Diskriminierung verletzt, „weil er es unterlassen hat, Vorkehrungen zu treffen, damit niemand wegen einer Behinderung bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehender intensivmedizinischer Ressourcen benachteiligt wird.“ Das Gericht wies den Gesetzgeber an, strengere Maßnahmen auf der Grundlage des verfassungsmäßigen Rechts auf Nichtdiskriminierung zu ergreifen, gewährt aber einen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum. Schulungen für medizinisches Personal und die Einführung strengerer Verfahren zur Feststellung von Behinderungen sollten in Betracht gezogen werden.

Menschen mit Behinderungen und Behindertenrechtsorganisationen in Deutschland begrüßten die Entscheidung des Gerichts.

Seit Beginn der Pandemie haben mehrere dieser Organisationen bereits lokale Triage-Richtlinien kritisiert und die Befürchtung geäußert, dass aufgrund von Stigmatisierung und negativen Einstellungen zur Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen andere Menschen bei intensivmedizinischer Behandlung bevorzugt werden könnten. Gutachten für das Gericht bestätigten, dass bei intensivmedizinischer Therapie komplexe Entscheidungen getroffen werden müssen, die zu Diskriminierung führen können.

Das Urteil ist ein wichtiger Schritt zur Gewährleistung der Nichtdiskriminierung von Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu lebensrettender Behandlung. In Zukunft sollten Triage-Richtlinien in Zusammenarbeit mit Organisationen von Menschen mit Behinderungen entwickelt werden, in Übereinstimmung mit den deutschen Menschenrechtsverpflichtungen. Die Richtlinien sollten Empfehlungen für angemessene Vorkehrungen während intensivmedizinischer Behandlung enthalten.

Die deutsche Regierung soll weiterhin präventive Covid-19-Maßnahmen umsetzen mit dem Ziel, die Notwendigkeit einer Triage zu verringern. Gleichzeitig ist es von entscheidender Bedeutung, dass im Falle einer intensivmedizischer Behandlung Menschen mit Behinderungen das Recht auf Gesundheit, einschließlich lebensrettender Behandlung, gleichberechtigt mit anderen Menschen genießen.

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