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Deutschland hat gerade den einjährigen Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernommen und das – mit den Worten von Außenminister Frank-Walter Steinmeier – während „der vielleicht ernstesten Bedrohung für Frieden und Sicherheit in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges“.

Tatsächlich steht Europa vor vielen Herausforderungen. Der Ukraine-Konflikt, der Hauptgrund, weshalb die Bundesregierung den Vorsitz übernommen hat, ist noch immer nicht gelöst; der Waffenstillstand im Osten des Landes fragil. Darüber hinaus muss Europa nach den Anschlägen in Paris auf die terroristische Bedrohung reagieren und die Flüchlingskrise bewältigen.

Währenddessen schwelt in Russland eine seit dem Ende des Kalten Krieges beispiellose Menschenrechtskrise. Sie drückt sich auch darin aus, dass Moskau stolz seine Verpflichtungen aus den OSZE-Abkommen missachtet. Die Bundesregierung kann es sich nicht leisten, die allgemeine Menschenrechtslage in Russland und in der Ukraine aus den Augen zu verlieren, wenn sie sich dafür einsetzt, den Konflikt zu beenden.

Als Vorsitzender dieser wichtigen, wenn auch angeschlagenen Organisation sollte Deutschland die Grundprinzipien der OSZE, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, stärken. Langfristig kann die Bundesregierung so die menschliche Sicherheit fördern. Das ist besonders wichtig in instabilen Regionen wie Zentralasien, wo die OSZE die einzige regionale Organisation ist, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzt. In der jüngeren Vergangenheit haben viele Regierungen versucht, ihre eigene nationale Sicherheit zu fördern, ohne gleichzeitig die Menschenrechte zu stärken – und dies hat zu einer Abwärtsspirale aus Unsicherheit und Rechtsverstößen geführt.

Die OSZE hat ihre Wurzeln im Kalten Krieg. Spannungen zwischen Ost und West sollten abgemildert werden, was im Jahr 1975 zur Schlussakte von Helsinki führte. Wie Steinmeier richtig feststellte, haben Europa und insbesondere das wiedervereinigte Deutschland diesen Bemühungen viel zu verdanken. Nicht zuletzt enthält die Schlussakte eine Reihe grundlegender Menschenrechtsprinzipien, auf die sich die Sowjetunion und die Länder des Ost-Blocks mit den westeuropäischen Staaten und den USA verständigen konnten. Diese Grundsätze sind seitdem zentrale, internationale Standards, an denen die Menschenrechtslage in vielen Ländern gemessen wird.

Diese Menschenrechtsstandards gehören zu den wichtigsten Elementen, die die OSZE heute ausmachen, und werden als ihre „humanitäre Dimension“ bezeichnet. Die OSZE hat überall in Europa dazu beigetragen, die Menschenrechtslage zu verbessern. Sie verfügt über das zuverlässigste Wahlbeobachtungsprogramm der Region und hat wichtige Maßstäbe definiert, an denen sich ihre Mitgliedstaaten messen lassen müssen, in so unterschiedlichen Bereichen wie dem Schutz von Menschenrechtsverteidigern und der Medienfreiheit oder dem Umgang mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Derzeit sind Hunderte ihrer Mitarbeiter in der Ostukraine und beobachten den Konflikt vor Ort.

Allerdings hat der Konflikt über die Krim und die Ostukraine die Spannungen zwischen den westlichen Staaten auf der einen und Russland und seinen autoritären Verbündeten auf der anderen Seite deutlich verschärft. De facto blockiert das die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der OSZE und unterminiert die Arbeit mehrerer ihrer Spezialabteilungen für Menschenrechte, Medienfreiheit und Minderheiten. Deutschland sollte diese Einrichtungen schützen und stärken.

Die deutsche Agenda 2016 für die OSZE will Dialog erneuern, Vertrauen neu aufbauen und Sicherheit wiederherstellen. Steinmeier zufolge will Berlin den Dialog wieder aufnehmen, doch gleichzeitig nicht davor zurückschrecken, Verstöße gegen die Prinzipien der OSZE und gegen das Völkerrecht beim Namen zu nennen.

Gernot Erler, der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für den deutschen OSZE-Vorsitz, fügte hinzu, dass „die Beachtung der Verpflichtungen in der menschlichen Dimension […] von größter Bedeutung für nachhaltige Sicherheit und Stabilität im OSZE-Raum“ ist. „Besonders wichtig“ sei es, auf Menschenrechtsthemen „mit einem direkten Bezug zur gegenwärtigen Krise der europäischen Sicherheitsordnung“ einzugehen, darunter Medienfreiheit, der Einsatz für Toleranz und gegen Diskriminierung sowie die Rechte von Minderheiten, so Erler.

Das ist ein guter Ansatz. Ob er sich auch umsetzen lässt, wird sich zeigen. Berlin sollte die Werte der OSZE verteidigen und, wie Steinmeier es ausdrückte, nicht davor „zurückschrecken“, Russland öffentlich wie hinter geschlossenen Türen dazu zu drängen, die Menschenrechte zu achten.

Zudem sollte der deutsche Vorsitz gewährleisten, dass die OSZE-Beobachtungsmission in der Ostukraine über alle nötigen Ressourcen verfügt, um die Menschenrechtslage genau beobachten zu können. Und Deutschland sollte die ukrainische Regierung dazu anhalten, Menschenrechtsverletzungen zu beenden und nicht zuzulassen, dass Nationalismus die Medienfreiheit und die politischen Freiheitsrechte unterminiert.

Weiterhin sollte der deutsche Vorsitz über die aktuellen Krisen hinausdenken, wenn er die humanitäre Dimension und Sicherheit miteinander verknüpft. Dann kann die OSZE wieder relevanter werden, zumal es wichtig ist, dass sie in Zentralasien an Bedeutung gewinnt. Denn mehrere zentralasiatische Regierungen haben die Menschenrechtsarbeit der OSZE in ihrem Land massiv eingeschränkt. Überall in der Region sind grundlegende Rechte gefährdet. Deutschland sollte sich verstärkt dafür einsetzen, dass die OSZE Regierungen für Verstöße zur Verantwortung zieht, dass die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit überall respektiert werden, dass Folter gestoppt wird und Menschenrechtsaktivisten ungestört ihrer Arbeit nachgehen können.

Auch in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich in Aserbaidschan, sind die Menschenrechte derzeit unter Beschuss. Baku hat alle OSZE-Aktivitäten im Land beendet und vor kurzem de facto verhindert, dass die OSZE eine Wahl unabhängig beobachten konnte. Die OSZE muss Wege finden, um sich wirkungsvoll gegen solches Verhalten zu wehren.

Dass der deutsche Vorsitz einen Schwerpunkt auf Intoleranz, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit setzt, ist wichtig. Erler hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass diese Themen immer bedeutender werden, wenn man „die langfristigen Herausforderungen der aktuellen Flucht- und Migrationsentwicklungen“ berücksichtigt. Deutschland sollte die OSZE dabei unterstützen, auf diese Probleme nicht nur mit allgemeinen Empfehlungen zu reagieren. Die Organisation sollte alle Mitgliedstaaten in Westeuropa, Nordamerika und andernorts identifizieren, in denen Menschenrechte verletzt werden, und spezifische Gegenmaßnahmen vorschlagen, auch im Bereich der Strafjustiz.

Mit dem Ansatz, Sicherheit durch die Achtung grundlegender Menschenrechte zu schaffen, kann es der Bundesregierung gelingen, die OSZE durch die gegenwärtigen Turbulenzen zu führen. Jetzt muss sie ihren Worten nur noch Taten folgen lassen.

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