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die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch möchte sich anlässlich
Ihrer bevorstehenden Reise nach Turkmenistan mit diesem Schreiben an Sie
wenden. Die Reise stellt eine herausragende Gelegenheit dar, um europäische
Werte und Erwartungen im Rahmen der Zusammenarbeit mit Turkmenistan
zu artikulieren, zu einem Zeitpunkt, an dem die Regierung des
Landes die selbst auferlegte internationale Isolation der Nijasow-Ära beenden
will.

Wenn Sie bei Ihrem Besuch in Aschgabat darauf hinweisen, dass Menschenrechte
und Rechtsstaatlichkeit höchste Priorität haben und alle Aspekte der
Politik Deutschlands gegenüber Turkmenistans betreffen, wäre dies ein
herausragender Beitrag, damit Turkmenistan als angemessener Partner für
die weitere Zusammenarbeit betrachtet werden kann.

Die Position der Europäischen Union bezüglich der Zusammenarbeit
mit Turkmenistan

Gestern hat das Europäische Parlament eine Resolution zu Zentralasien
verabschiedet. Darin werden Kriterien aufrechterhalten, die vom Ausschuss
für Internationalen Handel des Parlaments im November aufgestellt worden
waren und die von der turkmenischen Regierung erfüllt werden sollen, bevor
die EU ein Interim-Handelsabkommen mit dem Land abschließt. Diese
Kriterien sind nicht bindend für bilaterale Beziehungen der EU-Mitgliedsländer.
Human Rights Watch wendet sich jedoch an Ihre Delegation, damit
sie im Sinne gemeinsamer europäischer Werte handelt. Deutschland sollte
klarstellen, dass es die Kriterien des Europäischen Parlaments unterstützt,
und die turkmenische Regierung dazu auffordern, umgehend Maßnahmen zu
ihrer Umsetzung zu ergreifen.

Die Kriterien beinhalten:


  • Freien Zugang des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes nach Turkmenistan;

  • Ausrichtung des Bildungssystems an internationalen Standards;

  • Freilassung aller politischen Gefangenen;

  • Abschaffung von Regierungsmaßnahmen zur Einschränkung der Reisefreiheit;

  • Freien Zugang unabhängiger Nichtregierungsorganisationen und uneingeschränkte Tätigkeit
    von UN-Menschenrechtsorganen, um Fortschritte zu überwachen.

Positive Veränderungen
Was das Bildungswesen betrifft, so hat Präsident Berdimuhammedow seit seiner Amtsübernahme das
zehnte Schuljahr in den weiterführenden Schulen sowie die fünfjährige Universitätsausbildung wieder
eingeführt und Gespräche mit ausländischen Regierungen über umfassende und wichtige Reformen
abgehalten, besonders zur akademischen Ausbildung. In der Sozialpolitik wurden Pensionen und
soziale Beihilfen wieder eingeführt. Die Akademie der Wissenschaften wurde wieder eröffnet. Zirkus
und Oper dürfen wieder Veranstaltungen abhalten, was unter Nijasow nicht erlaubt war (Ballett-
Aufführungen bleiben jedoch weiterhin verboten). Die Regierung hat einen Menschenrechtsbeauftragten
der Vereinten Nationen, den Sonderbeauftragten für Religionsfreiheit, eingeladen, das Land
zu besuchen.

Menschenrechtsprobleme
Zugleich fand jedoch in Turkmenistan während der einjährigen Amtszeit des Präsidenten
Berdimuhammedow keine wirkliche Reform im Bereich der Menschenrechte statt. Human Rights
Watch hat im November in einem Bericht dokumentiert, wie in Turkmenistan weiterhin die Rechte auf
freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, Religionsfreiheit und Glaubensfreiheit
massiv eingeschränkt werden. Unabhängige Nichtregierungsorganisationen, die zu Menschenrechtsthemen
arbeiten, und unabhängige Medien können wegen Drohungen und Schikanen der
Regierung nicht wirksam handeln. Einheimische und internationale Organisationen, darunter auch
das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, haben weiterhin keinen Zugang zu turkmenischen
Gefängnissen.

Politische Gefangene
Hunderte Personen, vielleicht sogar wesentlich mehr, sitzen in Gefängnissen fest, nach unfairen
Gerichtsverfahren auf der Basis oftmals politisch motivierter Anklagen. Darunter befindet sich auch
Mukhametkuli Aymuradow, der 1995 zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde. In dem politisch motivierten
Verfahren wurden ihm staatsfeindliche Aktivitäten vorgeworfen. 1998 wurde er ein weiteres Mal, nun
zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, da er angeblich versucht hatte, aus dem Gefängnis zu fliehen.
Annakurban Amanklychew und Sapardurdy Khjiew, die Mitglieder in einer turkmenischen Menschenrechtsgruppe
im Exil sind, wurden 2006 zu sieben Jahren Haft aufgrund nicht bestätigter Vorwürfe
des Waffenbesitzes verurteilt.
Auch ist der Aufenthalt von mehreren hochrangigen politischen Gefangenen, die sich in Gewahrsam
befinden, nicht bekannt. Dazu gehören der frühere Außenminister Boris Shikhmuradow und der
ehemalige turkmenische Botschafter bei der OSZE Batyr Berdyew sowie andere Personen, die im
Rahmen eines angeblichen Mordanschlags gegen den verstorbenen Saparmurat Nijasow angeklagt
waren.

Freizügigkeit
Obwohl einige Personen die Erlaubnis erhalten haben, ins Ausland zu reisen, bleibt das in der
Nijasow-Ära etablierte System der Reisebeschränkungen intakt, und es werden weiter willkürlich
Auslandsreiseverbote verhängt. So auch im Fall Andrey Zatoka: Drei Monate nachdem er eine
Ausreiseerlaubnis beantragt hatte, wurde dem bekannten Umweltaktivisten mitgeteilt, dass er seine
Reise nicht antreten dürfe. Gründe wurden ihm nicht mitgeteilt.
Auch Rashid Ruzimatow, der mit einem heute im Exil lebenden früheren Regierungsbeamten verwandt
ist, darf seit 2003 nicht ins Ausland reisen. Ruzimatow hat den Behörden bereits vier Mal
geschrieben, um in Erfahrung zu bringen, weshalb er nicht ausreisen darf und um eine Genehmigung
für eine Ausreise zu erhalten. Das letzte Mal hat er sich im Mai 2007 an die Behörden gewandt, um
für eine Gedenkveranstaltung zu Ehren seines toten Vaters nach Usbekistan reisen zu dürfen. Am
7. Juni erhielt er einen Brief vom Generalstaatsanwalt mit der Aussage, dass seine Anfrage
„bearbeitet und abgewiesen“ worden sei.

Religions- und Glaubensfreiheit
Unter der Herrschaft Nijasows war die Religionsfreiheit massiv eingeschränkt. Gläubige mussten mit
Strafverfolgung, Übergriffen durch die Polizei, Abschiebung und teilweise gar Zerstörung ihrer
religiösen Einrichtungen rechnen. Dies betraf vor allem Personen, die sich nicht zum sunnitischen
Islam oder dem russisch-orthodoxen Glauben bekannten.
Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der US-amerikanischen Kommission für Internationale Religionsfreiheit,
die im August 2007 nach Turkmenistan gereist war, vermerkt einige positive Entwicklungen.
So sei etwa der frühere Obermufti aus der Haft entlassen worden und die Regierung habe ihre Bereitschaft
geäußert, Reformen der nationalen Religionsgesetze in Erwägung zu ziehen. Gleichzeitig
unterstreicht der Bericht jedoch, dass weiterhin ein System repressiver Gesetze und Praktiken
angewandt werde. So würden etwa Führer oder Anhänger friedfertiger nicht registrierter Glaubensgemeinschaften
verhaftet, deren Aktivitäten als ‚illegal’ eingestuft werden, sowie der Import und
Druck religiöser und anderer Materialien verboten.
Die unabhängige Organisation „Forum 18 News Service“ berichtet außerdem, dass seit dem Amtsantritt
von Präsident Berdimuhammedow ein Anstieg repressiver Maßnahmen gegen die friedlichen
religiösen Aktivitäten von Baptisten, Protestanten und Zeugen Jehovas in Turkmenistan zu verzeichnen
ist.
Human Rights Watch fordert die Delegation auf, die Notwendigkeit echter Reformen im Menschenrechtsbereich
zu unterstreichen und von der Regierung eine Verbesserung der Menschenrechtsbilanz
zu verlangen. Die Delegation kann insbesondere darauf hinarbeiten, dass politische Gefangene freigelassen
werden und dass es eine landesweite und transparente Überprüfung politischer Verfahren
der letzten Jahre gibt. Außerdem sollte es den Bürgern erlaubt sein, frei ins Ausland zu reisen. Die
Schikanierung der Zivilgesellschaft, etwa von unabhängigen NGOs, Medien und Religionsgemeinschaften,
soll beendet werden.
Wir bedanken uns bei Ihnen für die Aufmerksamkeit, die Sie den in diesem Brief angesprochenen
Problemen widmen.

Mit freundlichen Grüßen

Holly Cartner
Direktorin
Abteilung Europa- und Zentralasien
Human Rights Watch

Marianne Heuwagen
Direktorin
Deutschland-Büro
Human Rights Watch

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