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(Bangui) – Die muslimische Minderheit in der Zentralafrikanischen Republik ist zum Ziel einer gnadenlosen Welle koordinierter Gewalt geworden, die ganze Gemeinschaften zwingt, das Land zu verlassen, so Human Rights Watch. Die Regierung der Zentralafrikanischen Republik sowie französische und afrikanische Friedenstruppen sollen umgehend alles tun, damit die verbliebene muslimische Bevölkerung vor Racheakten der größtenteils christlichen Milizen und mit ihnen verbündeten Bewohnern geschützt werden.

Die Anti-Balaka („anti-Macheten“) Milizen sind zunehmend gut organisiert und ihr Sprachgebrauch lässt darauf schließen, dass sie die Eliminierung muslimischer Bewohner in der Zentralafrikanischen Republik anstreben. Die Anti-Balaka geben der muslimischen Bevölkerung die Schuld an dem Aufstieg der größtenteils muslimischen Rebellengruppe Seleka, die im März 2013 die Macht übernahm und in den letzten elf Monaten grausame Verbrechen gegen die größtenteils christliche Bevölkerung des Landes begangen hat. Die Seleka, die ihre Aktionen in der Öffentlichkeit nicht religiös begründen, begehen weiter Grausamkeiten.

„Sollten die gezielte Gewalttaten in diesem Maße weitergehen, wird es in vielen Bereichen der Zentralafrikanischen Republik keine Muslime mehr geben“, so Peter Bouckaert, Leiter der Krisenabteilung von Human Rights Watch. „Menschen, deren Familien Jahrzehnte lang friedlich in dem Land gelebt haben, werden gezwungen zu gehen oder fliehen vor der realen Gefahr, Opfer von Gewalttaten zu werden.“

 

Im Januar und in der ersten Februarwoche flohen Tausende muslimische Familien aus Städten mit einem beträchtlichen muslimischen Bevölkerungsanteil – aus Bossangoa, Bozoum, Bouca, Yaloké, Mbaiki, Bossembélé und weiteren Städten im Nord- und Südwesten – vor den grausamen Angriffen der Anti-Balaka. In Yaloké, einem bedeutenden Zentrum für den Goldhandel, lebten etwa 30.000 Muslime und es gab acht Moscheen vor dem Konflikt.

Als Human Rights Watch am 6. Februar die Stadt besuchte, lebten dort weniger als 500 Muslime und es gab noch eine Moschee. Die muslimischen Bewohner hatten sich an der Moschee versammelt unter dem Schutz der französischen Friedenstruppen, während christliche Milizen und Bewohner ihre Häuser und Moscheen plünderten und zerstörten.

In Bangui haben Anti-Balaka-Kämpfer, bewaffnet mit AK-47-Gewehren, Granatwerfern und Granaten, mehrere muslimische Gebiete angegriffen und so die Bevölkerung zur Flucht gezwungen. PK12, PK13, Miskine und Kilo 5 – alles frühere Hochburgen der Muslime in Bangui – sind inzwischen Geisterstädte ohne muslimische Bewohner. Einige Anti-Balaka-Kämpfer haben Human Rights Watch gesagt, sie würden alle Muslime töten, die in diesen Bezirken bleiben.

In dem verlassenen muslimischen Viertel PK13 haben Mitarbeiter von Human Rights Watch beobachtet, wie Christen die geplünderten und verlassenen Häuser in Anspruch nahmen und diese als Eigentum der Anti-Balaka-Führer markierten. Am Eingang des Bezirks steht auf einem Schild: „Vorsicht: Anti-Balaka-Zone“.

Viele Muslime sind in den Tschad, nach Kamerun und in die Demokratische Republik Kongo geflohen. Etwa 50.000 Muslime – viele von ihnen Bürger der Zentralafrikanischen Republik – wurden von Banguis Militärflughafen auf Evakuierungsflügen ausgeflogen, die vom Tschad, von Kamerun, Niger und dem Senegal organisiert wurden. Weitere Zehntausende sind in Straßenkonvois geflohen, die oftmals unterwegs von Anti-Balaka-Kämpfern angegriffen wurden.

Eliteeinheiten des tschadischen Militärs, manchmal mit Unterstützung der tschadischen Truppen, der der Friedensmission der Afrikanischen Union (MISCA) unterstellt sind, haben außerdem viele Tausende Muslime aus Städten evakuiert, die unter die Kontrolle der Anti-Balaka gefallen waren. Die Anti-Balaka-Milizen haben bisher noch nicht die muslimische Bevölkerung im Nordosten des Landes angegriffen, wo Muslime die Mehrheit bilden.

Die Anti-Balaka haben seit September 2013 koordinierte Angriffe auf muslimische Wohngebiete ausgeführt. Diese Angriffe beinhalten grausame und brutale Überfälle auf Muslime, auch auf Frauen und Kinder, die von den Kämpfen eingeschlossen sind oder versuchen zu fliehen. Anti-Balaka-Kämpfer haben muslimischen Zivilisten die Kehle durchgeschnitten, sie öffentlich gelyncht, verstümmelt und ihre Körper angezündet. Mitarbeiter von Human Rights Watch wurden Zeugen einiger dieser Grausamkeiten.

Bewaffnete Männer in muslimischen Wohngebieten, auch einige verbliebene Seleka-Kämpfer, haben versucht zurückzuschlagen. Doch es gelang ihnen nicht, die Angriffe abzuwenden, die auch französische und afrikanische Friedenstruppen überwältigten.

„Ob die Anti-Balaka-Führer eine bedachte Strategie ethnischer Säuberung verfolgen oder die muslimische Bevölkerung grausam kollektiv bestrafen, das Endergebnis ist klar: muslimische Gemeinschaften, die seit langem existieren, verschwinden“, sagte Bouckaert.

„Ethnische Säuberung“, obgleich kein formal juristischer Begriff, ist definiert als zielgerichtete Strategie einer ethnischen oder religiösen Gruppe, um die Zivilbevölkerung einer anderen ethnischen oder religiösen Gruppe mit brutalen und terrorisierenden Maßnahmen aus einem bestimmten geographischen Gebiet zu entfernen.

Die Anti-Balaka-Milizen entstanden aus dörflichen Selbstverteidigungsgruppen, die sich organisierten, um Banditentum zu bekämpfen, aber wiederkehrten, um die Vergehen der Seleka zu bekämpfen. Anti-Balaka-Mitglieder stammen beinahe ausschließlich aus der christlichen und animistischen Bevölkerung. Sie schwören Geheimhaltung und tragen „gris-gris“ Amulette, von denen sie glauben, dass diese sie immun gegen Gewehrkugeln machen und sie vor körperlichem Schaden schützen.

Nachdem die Seleka Präsident François Bozizé abgesetzt hatten, haben sich Mitglieder der Zentralafrikanischen Armee (FACA) und die Elitegarde des Präsidenten, die weiterhin loyal gegenüber Bozizé waren, den Anti-Balaka in ihrem Kampf gegen die Seleka angeschlossen und die Anti-Balaka-Milizen mit militärischer Expertise und Waffen versorgt. Während die meisten Anti-Balaka-Kämpfer selbstgemachte Flinten, Macheten und Messer tragen, treten einige in Militäruniform mit AK-47 Gewehren und anderen automatischen Waffen auf. Human Rights Watch beobachtete, dass vermehrt Anti-Balaka-Kämpfer muslimische Wohngebiete mit automatischen Waffen, Granatwerfen und Granaten angreifen.

Am 7. Februar kündigte die Anklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) an, dass ihr Büro ausreichend schwerwiegende Anschuldigungen über Verbrechen unter der Zuständigkeit des IStGH erhalten hat, um eine Vorprüfung durchzuführen. Ihr Büro wird eine tiefergehende Untersuchung durchführen, um zu bestimmen, ob eine formelle Untersuchung initiiert wird; dies wäre der nächste Schritt um ein neues Strafverfahren zu eröffnen. Ihr Büro arbeitet bereits an einem Verfahren wegen Verbrechen in der Zentralafrikanischen Republik aus den Jahren 2002/2003, die damals von Jean-Pierre Bemba Gombo, einem kongolesischen Bürger und früheren Vizepräsidenten der Demokratischen Republik Kongo begangen worden waren. Er wurde 2002 von der Zentralafrikanischen Republik gebeten, gegen die Machtübernahme von Bozizé vorzugehen.

Um die Zivilisten, besonders die gefährdete muslimische Bevölkerung und deren Eigentum, zu schützen, sollen die Afrikanische Union, die Europäische Union und die Vereinten Nationen umgehend zusätzliche Friedenstruppen in das Land entsenden. Sobald wie möglich sollen sie ihre Präsenz verstärken, um gefährdete muslimische Gemeinschaften vor Terrorisierung durch die Anti-Balaka zu schützen. Ihre Truppen sollen gegen die Anti-Balaka-Kämpfer und Führer, die für Angriffe gegen muslimische Zivilisten verantwortlich sind, vorgehen und klarstellen, dass Vergehen gegen Zivilisten nicht toleriert werden.

Die neue Präsidentin der Zentralafrikanischen Republik, Catherine Samba-Panza, soll ihre Wählerschaft öffentlich und nachdrücklich daran erinnern, dass die muslimische Minderheit ein Teil des Staatsgefüges ist und dass jeder, der Rache gegen muslimische Zivilisten für Verbrechen der Seleka begeht, dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Öffentliche Lynchmorde wie nach der Zeremonie zur Wiedereinsetzung der nationalen Armee sollen sofort und öffentlich untersucht werden.

„Die internationale Gemeinschaft soll sofort und wirksam agieren, um diese koordinierten und gezielten Grausamkeiten zu stoppen“, sagte Bouckaert. „Humanitäre Hilfe ist dringend erforderlich und die Regierung muss dabei unterstützt werden, Programme zur Aussöhnung, Toleranz und Gerechtigkeit einzuleiten, so dass die Zentralafrikaner ihr geschundenes Leben wieder aufbauen können.“

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