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Die Terroranschläge vom 11. September 2001 waren nicht nur eine Tragödie für die Opfer und ihre Familien. Sie haben uns auch auf schockierende Weise daran erinnert, dass radikale Gruppen heutzutage Gewaltakte von ungeheuerer Schlagkraft verüben können. Die Anschläge haben uns unmissverständlich klar gemacht, in welchem Ausmaß gewisse islamistische Gruppen - fernab vom politischen Konsens, jedoch mit globalen Ambitionen - die Überzeugung verinnerlicht haben, der Zweck heilige die Mittel und jeder Zivilist, der in einem als feindlich wahrgenommenen Land lebt, stelle ein legitimes Ziel dar.

Man hätte von den Regierungen erwarten können, dass sie als Verfechter des von den Extremisten mit Füßen getretenen Prinzips auftreten, demzufolge ein Mensch nie Mittel zum Zweck sein darf und seine Rechte als Individuum zu achten sind. Die Regierungen hätten erkennen müssen, dass die Menschenrechte nicht nur aus Überzeugung, sondern auch als einziges erfolgversprechendes Mittel gegen die zerstörerische Logik des Terrorismus zu schützen sind.

Die amerikanische Regierung hat diese Einsicht nie beherzigt. Als Ziel der Anschläge vor fünf Jahren konnte sie mehr als jede andere Regierung Einfluss darauf nehmen, wie die weltweite Reaktion auf den Terrorismus aussehen sollte. Die Antwort aus Washington bestätigte jedoch die gefährliche Ansicht, lobenswerte Zwecke können auch brutale Mittel heiligen.

Verständlicherweise erwarteten viele Amerikaner nach den Terroranschlägen von ihrer Regierung, dass sie alles in ihrer Macht stehende tut, um das Land vor dem Terrorismus zu schützen. Die Bush-Regierung nutzte dieses Klima der Angst, um verschiedene Maßnahmen durchzusetzen, wobei sie dabei internationalen Menschenrechtsstandards nur wenig Beachtung schenkte. Systematische Misshandlung von Gefangenen, Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren und illegale Militärtribunale waren die Folge. Abu Ghuraib, Guantánamo und geheime CIA-Gefängnisse wurden zu traurigen Symbolen der amerikanischen Anti-Terror-Maßnahmen. Selbst innerhalb der Vereinigten Staaten gerieten die Rechte vieler muslimischer Männer durch den Missbrauch bestimmter Gesetze wie jenem zur Inhaftierung von Immigranten und „wichtiger Zeugen“ in Gefahr. Regierungen auf der ganzen Welt bedienten sich des Beispiels der USA, um eigene Repressionsmaßnahmen einzuleiten oder zu verteidigen.

Diese Formen des Missbrauchs widersprechen grundlegenden Rechten. Zwar sollen diese Maßnahmen vor Terroristen schützen; sie sind dabei jedoch kontraproduktiv. Zur effektiven Terrorismusbekämpfung genügt es nicht, den heutigen Terroristen Einhalt zu gebieten. Vielmehr soll sichergestellt werden, dass nicht noch mehr Menschen zu Terroristen werden. Die Vergehen der USA im Namen des Anti-Terror-Kampfes spielen jenen in die Hände, die bereits die nächste Generation von Terroristen rekrutieren. Durch den Verlust der moralischen Autorität ist es schwerer geworden, verbitterte junge Männer davon abzubringen, in ihrer Wut Zivilisten zu ermorden.

Viele der Menschenrechtsverletzungen spiegeln auch eine Anti-Terror-Strategie wider, die zu eng gefasst ist. Die meisten Experten sind überzeugt, dass Informationen aus Verhören bei der Vereitelung geplanter Verbrechen eine eher geringe Bedeutung zukommt, verglichen mit anderen

Ermittlungsmethoden wie Durchsuchungen oder Überwachung. Die wichtigste Quelle stellen Hinweise aus der Bevölkerung dar, häufig von ganz normalen Bürgern aus dem Umfeld der vermeintlichen Terroristen. Sie melden verdächtige Aktivitäten oder zeigen Personen an, die Terroristen rekrutieren. Brutale Verhörmethoden können eine Zusammenarbeit mit den Behörden verhindern, da mögliche Informationsquellen nichts mit „schmutziger Kriegsführung“ zu tun haben wollen, die auch gegen ihre Nachbarn oder gegen sie selbst angewandt werden könnte. In ähnlicher Weise kann auch die Unterstützung durch andere Regierungen untergraben werden.

Aus diesen praktischen Gründen und weil Amerikaner und Menschen auf der ganzen Welt über die Methoden der US-Regierung entsetzt sind, hat Washington begonnen, seine Vorgehensweise zu ändern. Der Oberste Gerichtshof wies den Versuch der Bush-Regierung zurück, Guantánamo vom amerikanischen Recht auszuschließen oder mutmaßliche Terroristen vor Militärkommissionen zu stellen, welche die Genfer Konventionen verletzen.

Der Kongress wies einen Antrag der Bush-Regierung ab, gemäß dem das Verbot grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung auf Nichtamerikaner keine Anwendung finden sollte, die außerhalb der Vereinigten Staaten von US-Truppen festgehalten werden. Diese Entwicklungen führten zusammen mit Informationen über geheime CIA-Gefangenenlager und dem zunehmenden öffentlichen Druck dazu, dass Präsident Bush diese geheimen Gefängnisse zumindest vorübergehend schließen ließ. Uniformierte Mitglieder des US-Militärs konnten Bestimmungen gegen Misshandlungen neuen Rückhalt geben, indem sie dem Druck ihrer zivilen Vorgesetzten standhielten, welche die unmenschliche Behandlung von Gefangenen genehmigt hatten.

Dennoch bleiben zentrale Streitpunkte bestehen:

  • Die Bush-Regierung vertritt nach wie vor die Ansicht, dass sie einen „globalen Krieg“ führt. Deshalb könnten Verdächtige überall in der Welt - auch in den Vereinigten Staaten - als „feindliche Kombattanten“ festgenommen und bis zu dem noch ungewissen Ende des „Kriegs gegen den Terror“ ohne Anklage oder Verfahren festgehalten werden. Diese Theorie gefährdet grundlegende Rechte von uns allen.
  • Wie inzwischen erneut bestätigt wurde, verbietet das US-Recht ausdrücklich alle Formen grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung. Die Regierung versucht jedoch, diese Methoden zu entkriminalisieren, um all jene zu schützen, die solche Maßnahmen innerhalb der letzten fünf Jahre genehmigt oder angewandt haben.
  • Die Regierung behält sich weiterhin das Recht vor, Verdächtige in Länder auszuliefern, in denen regelmäßig gefoltert wird. Als Feigenblatt dienen bloße diplomatische Zusicherungen der betreffenden Regierung, die Gefangenen gut zu behandeln, selbst wenn diese Regierung immer wieder internationale Verträge missachtet.
  • Die amerikanische Regierung setzt sich weiterhin für Gerichtsverfahren vor Militärkommissionen ein. Verdächtige können dadurch schuldig gesprochen oder gar zum Tode verurteilt werden aufgrund von Beweismitteln, die sie nie zu Gesicht bekommen, Zeugen, die ihnen nie vorgeführt werden, und Aussagen, die unter Zwang gemacht wurden.
  • Die Regierung hat niemals dementiert, dass der Präsident als Oberbefehlshaber Gesetze zum Schutz fundamentaler Rechte ignorieren oder sogar brechen kann.

Um diese weiterhin angewandten rechtswidrigen Methoden zu verteidigen, werden fadenscheinig Argumente angeführt. Niemand bestreitet, dass Terroranschläge vermieden bzw. bestraft werden sollen. Doch die Regierung kann auch im Rahmen des bestehenden Strafrechts Anschlagspläne vereiteln. Natürlich muss manchmal militärisch gegen Terrorgruppen vorgegangen werden. Dies rechtfertigt aber nicht, dass die ganze Welt als ein Schlachtfeld bezeichnet wird, auf dem die durch das Strafrecht geschützten Rechte aufgehoben werden können. Niemand stellt den Schutz von Quellen und Methoden der Geheimdienste in Frage. Doch die regulären US-Gerichte, sowohl Zivil- als auch Militärgerichte, haben sich über Jahrzehnte bewährt, selbst im Angesicht von Kriegen und ernstzunehmenden Bedrohungen.

Das wichtige Ziel, dem Terrorismus Einhalt zu gebieten, rechtfertigt keine Reaktion ohne Grenzen. Aus pragmatischen wie prinzipiellen Gründen sollten wir zum fünften Jahrestag des 11. September daher der Logik des Terrorismus eine Absage erteilen und uns erneut für die Menschenrechte stark machen. Menschenrechte sind von Bedeutung. Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Indem wir die Menschenrechte achten und andere Regierungen dazu anhalten, verfolgen wir nicht nur die einzig richtige Methode, um uns vom Übel des Terrorismus zu befreien. Dies ist auch die wirksamste Strategie.

– Kenneth Roth, Direktor

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