(New York, 20. März 2007) – Thailändische Sicherheitskräfte sollen Verschleppungen mutmaßlicher muslimischer Malai-Separatisten in den südlichen Grenzgebieten Thailands beenden, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.
Der 69-seitige Bericht „It Was Like Suddenly My Son No Longer Existed: Enforced Disappearances in Thailand’s Southern Border Provinces” dokumentiert 22 Fälle von ungeklärtem „Verschwindenlassen”, die auf die Verantwortung thailändischer Sicherheitskräfte hinweisen. Der Bericht beruht auf Interviews mit Dutzenden Zeugen, Familien von Opfern und thailändischen Beamten seit Februar 2005.
Nach Informationen von Human Rights Watch wurden die meisten Verschleppten von der Polizei oder Armee verdächtigt, militante Separatisten zu sein, diese zu unterstützen oder Informationen über ihre Angriffe zu besitzen.
„Die thailändischen Sicherheitskräfte benutzen das „Verschwindenlassen”, um die Kämpfer zu schwächen und Angst unter den Malai-Muslimen zu verbreiten“, so Brad Adams, Leiter der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Das „Verschwindenlassen“ von Personen scheint systematisch verwendet zu werden und nicht nur das Werk einzelner Personen innerhalb der Sicherheitskräfte zu sein.“
Die bekannten Zahlen über verschleppte Personen in den südlichen Grenzregionen sind wahrscheinlich zu niedrig. Viele Familien schweigen aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen und, da es keine wirksamen Zeugenschutzprogramme gibt.
Viele Malai-Muslime in Thailand beklagen sich, dass die zahlreichen ungeklärten Fälle verschwundener Personen bei Ihnen den Eindruck hinterlassen haben, es gebe keine Gerechtigkeit für sie. Die immer brutaleren Aufstände, in denen die Kämpfer in den letzten zehn Jahren Zivilisten getötet und Bomben gezündet haben, sind unter anderem die Folge von Verbitterung über Menschenrechtsverletzungen durch die thailändischen Behörden.
„Die thailändische Regierung soll klar und öffentlich die Verschleppungen verurteilen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen“, so Brad Adams.
Die meisten in dem Bericht dokumentierten gewaltsamen Verschleppungen fanden während der Amtszeit des Premierministers Thaksin Shinawatra statt. Dieser wurde im September 2006 während eines Staatsstreichs abgesetzt. Nach einem Angriff auf ein Militärlager am 4. Januar 2004 forderte Thaksin die Polizei und Soldaten auf, so schnell wie möglich die Verantwortlichen festzunehmen. Einige Tage später begannen die Verschleppungen gegen die ethnische Gruppe der Malai-Muslime. Sie wurden verdächtigt, an den Unruhen beteiligt gewesen zu sein.
Fünf Tage später „verschwand“ Sata Labo. Seine Schwester teilte Human Rights Watch mit, dass Polizisten am 8. Januar 2004 ihr Haus nach gestohlenen Waffen durchsuchten, die von dem Militärstützpunkt Narathiwat entwendet worden waren. Während der Durchsuchung wurden keine illegalen Gegenstände gefunden. Direkt vor seinem „Verschwinden” am 9. Januar 2004 rief Sata seine Schwester von seinem Mobiltelefon an und sagte, er sei von einer Gruppe von Polizisten angehalten worden:
Mittags rief mich mein Bruder an. Er erzählte mir, er sei von Polizisten angehalten worden. Diese Polizisten durchsuchten sein Auto und nahmen ihn mit zur Narathiwat Polizeiwache. Das war das letzte Mal, dass ich von Sata gehört habe. Er ist nie zurück nach Hause gekommen.
Ein anderer Fall betrifft Musta-sidin Ma-ming, 27-jähriger Besitzer eines Geschäftes für Mobiltelefone. Er wurde am 11. Februar in Narathiwat verschleppt. Seine Frau erzählte Human Rights Watch, dass nach Zeugenangaben eine Gruppe von Männern mit schwarzen Hemden am helllichten Tage seinen Laden betreten und Musta-sidin und seinen Assistenten mitgenommen haben. Im Mai 2004 fragte sie Thaksin persönlich, was mit ihrem Mann passiert sei:
Als der Premierminister meine Anfrage erhielt, sagte er mir drei Mal, dass „ich dem Fall nachgehen werde“…..aber es geschah nichts.
Am 29. Mai 2006 verschwand Wae-halem Kuwae-kama, 40-jähriger Bauarbeiter und ehemaliges stellvertretendes Dorfoberhaupt im Joh Ariong Bezirk von Narathiwat. Sein Onkel berichtete Human Rights Watch, dass Wae-halem schon lange von Soldaten verdächtigt wurde, eine wichtige Rolle in dem örtlichen Netzwerk der Separatisten zu spielen. Wae-halem sei am Tag seines „Verschwindens“ an einem Kontrollpunkt außerhalb seines Dorfes angehalten worden:
Polizisten, die in der Nähe der Bukit Pracha Upatham Schule stationiert waren, haben ihm einen Monat vor seiner Verschleppung mitgeteilt, er würde eines Tages „herunter gebracht“, das heißt erschossen werden. Sie haben gesagt, sein Name sei auf einer schwarzen Liste…[Am] 29. Mai haben Dorfbewohner gesehen, dass ein grüner Mitsubishi Kleintransporter in der Nähe des Teegeschäfts geparkt war. Vier oder fünf Männer haben Wae-halem aufgefordert, [sein Motorrad] anzuhalten. Dann haben sie ihn in den Kleintransporter gebracht und sind davon gefahren. Seitdem wurde Wae-halem nicht mehr gesehen.
„Die meisten Verschleppungen fanden zwar während der Regierungszeit von Thaksin statt, aber viele der verantwortlichen hochrangigen Militäroffiziere und Polizisten sind noch heute im Dienst“, so Adams. „Thaksin gab 2005 zu, dass diese Menschenrechtsverletzungen stattgefunden haben, aber es wurde nichts unternommen, um die Verantwortlichen zu stoppen oder zu bestrafen.“
Nach dem Staatsstreich im September stellte die vom Militär unterstützte Regierung von Surayud Chulanont fest, dass die Probleme in den südlichen Grenzregionen in erster Linie auf fehlende Gerechtigkeit zurückzuführen seien. General Surayud versprach, die Menschenrechte in der Region zu achten und eine neue Politik einzuführen.
Aber General Surayuds Regierung hat bisher wenig unternommen, um diese Versprechen in die Realität umzusetzen. Regierungsstellen, vor allem die königliche thailändische Polizei, die Abteilung für Sonderermittlungen des Justizministeriums, die nationale Menschenrechtskommission und die wiedererrichtete Verwaltungsstelle für die südlichen Grenzgebiete, haben ebenfalls keine Nachforschungen angestellt. Die königliche thailändische Polizei und Armee haben keinerlei Schritte unternommen, die Verantwortlichen für Verschleppungen und für andere Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu verfolgen.
Die meisten der 22 von Human Rights Watch für diesen Bericht befragten Familien gaben an, dass sie 100 000 Baht (2 778 US Dollar) finanzielle Unterstützung von der Regierung erhalten haben. Sie haben Human Rights Watch jedoch auch mitgeteilt, dass diese Kompensation keinen Ersatz darstellt für ernsthafte Nachforschungen über den Aufenthaltsort ihrer Väter, Ehemänner oder Söhne oder für angemessene strafrechtliche Verfolgungen der für die Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen.
„Den Familien der Opfer Geld anzubieten und sich bei ihnen zu entschuldigen, entlässt die thailändische Regierung nicht von ihrer Verantwortung, die Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen“, so Adams. „General Surayad hat versprochen, der Gerechtigkeit Priorität einzuräumen, aber seine Regierung hat bisher versagt, Amtspersonen zur Rechenschaft zu ziehen.“
Human Rights Watch forderte die thailändische Regierung dazu auf, alle nötigen Schritte zu unternehmen, die Verschleppungen zu beenden, indem sie unter anderem das internationale Abkommen über den Schutz aller Menschen vor gewaltsamen Verschleppungen unterschreibt und ratifiziert. Außerdem soll das „Verschwindenlassen“ unter Strafe gestellt werden.
Die thailändische Regierung soll Vorwürfe gewaltsamer Verschleppungen sofort von einer unabhängigen und unparteiischen Kommission untersuchen lassen. Ohne Rücksicht auf ihre Stellung sollen alle Amtspersonen, die an Verschleppungen beteiligt sind, strafrechtlich verfolgt werden, einschließlich derer, die davon wussten oder hätten wissen müssen. Vorbeugend sollen alle Personen, die von Vollzugsbehörden oder Sicherheitskräften festgenommen werden, in offiziellen Haftanstalten untergebracht werden und dürfen weder Folter noch unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung ausgesetzt sein. Die Behörden sollen außerdem den Familien und Rechtsberatern den Aufenthaltsort mitteilen.