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Deutschland: Bundesanwalt verweigert usbekischen Opfern ihr Recht

Entscheidung im Fall Almatow beschädigt das Ansehen Berlins

Human Rights Watch will die Entscheidung des deutschen Generalbundesanwalts anfechten, keine Ermittlungen gegen den früheren usbekischen Innenminister Sakir Almatow wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzuleiten. Dies ist ein herber Rückschlag für die Opfer in Usbekistan. Sie beschädigt das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland als Wegbereiter der internationalen Justiz, sagte Human Rights Watch heute.

Am 12. Dezember 2005 hatten acht usbekische Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen unterstützt von Human Rights Watch beim deutschen Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen Almatow erstattet. Sie beantragten beim Bundesanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen Almatow und elf weitere usbekische Regierungsbeamte wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit dem Massaker an hunderten unbewaffneten Bürgern am 13. Mai 2005 in Andischan, sowie wegen der weit verbreiteten und systematischen Anwendung von Folter. Almatow leitete die Truppen, die die Hauptverantwortung für die Massenmorde in Andischan trugen. Als Innenminister überwachte er zudem die usbekischen Gefängnisse und Untersuchungshaftanstalten, in denen Folter an der Tagesordnung ist. Vier der Kläger sind Opfer des Massakers in Andischan und vier sind Folteropfer.

„Diese Opfer hatten unter fürchterlichen Verbrechen zu leiden und haben sich an Deutschland gewandt in der Hoffnung auf Gerechtigkeit, die ihnen zu Hause verweigert wird,“ sagte Holly Cartner, Leiterin der Abteilung für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Es hat den Opfern enormen Mut abverlangt, in dieser Sache vorzugehen. Deshalb ist es besonders bedauerlich, dass Deutschland sie enttäuscht hat.“

Am 31. März 2006 hatte Generalbundesanwalt Kay Nehm erklärt, dass er kein Ermittlungsverfahren gegen Almatow einleiten werde. Es sei „aussichtslos“, von diesen Ermittlungen einen Aufklärungserfolg zu erwarten, da Usbekistan kaum kooperieren würde, Untersuchungen in Usbekistan jedoch nötig seien. Wenig Bedeutung maß der Bundesanwalt anscheinend der Tatsache bei, dass derzeit hunderte von Opfern und potenzielle Zeugen außerhalb Usbekistans leben, darunter in Deutschland, Rumänien, Holland und Schweden.

Zudem scheint der Bundesanwalt nicht berücksichtigt zu haben, dass er internationale Zeugen vernehmen könnte, etwa den früheren britischen Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, oder den früheren UN-Sonderberichterstatter für Folter, Theo van Boven, die ihre Bereitschaft zur Zeugenaussage in diesem Fall erklärt hatten. Als Sonderberichterstatter hatte Van Boven 2003 einen Bericht herausgegeben, der die systematische Anwendung von Folter in Usbekistan dokumentierte.

Der Bundesanwalt stützte sich bei seiner Entscheidung auf Informationen, die von der usbekischen Regierung bereitgestellt worden waren. Demnach geht diese angeblich mit verschiedenen Initiativen gegen Folter vor. Er versäumte es jedoch, auch nur eine dieser Angaben beim UN-Sonderberichterstatter für Folter zu überprüfen. Zudem ließ er anscheinend die Tatsache außer Acht, dass es keinen unabhängigen Zugang zu Internierungslagern und Gefängnissen in Usbekistan gibt und daher auch kein Verfahren, mittels dessen die Aussagen der Regierung überprüft werden könnten.

Die Klage gegen Almatow stützte sich auf deutsches Recht, welches das Weltrechtsprinzip in Fällen von Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkennt. Dies bedeutet, dass deutsche Gerichte solchen Tätern den Prozess machen können, unabhängig vom Ort der Verbrechen und ungeachtet der Staatsangehörigkeit der Täter und der Opfer. Das deutsche Recht verlangt nicht, dass sich die Beschuldigten oder die Opfer in Deutschland aufhalten, obwohl sich Almatow zum Zeitpunkt, als die Anzeige erstattet wurde, in Deutschland in ärztliche Behandlung begeben hatte.

„Der Bundesanwalt hätte im Fall der Anschuldigungen gegen Almatow sofort ermitteln müssen, als dieser in Deutschland ankam, und er hätte ihn auch an der Abreise hindern sollen,“ sagte Cartner. „Die deutsche Regierung war sich sicher im Klaren über seine mutmaßliche Rolle beim Massaker in Andischan. Die Regierung hat ihn einreisen lassen, obwohl sie wusste, dass sein Name bald darauf auf eine Einreiseverbotsliste der Europäischen Union gesetzt werden sollte.“

Zahlreiche internationale Rechtsexperten haben ihre Unterstützung bei einem Ermittlungsverfahren gegen Almatow zugesagt. Der frühere Präsident des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien, Antonio Cassese, hatte dem Generalbundesanwalt eine eidesstattliche Erklärung vorgelegt, derzufolge sich Almatow nicht auf seine diplomatische Immunität als Regierungsbeamter berufen könne, weil er aus privaten Gründen nach Deutschland eingereist sei.Van Boven sprach sich öffentlich für ein Verfahren gegen Almatow aus, und Manfred Nowak, sein Nachfolger im Amt des UN-Sonderberichterstatters für Folter, forderte ebenfalls die Verhaftung Almatows.

„Diese Entscheidung bekräftigt die vollkommene Straffreiheit, die usbekische Regierungsbeamte genießen dürfen,“ sagte Cartner. „Die Gelegenheit, Almatow in Deutschland zu verfolgen, war von besonderer Wichtigkeit, weil es kaum Aussichten darauf gibt, dass die Missstände in Usbekistan abgestellt werden.“

Usbekistan kann auf eine lange Reihe ungestrafter Menschenrechtsverletzungen durch Regierungsbeamte zurückblicken. In seinem Bericht von 2003 belegte Van Boven das vollständige Versagen der Regierung, Folterstraftäter zur Verantwortung zu ziehen. Die usbekische Regierung ist mit keinerlei konkreten Maßnahmen auf diese Angelegenheiten eingegangen. Ebenso hat die Regierung gezeigt, dass sie keine aussagekräftige Untersuchung oder ein Ermittlungsverfahren gegen die wirklichen Täter des Massakers von Andischan einleiten wird. Wiederholte Aufrufe der Vereinten Nationen, der Europäischen Union, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und anderer, die Ereignisse von Andischan von einer unabhängigen Kommission untersuchen zu lassen,wurden von der Regierung abgelehnt. Statt dessen hat sie eine Reihe von Schauprozessen gegen mutmaßliche Täter organisiert, die nach der Auffassung von Human Rights Watch, der EU, des UN-Hochkommissars für Menschenrechte sowie anderer Organisation nicht den internationalen Mindestanforderungen an ein rechtmäßiges Verfahren entsprachen.

Als Reaktion auf die Weigerung der usbekischen Regierung, eine unabhängige internationale Untersuchung des Massakers in Andischan zuzulassen, erließ die Europäische Union ein Einreiseverbot gegen 12 Personen, die sie als für das Massaker verantwortlich ansieht. Almatow steht ganz oben auf dieser Liste. Trotzdem wurde ihm wenige Tage vor dem Inkrafttreten des EU-Einreiseverbots aus „humanitären“ Gründen ein Visum für Deutschland ausgestellt, um sich in einer Klinik in Hannover in medizinische Behandlung begeben zu können.

Die Entscheidung des Bundesanwalts ist zudem enttäuschend, weil sie einen Rückschritt für die Aussicht von Klägern darstellt, vor deutschen Gerichten im Fall von Gräueltaten erfolgreich zu sein. Bei der Schaffung von Verantwortlichkeitsmechanismen für die nach internationalem Recht schlimmsten Verbrechen hat Deutschland bislang eine Führungsrolle eingenommen. Die Bundesrepublik ist ein starker Befürworter des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Obwohl Deutschland im Jahre 2002 die Bestimmungen des IStGH in sein heimisches Strafrecht aufnahm, hat es diese Vorschriften nicht ein einziges Mal angewandt, um ein Ermittlungsverfahren in einem Verdachtsfall auf schwere Menschenrechtsverletzungen einzuleiten, die anderswo begangen wurden.

Angesichts der überwältigenden Beweislage sowie der Zahl der Opfer und Zeugen, die außerhalb Usbekistans leben, beunruhigt die Entscheidung des Bundesanwalts in besonderer Weise, Deutschlands Völkerstrafgesetzbuch nicht zum Zweck eines Ermittlungsverfahrens zu Almatows Verbrechen heranzuziehen.

„Wenn sich der Bundesanwalt in diesem Fall weigert, Deutschlands hervorragendes internationales Strafrecht anzuwenden, dann ist es ziemlich schwer sich vorzustellen, wann er das überhaupt einmal tun könnte,“ sagte Cartner. „Deutschlands Völkerstrafgesetzbuch scheint nur auf dem Papier zu existieren.“

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