(New York, 31. Mai 2010) – Israel soll umgehend eine glaubwürdige und unabhängige Untersuchung der Todesfälle von mindestens zehn Aktivisten durchführen, nachdem israelische Sicherheitskräfte Schiffe der „Hilfsflotte” für Gaza geentert hatten, so Human Rights Watch.
Human Rights Watch betonte, dass der Vorfall, bei dem auch Dutzende Aktivisten und mehrere israelische Soldaten Berichten zufolge verletzt wurden, zu großer Sorge Anlass gibt bezüglich des möglicherweise gesetzeswidrigen und übermäßigen Einsatzes von tödlicher Gewalt.
„Eine sofortige, glaubwürdige und unabhängige Untersuchung ist absolut notwendig, um festzustellen, ob der Einsatz tödlicher Gewalt durch das israelische Kommando nötig war, um Leben zu schützen, und ob er hätte vermieden werden können”, so Sarah Leah Whitson, Direktorin der Abteilung Naher Osten von Human Rights Watch. „Angesichts Israels bisher geringer Bereitschaft gesetzeswidrige Tötungen durch bewaffnete Kräfte zu untersuchen, soll die internationale Gemeinschaft jede Untersuchung genau beobachten und sicherstellen, dass grundlegende internationale Standards eingehalten und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.“
Gemäß Berichten haben israelische Kommando-Einheiten Schiffe der Hilfsflotte am 31. Mai um 4 Uhr geentert. Etwa 700 Aktivisten waren auf den sechs Schiffen der Flotte. Die Organisatoren sagten, dass humanitäre Hilfsgüter für Gaza transportiert wurden, darunter Zement, Rollstühle und Material für die Wasserversorgung. Die Aktivisten berichteten, dass die Schiffe 70 Seemeilen von der Küste entfernt waren, als Israels Sicherheitskräfte die Schiffe enterten.
Nach Angaben der israelischen Regierung leisteten die Aktivisten auf dem Schiff gewaltsamen Widerstand gegen die israelischen Kommando-Einheiten, wobei zwei Soldaten verletzt wurden. Aktivisten auf den Schiffen behaupteten, dass die israelischen Sicherheitskräfte unbewaffnete Teilnehmer der humanitären Hilfsflotte getötet hätten. Human Rights Watch konnte bis jetzt noch keine eigenen Untersuchungen durchführen, um die Richtigkeit der Berichte zu überprüfen. Die Regierung hatte die Flotte gewarnt, die israelische Blockade des Gaza-Streifens zu brechen.
„Dass die israelische Regierung die Flotte ablehnt, war bekannt. Doch die wichtigsten Fragen wurden nicht beantwortet – ob die israelischen Soldaten gesetzeswidrige tödliche Gewalt auf der Flotte angewendet haben und ob es eine andere Möglichkeit gegeben hat, um die Gewaltanwendung zu vermeiden“, so Whitson.
Human Rights Watch forderte Israel auf, allen verhafteten und verletzten Teilnehmern der Flotte umgehend Zugang zu einem Rechtsbeistand und zu ihren Familien zu gewähren und die Identität aller Verletzten und Getöteten offenzulegen. Laut den Organisatoren der Flotte haben die israelischen Behörden den im Hafen von Aschdod Verhafteten den Zugang zu ihren Anwälten verweigert. Auch ist bis jetzt noch nicht bekannt, in welchem Krankenhaus die Verwundeten versorgt werden. Jegliche Berichterstattung direkt von der Flotte und die Kommunikation zwischen Flottenteilnehmern werden blockiert und die Namen der Getöteten wurden noch nicht veröffentlicht.
Israel hat über Gazas Land- und Seegrenze seit Juni 2007 eine Blockade verhängt, als die Hamas die Kontrolle über das Gebiet übernommen hatte. Ägypten ist dabei an der südlichen Grenze des Gaza-Streifens ein wichtiger Partner. Die Blockade, die einer gesetzeswidrigen Kollektivstrafe der Zivilbevölkerung in Gaza gleichkommt, hat die Wirtschaft schwer getroffen und 70 bis 80 Prozent der Bewohner in Armut und abhängig von humanitärer Hilfe zurückgelassen.
Die UN-Grundprinzipien für die Anwendung von Gewalt und den Gebrauch von Schusswaffen durch Beamte mit Polizeibefugnissen legen fest, dass Behörden so weit wie möglich gewaltfreie Mittel anwenden sollen, bevor sie auf den Einsatz von Gewalt und Schusswaffen zurückgreifen. Die Grundprinzipien schreiben auch fest, dass bei einem unvermeidbaren gesetzesmäßigen Einsatz von Gewalt und Schusswaffen die Behörden zurückhaltend und verhältnismäßig zur Ernsthaftigkeit des Vergehens handeln sollen. Tödliche Gewalt soll nur dann angewendet werden, wenn sie unvermeidbar ist, um Leben zu schützen. Die Grundprinzipien fordern auch eine effektive Berichterstattung sowie einen Überprüfungsprozess, besonders bei Todesfällen und schweren Verletzungen.