Die gute Nachricht ist, dass die Bundesregierung den Schutz der Rechtsstaatlichkeit während der EU-Ratspräsidentschaft zu einer ihrer Prioritäten gemacht hat. In ihrer Rede vor dem Bundestag am 18. Juni betonte Angela Merkel, autoritäre Regierungschefs würden die Covid-19-Pandemie instrumentalisieren: „Sie wollen die Würde des Menschen antasten, Menschen- und Bürgerrechte infrage stellen…. Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen.“
Viktor Orbán, der ungarische Ministerpräsident, ist einer dieser Regierungschefs. Während der vergangenen zehn Jahre hat er keine Mühen gescheut, um zivilgesellschaftliche Aktivitäten zu kriminalisieren, die Justiz zu schwächen und die Kontrolle über die Medien auszuweiten. Europa reagiert nur verhalten. EU-Chefs fassten Orbán mit Samthandschuhen an, in der Hoffnung, er würde seinen Kurs irgendwann selbst korrigieren. Auch nachdem das Europäische Parlament im September 2018 das Verfahren nach Artikel 7 eröffnet hatte, das zu Sanktionen gegen Mitglieder führen kann, welche die Werte der EU nicht respektieren, schwächelte der EU-Rat, statt den Druck zu erhöhen.
Es ist nun an der Zeit, zuzugeben, dass diese Strategie nicht aufgegangen ist. Die Bundesregierung sollte Folgendes tun:
Erstens sollte sie ihr ganzes politisches Gewicht beim Verfahren nach Artikel 7 gegen Ungarn einbringen. Oft heißt es, das Verfahren sei schwach. Es ist aber nur deshalb schwach, weil Deutschland und andere nicht entschlossen genug waren, es optimal zu nutzen. Deutschland sollte die Partner mobilisieren, um den Prozess voranzubringen. Ein nächster Schritt, um festzustellen, ob eine Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der EU-Grundwerte besteht, würde eine Vier-Fünftel-Mehrheit erfordern. Eine solche Mehrheit könnte durchaus erreicht werden.
Zweitens muss Orbán zu verstehen gegeben werden, dass ihm für den Abbau der Demokratie Konsequenzen drohen. Man muss der Kanzlerin zugutehalten, dass sie bereits bei mehreren Anlässen die Lage des Rechtsstaats in Ungarn beklagt hat. Die Bundesregierung sollte sich jedoch grundsätzlich weigern, den roten Teppich für Orbán auszurollen. Bei unumgänglichen Treffen aber sollte die Rechtsstaatlichkeit unbedingt auf der Tagesordnung stehen.
Drittens sollte Deutschland zu dem Mittel greifen, das Orbán am stärksten treffen würde: die Einschränkung bestimmter Gelder angesichts der zunehmenden Besorgnis darüber, wofür Budapest EU-Mittel verwendet. So hat Ungarn bedingungslos doppelt so viel Geld wie Italien erhalten, um auf Covid-19 zu reagieren, obwohl Italien viel stärker von der Pandemie betroffen war.
Während der Ratspräsidentschaft sollte Berlin einen Mechanismus zur Prüfung der EU-Fördergelder schaffen, um diese zu reduzieren, sollten sie aufgrund eines Demokratiedefizits zweckentfremdet werden können. Die Zahlung von Fördergeldern sollte auch dann ausgesetzt werden, wenn Staaten die Arbeit von Zivilgesellschaft und unabhängigen Medien behindern, die eine wesentliche Rolle bei der Überwachung der Verwendung dieser Mittel spielen. Eine solche Kürzung der Mittel sollte sich aber nicht negativ auf die allgemeine Bevölkerung auswirken.
Schließlich sollten CDU/CSU ihre Partnerschaft mit Orbáns Fidesz in der Europäischen Volkspartei (EVP) aufkündigen. Die Präsenz von Fidesz in der EVP hat dazu beigetragen, eher Orbán und seine Machtexzesse zu schützen, als die Werte, welche die EVP verteidigen soll. Doch die CDU- und CSU-Chefs haben sich bisher nicht dem Aufruf von 13 weiteren EVP-Mitgliedern angeschlossen, Fidesz vollständig zu verbannen.
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ist ein wichtiger Moment für die Zukunft Europas. Ernsthafte Maßnahmen zur Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit überall in der Union sind dabei von zentraler Bedeutung.