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An den Grenzen des Rechts

Deutsche Polizisten sollten nicht länger dabei helfen, Asylbewerber in griechische Gefängnisse zu schaffen

Von Simone Troller

Veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung am 8. Februar 2011

Die Bundesrepublik Deutschland hat kürzlich angekündigt, die Abschiebung von Asylbewerbern nach Griechenland für ein Jahr auszusetzen. Dem Land soll dadurch Zeit gegeben werden, die Aufnahmebedingungen für diese Menschen zu verbessern. Kurz darauf entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass Belgien mit der Abschiebung eines afghanischen Asylbewerbers nach Griechenland grundlegende Rechte verletzt hatte, da er dort unter unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen inhaftiert wurde.

Trotz dieser Entscheidungen arbeiten Polizeieinheiten aus mehreren EU-Ländern, unter anderem auch aus Deutschland, an der griechisch-türkischen Grenze. Und sie überstellen weiterhin Migranten in griechische Haftanstalten, in denen genau solche Bedingungen herrschen.

Der Fall M.S.S. gegen Belgien und Griechenland betrifft einen Afghanen, der als Übersetzer für das amerikanische Militär gearbeitet hatte und aus Angst vor Verfolgung aus seinem Heimatland geflohen ist. Er war über Griechenland in die Europäische Union gelangt und hatte in Belgien politisches Asyl beantragt. Der Europäische Gerichtshof entschied, dass Belgien M.S.S. nicht nach Griechenland hätte zurückschicken dürfen, da die belgischen Verantwortlichen um die unmenschlichen Haft- und Lebensbedingungen von Asylsuchenden dort sowie das generelle Versagen des griechischen Asylsystems wussten. Im Jahr 2008 beispielsweise wurden weniger als 0,1 Prozent der Anträge bewilligt. Dieser Gerichtsentscheid stellt die geltende „Dublin-II-Verordnung“ in Frage, welche schließlich besagt, dass jener EU-Mitgliedsstaat für die Durchführung des Asylverfahrens verantwortlich ist, dessen Boden ein Asylsuchender zuerst betritt.

Es handelt sich dabei um einen wichtigen Präzedenzfall, denn derzeit sind ungefähr 960 ganz ähnliche Fälle anhängig, in denen ebenfalls die Rechtmäßigkeit der Rückführung von Asylbewerbern nach Griechenland in Frage gestellt wird.

Doch was bedeutet dieser Gerichtsentscheid für die gegenwärtige EU-Politik? Während zahlreiche Mitgliedsstaaten die Überstellung von Asylbewerbern nach Griechenland ausgesetzt haben, sandten sie gleichzeitig nationale Polizeieinheiten dorthin, um den griechischen Grenzschutz zu unterstützen. Die Einheiten sind Teil der Soforteinsatzteams für Grenzsicherung (Rapid Border Intervention Teams, Rabit) der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Sie greifen Migranten auf, die am Fluss Evros die griechisch-türkische Grenze passieren und überstellen diese an ihre örtlichen Kollegen – und diese inhaftieren die Flüchtlinge anschließend.

Bis vor einigen Monaten konnten Länder wie Deutschland argumentieren, dass sie formell nicht für die Menschenrechtsverletzungen in dem südlichen EU-Mitgliedsland verantwortlich sind. Und sie schoben Asylbewerber dorthin ab unter dem Vorwand, dass diese dort eine menschliche Behandlung und ein faires Asylverfahren erhalten.

Doch aufgrund ihrer Beteiligung bei Frontex sind Deutschland und andere EU-Mitglieder nicht mehr länger nur passive Mitläufer oder Zuschauer, die das rechtsverletzende griechische System aus der Ferne betrachten. Vielmehr sind sie inzwischen mitverantwortlich für die systematischen Menschenrechtsverletzungen gegen Migranten in Griechenland.

Im Verlauf einer kürzlich durchgeführten Human Rights Watch-Untersuchung an der Grenze zur Türkei berichtete uns ein hochrangiger Frontex-Beamter, dass die mit Frontex arbeitenden Einheiten „nicht berechtigt“ sind, die einschlägigen Haftanstalten zu betreten, und deshalb auch die dortigen Zustände nicht gesehen haben.

Wir hingegen haben die unmenschlichen Zustände gesehen. Wir waren in völlig überfüllten Haftanstalten, in denen die Flüchtlinge unter mangelhaften hygienischen Bedingungen lebten. Die Häftlinge hatten nicht genügend Platz, um sich zum Schlafen hinzulegen. Frauen und Kinder wurden mit fremden Männern zusammengepfercht. Und die sanitären Einrichtungen waren so unzureichend, dass die Wachen manchmal Häftlinge auf nahegelegene Felder eskortieren mussten.

Wir sprachen mit einem 14-jährigen Jungen aus Eritrea, der von Schlägen durch die Polizei berichtete. Er musste ein Bett mit fünf anderen Flüchtlingskindern teilen, hatte keine Seife und nicht genügend zu essen. Zudem nahmen ihm die Wachen seine SIM-Karte ab und kappten damit die einzige Verbindung zu seiner Familie.

Selbst wenn Frontex-Beamte keinen direkten Einblick in die Haftanstalten hatten, so waren sie doch nahe genug dran, dass ihnen der furchtbare Gestank aus den Zellen nicht entgehen konnte. Tatsächlich sollen sich deutsche Polizeibeamte, die im Rahmen von Rabit eingesetzt wurden, über Gewalt gegen Häftlinge beschwert haben. Sie plagte wohl die Sorge, an widerrechtlichen Handlungen beteiligt zu sein. Um eine Mitverantwortung auszuschließen, verlangten sie klarere Regeln.

Die Europäische Kommission hat kürzlich beschlossen, Rabit bis Ende März zu verlängern. Doch nach diesem richtungsweisenden Gerichtsentscheid sollten sich die europäischen Regierungen eines fragen: Kann es für Polizeieinheiten aus EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland legal oder moralisch richtig sein, in Griechenland Migranten aufzugreifen, wenn es gleichzeitig ein Verstoß gegen ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen ist, Asylsuchende aus Berlin nach Athen zu fliegen und dort im Gefängnis inhaftieren zu lassen?

Nachdem schon deutsche Polizisten davon ausgehen, dass hinter den geschlossenen Türen griechischer Gefängnisse die Menschenrechte verletzt werden, und nachdem Deutschland die Abschiebungen nach Griechenland ausgesetzt hat, sollte die Bundesregierung die Beteiligung an diesen Rabit-Einsätzen beenden. Es wäre richtig, die Polizeikräfte von der griechisch-türkischen Grenze zurückzuziehen, bis die Regierung in Athen humane Bedingungen und rechtsstaatliche Verfahren für schutzsuchende Asylbewerber garantieren kann.

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