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Nepal: Jahre des Terrors und gebrochene Versprechen

Morde und Folter aus zehn Jahren Krieg müssen untersucht und strafrechtlich verfolgt werden

(Kathmandu, 16. Oktober 2009) – Drei Jahre nach Ende des bewaffneten Konflikts in Nepal hat die Regierung noch immer keine glaubwürdigen Ermittlungen oder Gerichtsverfahren gegen die Verantwortlichen für Tausende Fälle von außergerichtlicher Tötung, Folter und Verschwindenlassen durchgeführt, so Human Rights Watch und Advocacy Forum in einem heute veröffentlichten Bericht.

In dem 47-seitigen Bericht „Still Waiting for Justice: No End to Impunity in Nepal“ wird die nepalesische Regierung aufgefordert, die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen während des zehn Jahre langen bewaffneten Konflikts zu ermitteln und strafrechtlich zu verfolgen. Mangelnder politischer Wille und geringe Kompromissbereitschaft, die weiter zu politischer Instabilität beitragen, sowie fehlende Fortschritte im Friedensprozess haben dazu geführt, dass die Regierung ihr Versprechen nicht eingehalten hat, diese Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen, wie sie es im Friedensvertrag von 2006 versprochen hatte.

„Politik, Polizei, Staatsanwaltschaft und Armee lassen das nepalesische Volk abermals im Stich“, so Brad Adams, Direktor der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Die Regierung hatte mehr als genug Zeit, um die Strafverfolgung der Täter in Gang zu bringen, doch sie hat nichts weiter als leere Versprechungen geliefert.“

Der Bericht knüpft an eine Studie aus dem Jahr 2008 mit dem Titel „Waiting for Justice: Unpunished Crimes from Nepal’s Armed Conflict“ an, in der 62 Fälle von Mord, Verschwindenlassen und Folter aus den Jahren 2002 bis 2006 dokumentiert wurden. Der heute erschienene Bericht beschreibt den aktuellen Erkenntnisstand in diesen Fällen. Die meisten der untersuchten Menschenrechtsverletzungen wurden von staatlichen Sicherheitskräften verübt, in einigen Fällen sind jedoch auch maoistische Rebellen in die Verbrechen verwickelt.

Obwohl die Angehörigen der Ermordeten und Verschleppten bei der Polizei detaillierte Beschwerden eingereicht haben, hat die nepalesische Justiz bei der Strafverfolgung kläglich versagt, so Human Rights Watch und Advocacy Forum.

In zehn der 62 Fälle weigert sich die Polizei noch immer, Anzeigen aufzunehmen, teilweise trotz entsprechenden Gerichtsentscheiden. In 24 Fällen wurden zwar Anzeigen aufgenommen, es gibt jedoch keine Anzeichen, dass Ermittlungen stattfinden. In etwa 13 Fällen versuchte die Polizei offenbar, den Beschwerden nachzugehen, indem sie betroffene Behörden anschrieb und ihre Kooperation bei der Befragung der Tatverdächtigen erbat. Armee, Militärpolizei und Maoisten verweigerten jedoch jegliche Zusammenarbeit.

Bisher wurde noch keinem einzigen Verantwortlichen für schwere Menschenrechtsverletzungen der Prozess vor einem Zivilgericht gemacht. Um ihre Mitglieder zu schützen, setzen die politischen Parteien die Polizei unter Druck, in bestimmten Fällen nicht zu ermitteln. Polizei, Staatsanwälte und Gerichte haben verschiedene Strategien entwickelt, um die Ermittlungen zu behindern und zu verschleppen. Institutionen, die das Prinzip der Rechenschaftspflicht seit langem ablehnen, allen voran die nepalesische Armee, weigern sich schlichtweg mit den Ermittlern der Polizei zu kooperieren.

„Schon viel zu lange müssen die Opfer und ihre Familien für Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfen, trotz immer wieder auftretenden Verzögerungen und Hindernissen“, so Mandira Sharma, Direktorin von Advocacy Forum. „Seit unserem letzten Bericht ist bereits ein Jahr vergangen, doch noch immer widersetzt sich die Polizei den Gerichtsentscheiden, die sie zur Aufnahme der Anzeigen verpflichten.“

Die Regierung hat es versäumt, Gesetze zu reformieren, die wirksamen strafrechtlichen Ermittlungen im Wege stehen. Zudem hat sie kaum Fortschritte bei der Schaffung rechtlicher Übergangseinrichtungen erzielt, die sie im Friedensvertrag in Aussicht gestellt hatte. Dazu gehören beispielsweise die Einrichtung einer Untersuchungskommission über das Verschwindenlassen von Personen und die Ernennung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission.

Human Rights Watch und Advocacy Forum fordern die nepalesische Regierung in dem Bericht auf:

  • Sie soll gegen alle Verantwortlichen, einschließlich Angehörige der Sicherheitskräfte, in allen 62 untersuchten Fällen sowie in anderen Fällen von Menschenrechtsverletzungen Ermittlungen und gegebenenfalls Gerichtsverfahren einleiten.
  • Sie soll aus leitenden Ermittlern der Polizei eine Sonderkommission unter der Aufsicht des Generalstaatsanwalts bilden, die Anschuldigungen gegen die nepalesische Armee untersucht. Zudem soll ein unabhängiges Überwachungsgremium der Polizei geschaffen werden.
  • Sie soll eine Wahrheits- und Versöhnungskommission sowie eine Kommission zur Untersuchung über das Verschwindenlassen von Personen einrichten. Diese sollen in Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsstandards arbeiten, die ausschließen, dass bei schweren Menschenrechtsverletzungen Amnestie gewährt wird.

Der Bericht appelliert auch an einflussreiche internationale Akteure, die Reform der Sicherheitskräfte voranzutreiben, insbesondere die Schaffung einer wirksamen Überwachung und klarer Verantwortlichkeiten in den Sicherheitskräften.

„Die Regierung soll die Polizei bei den Untersuchungen unterstützen und das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat und die staatlichen Institutionen wiederherstellen“, so Adams. „Auch die Geberländer sollen sich für eine Reform der Sicherheitskräfte stark machen. Mit ausreichend politischem Willen auf nationaler und internationaler Ebene lässt sich das Recht durchsetzen.“

Zitate aus dem Bericht:

„In Nepal gibt es keine Gerechtigkeit, keine Rechtsstaatlichkeit und keine Regierung, aber ich möchte ein Nepal, in dem selbst der höchste Beamte nicht über dem Recht steht. Die Sicherheitsbeamten müssen bestraft werden; man stellt sie nicht ein, damit sie Bürger töten. All denen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, muss der Prozess gemacht werden.“
– Dhoj Dhami, der Onkel von Jaya Lal Dhami, der im Februar 2005 im Bezirk Kanchanpur von Sicherheitskräften getötet wurde

„Als ich bei der Polizei Anzeige erstattete, hoffte ich zunächst, dass meiner Familie Gerechtigkeit widerfahren werde, dass die Angeklagten bestraft werden und meine Familie Geld für den Lebensunterhalt und die Erziehung meiner Kinder bekommt. Obwohl ich seit Jahren um Gerechtigkeit kämpfe, ist noch immer nichts geschehen. Ich war oft auf der Polizeiwache, aber die Ermittlungen kommen nicht voran. Ich habe wenig Hoffnung, weil ich glaube, dass die Regierung kein Interesse daran hat, für Gerechtigkeit zu sorgen.“
– Bhumi Sara Thapa, Mutter von Dal Bahadur Thapa und Parbati Thapa, die im September 2002 im Bezirk Bardiya von Sicherheitskräften getötet wurden

„Einmal traf ich Prachanda [den Vorsitzenden der Vereinigten Kommunistischen Partei Nepals (Maoistisch)]. Er versprach mir herauszufinden, was mit meinem Mann passiert war, und es mir mitzuteilen. Ich habe noch immer keine Informationen bekommen, obwohl ich mehrmals versucht habe, ihn noch einmal zu treffen.“
– Purnimaya Lama, die Ehefrau von Arjun Lama, der im April 2005 von Maoisten verschleppt wurde

„Selbst nach der Anordnung des Obersten Gerichts vom 3. Februar 2009 hat das Bezirksbüro der Polizei die Anzeige nicht wie gesetzlich vorgeschrieben aufgenommen. Obwohl ich mindestens dreimal in dem Büro war und mit dem Bezirksdirektor und seinem Stellvertreter sprach, gab es keine Fortschritte bei den Ermittlungen. Ich denke, die Polizei ist nicht dazu bereit, in Übereinstimmung mit den Gesetzen zu arbeiten.“
–Jay Kishor Labh, der Vater von Sanjeev Kumar Karna, der seit seiner Festnahme durch die Polizei im Oktober 2003 verschwunden ist

„In vielen Fällen von Menschenrechtsverletzungen wurde bei der Polizei Anzeige erstattet. Oft sind hochrangige Beamte in die Fälle verwickelt und es ist schwierig zu ermitteln, weil sie einflussreiche Posten haben.“
–ein Polizei-Unterinspektor, der anonym bleiben möchte, in Pokhara im Bezirk Kaski

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